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Nicaragua: Die Geburt einer Diktatur

Kommentarbild  Gabriel Gonzalez PROVISORISCH
Gabriel González Zorrilla
3. August 2021

Daniel Ortega bewirbt sich zum vierten Mal in Folge um die Präsidentschaft. Doch die Wahl ist nur noch eine Farce, da alle aussichtsreichen Gegenkandidaten längst ausgeschaltet sind, meint Gabriel González.

Die Opposition ist geschwächt, Proteste werden niedergeschlagen: Ortega (MItte) und seine Frau haben das Land fest im GriffBild: Nicaraguan Presidency/AFP

Am 7. November 2021 finden in Nicaragua Präsidentschaftswahlen statt. Am Montag endete die Frist für die Registrierung der Bewerber beim Obersten Wahlrat. Überpünktlich wurde der 75-jährige Staatschef, Daniel Ortega, in die Wahlliste als Kandidat der Regierungspartei, der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) eingeschrieben. Als Stellvertreterin bewirbt sich erneut Rosario Murillo, Ortegas Frau und aktuelle Vizepräsidentin. Klingt alles nach einem ganz normalen Vorgang in einer geordneten Demokratie. Soll es wohl auch. 

Ganz anders klang am selbigen Tag die Botschaft, die von der EU ausging. Wegen massiver Menschenrechtsverletzungen und der Untergrabung der Demokratie verhängte die EU-Sanktionen gegen acht Nicaraguaner, darunter auch Rosario Murillo. Die Vorwürfe wiegen schwer und treffen alle zu: Missbrauch der Justiz für politische Zwecke, Ausschluss von oppositionellen Kandidaten für die Wahlen, willkürliche Festnahmen und Repression gegenüber Mitgliedern der Zivilgesellschaft, der Presse und oppositioneller Politiker und nicht zuletzt die brutale Niederschlagung der Proteste im Jahre 2018.

DW-Redakteur Gabriel Gonzalez

Kann man Ortega also als Diktator bezeichnen? Werfen wir erst einen Blick zurück. 

Vom Revolutionsführer zum Tyrannen

Nach dem Sieg der Revolution und dem Ende der brutalen Diktatur von Anastasio Somoza 1979 regierten Ortega und die Sandinistische Nationale Befreiungsfront das Land bis 1990, als sie die Wahlen gegen Violeta Chamorro verloren. Das kleine mittelamerikanische Land hatte sich in den 80er-Jahren zu einer Projektionsfläche sozialistischer Träume entwickelt. Fast in jeder deutschen Kleinstadt schien es damals einen Solidaritätsverein mit Nicaragua zu geben. Einige Wagemutige reisten sogar ins Land, um als Erntehelfer am sozialistischen Projekt mitzuhelfen. Bis heute habe viele Linke in Lateinamerika und Europa Bauchschmerzen damit, sich vom damaligen Idealbild der sandinistischen Utopie zu trennen. 

Viele der ehemaligen Mitstreiter Ortegas haben das schon vor Jahren getan. Die einstige Galionsfigur der sandinistischen Revolution, der 2020 verstorbene Befreiungstheologe Ernesto Cardenal, stellte vor seinem Tod in einem Interview mit der Deutschen Welle fest: "Ortega muss abtreten." Cardenal kritisierte schon damals, was er "die neue Diktatur" nannte. "Es gibt hier keine Freiheit irgendwelcher Art. Auch für mich nicht." 

Auch die bekannte nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli beteiligte sich einst am Widerstand der FSLN gegen die Diktatur Somozas. Sie bezichtigt Ortega in einem kürzlich erschienenen Essay in der New York Times des Verrats am "nicaraguanischen Traum." Ortega habe sich, so Belli, längst in einen Tyrannen verwandelt. 

Bedeutungslose Wahlen

Belli ist sicher die prominenteste Vertreterin der These, dass Ortega die Wahlniederlage gegen Violeta Chamorro 1990 nie verkraftet hat und von da an nur noch seine Rückkehr zur Macht im Sinn hatte. 2006 gelang ihm endlich dieses Comeback, das bis heute anhält.

Die landesweiten Proteste 2018 und ihre blutige Niederschlagung seitens der Regierung festigten nur seine autoritären Tendenzen. Als die ewig zerstrittene Opposition sich auf Cristiana Chamorro, der Tochter der Ex-Präsidentin als Gegenkandidatin für die diesjährige Wahl einigte, verschärfte sich die Repression im ganzen Land. Chamorro wurde umgehend unter Hausarrest gestellt. Seit Juni wurden mehr als 30 Oppositionspolitiker festgenommen.

Kann man also Ortega als Diktator bezeichnen? Spätestens seit diesem Montag auf jeden Fall. Man muss es sogar. 

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12:07

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