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Politik

Nur ein Wunder kann Baerbock noch helfen

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
7. Juli 2021

Die vielen Skandälchen um die Kanzlerkandidatin haben die Grünen schwer getroffen. Jetzt braucht die Partei Offenheit. Und die Einsicht, dass die Fehler vor allem eigene sind, nicht die der Medien, meint Jens Thurau.

Vom Optimismus zu Beginn der Wahlkampagne der Grünen ist aktuell nicht mehr viel übrigBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

War es das schon mit dem Traum der Grünen vom Kanzleramt? Vieles spricht dafür. Eine ganze Reihe kleiner Verfehlungen, Unwahrheiten, Plagiate und Übertreibungen der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock haben sich längst zu einem Eindruck verdichtet - dem Bild der mangelnden Glaubwürdigkeit. Jedes einzelne der Skandälchen ist für sich genommen entschuldbar, zumal sie fast nichts mit den politischen Positionen der Grünen zu tun haben. Aber die Menge macht's. Schwer vorstellbar, wie die Kandidatin und ihre Partei den entstandenen Schaden in den wenigen Wochen bis zur Bundestagswahl Ende September noch reparieren wollen. 

Der Reihe nach: Erst macht Baerbock in ihrem online veröffentlichten Lebenslauf falsche Angaben über ihren akademischen Lebensweg und über Mitgliedschaften in renommierten Organisationen. Immer sind die Fehler klein, aber sie gehen immer in eine Richtung: Baerbock macht sich etwas besser, attraktiver, erfolgreicher, als sie in Wahrheit ist. Dabei ist das, was sie mit 40 Jahren geschafft hat, beeindruckend genug: Studium in London, Abgeordnete im Bundestag, Landesvorsitzende in Brandenburg, Parteichefin. Befremdlich, warum das noch aufgehübscht werden musste. Aber Baerbock gibt die Fehler zu - immerhin.

An zu vielen Stellen abgeschrieben

Dann schreibt sie ein Buch, wie das viele Politiker tun. Eine Art Erfahrungsbericht ist das, mit vielen ihrer Positionen darin, kein wissenschaftliches Werk. Sie muss also ihre Quellen nicht zitieren. Zumeist veröffentlichen Politiker solche Bücher weniger, damit die Menschen das Werk wirklich lesen, sondern um im Gespräch zu bleiben. Motto: Die Auflage ist gering, aber es kommen viele Menschen mit vielen Kameras zur Präsentation. Aber Baerbock hat dann doch an vielen Stellen schlicht bei anderen abgeschrieben, an zu vielen Stellen. Das gleiche Bild entsteht wie beim Lebenslauf: Die Darstellung, nicht der Inhalt scheint im Vordergrund zu stehen.   

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Und die Parteizentrale der Grünen reagiert gereizt und gerät mehr und mehr in eine Rechtfertigungshaltung. Sie bemüht Anwälte, die gegen die Plagiatsvorwürfe vorgehen. Damit bestärkt sie die Dauerhysterie in der Debatte um die Fehler der Kandidatin noch. Jetzt preisen sie wieder ihr Duo an der Spitze der Partei an, bestehend aus Baerbock und dem Ko-Vorsitzenden Robert Habeck.

Und dieser letzte Punkt verweist auf den großen, den vielleicht entscheidenden Fehler der Grünen, der dann die anderen Peinlichkeiten zumindest begünstigt hat: Als sich die Grünen im Frühjahr für Baerbock als Kanzlerkandidatin entschieden, lagen sie in den Umfragen bei 27 Prozent. Sie hätten wissen müssen, dass in einer solchen Lage, im Wahljahr, eine neue Zeitrechnung für die frühere Protestpartei begann. Es gab ab da kein Kollektiv mehr, sondern eine Frau an der Spitze, eine Nummer Eins. Von der die Menschen weniger politische Positionen erwarteten als vielmehr ein Gefühl dafür, ob man dieser Frau das Land anvertrauen kann.

Das hätten die Grünen vorhersehen müssen

Viele Menschen in Deutschland fanden, das könne man. Viele andere nicht, vor allem in männerdominierten Wirtschaftskreisen war die Furcht vor der regierungsunerfahrenen Potsdamerin, 40 Jahre jung, allzu stark. Das hätten die Grünen wissen und vorhersehen müssen. Sie hätten die öffentlichen zugänglichen Informationen über die Bewerberin auf die vielen kleinen Fehler überprüfen müssen. Sie hätten verhindern müssen, dass das schnell zusammengeschusterte Buch erscheint. Und sie hätten wissen müssen, dass allen voran die größte deutsche Boulevard-Zeitung, die "Bild", sich festfressen würde an Baerbock. Aber die Grünen scheinen von den Ereignissen überrascht. Und finden sich jetzt in einer Situation wieder, in der über grüne Inhalte kaum noch gesprochen wird.  

Von politischen Programmen bleibt in der dünnen Luft ganz oben im Kanzleramt ohnehin meist nichts übrig. Angela Merkels größte Herausforderungen, die Pandemie, die Flüchtlingskrise, der Atomausstieg, die Finanzkrise: Nichts davon stand im CDU-Wahlprogramm! Die Menschen wollen wissen, ob die Person, die sich die Spitze zutraut, ob die nervlich standhält, die Ruhe bewahrt, bei sich selbst ist. Kurz: Sie wollen möglichst genau wissen, wer das konkret ist, der oder die Deutschland regieren will. Und ob man ihr trauen kann. 

Ein gutes Ergebnis ist noch drin

Noch ist es nicht zu spät für die Grünen, die Scherben aufzusammeln. Robert Habeck die Kandidatur doch noch zu übertragen, wie es manche Medien fordern, ist Unsinn. Das würden die Grünen als Partei kaum überleben. Aber fürs Kanzleramt wird es wohl nicht mehr reichen, für ein gutes Wahlergebnis wohl. Voraussetzung ist jetzt, dass die Grünen und ihre Spitzenkandidatin erkennen, dass die Fehler in erster Linie eigene sind, nicht die von anderen. Und dass sie das öffentlich kundtun. Dann bleiben noch immer genug Menschen in Deutschland übrig, die es für keine schlechte Idee halten, einer jungen Frau mit frischen Ideen mehr Verantwortung zu übertragen.

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