1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Schritt in die richtige Richtung

30. Juli 2022

Die Indigenen haben den Besuch des Papstes herbeigesehnt und in vielen Teilen der Welt wurde die Visite genau beobachtet. Denn nahezu allen Skandalen der Kirche ist etwas wesentliches gemeinsam, meint Christoph Strack.

Zeichen der Reue und Versöhnung: Papst Franziskus trägt Kopfschmuck kanadischer First NationsBild: Patrick T. Fallon/AFP

Der Papst ist älter geworden und eigentlich auch alt. Noch gut zwei Monate, dann ist Franziskus älter als sein Vorgänger Benedikt XVI. bei seinem Rücktritt im Februar 2013. Aber der 85-jährige Franziskus wollte auch im Rollstuhl zu den verwundeten und leidenden Indigenen Kanadas, ihre Geschichten und Klagen hören, ihre Gesichter sehen, ihre Hände küssen. Zum Abschluss der Reise flog er geradezu zeichenhaft zu indigenen Menschen am Rande Kanadas, nach Iqaluit am Nordpolarmeer. 

Während dieser Reise verharrte der Papst im Rollstuhl vor einigen der Massengräber neben kirchlichen Internaten, die erst in den vergangenen Jahren entdeckt wurden und in denen Kinder namenlos verscharrt wurden. Opfer eines Systems der Macht, das Tradition und Kultur zerstören wollte. Eine entsetzliche Geschichte. Er wolle, sagte der Papst bei seiner letzten liturgischen Feier, "gemeinsam mit euch alle Opfer erneut um Vergebung bitten. Der Schmerz und die Beschämung, die wir empfinden, müssen zu einer Gelegenheit zur Umkehr werden: Nie wieder!"

Die Last des Versagens, nicht der Schuld

Franziskus, während dieser Tage mehrfach sichtlich erschüttert, bat um Vergebung für die Taten, die Verbrechen von Katholiken und katholischen Einrichtungen. Er sprach von der "Last des Versagens". Von der Schuld der Kirche sprach er nicht. Aber die Schuld der Kirche steht im Raum, wenn Indigene die kirchliche Lehre der "Entdeckungen" der sogenannten Neuen Welt anprangern. Diese Lehre hat sich zwar mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) erledigt und ist offiziell überholt. Aber viele Repräsentanten der Kirche und Schmalspur-Theologen haben sich redlich Mühe gegeben, nicht jede Neuerung des Konzils als lebendige Lehre zu vermitteln. 

DW-Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. traf bei diversen Reisen Opfer von sexueller Gewalt durch Kleriker. Das waren Termine, die im jeweiligen Reiseprogramm nie auftauchten, die oft abends, geradezu im Schutze der Dunkelheit stattfanden und im Nachhinein erst knapp bestätigt wurden. Franziskus hat dem Thema eine ganz neue Priorität und durch diese Kanada-Reise eine neue Dimension gegeben. Die Überlebenden haben Gesichter. Und Kirche hat in strukturellen Dimensionen versagt.  

Diese Reise - ein so wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das heißt nicht, dass in Kanada alles gut gelang oder vorankam. Nach einem der ersten großen Gottesdienste beklagte eine angesehene kanadische Liturgiewissenschaftlerin den krassen Mangel an indigenen Elementen beim Kirchenschmuck, den Gesängen und Gebeten. Die Messe in englischer Sprache war diesbezüglich eine vertane Chance. Wichtiger noch: Es stehen römische Antworten aus auf die großen Fragen der Indigenen. Wann öffnet die Kirche Aktenbestände, die vielleicht die Identität der namenlos Verscharrten entschlüsseln helfen? Wann bekräftigt sie deutlich die Abkehr von der im 15. Jahrhundert geprägten "Lehre der Entdeckung der Welt"?

Vorwürfe von fünf Kontinenten

Dabei muss eins klar sein. Kanada war die in den vergangenen Jahren wohl bedrückendste Tragödie - aber eben nur ein Beispiel unter vielen. In den USA, so hieß es im Vorfeld der Kanada-Reise von Franziskus, warteten Angehörige indigener Gemeinschaften mit Spannung darauf, was das Kirchenoberhaupt im Nachbarland sagen würde - denn auch an der Leidensgeschichte der ersten Bewohner der USA seien Kirchenvertreter (nicht nur von katholischer Seite) beteiligt gewesen. Auf der Homepage der weltweiten Initiative "Ending clergy abuse", in der sich Betroffene von fünf Kontinenten zusammengetan haben, fanden sich zuletzt detaillierte Vorwürfe gegen katholische Orden, die in Neuseeland tätig waren. Und in vielen Ländern Afrikas und Teilen Lateinamerikas schwären noch Geschichten über Missbrauch und westlich geprägte klerikale Macht. Irgendwann brechen sie auf. 

Papst Franziskus betet an einer Grabstätte auf dem Friedhof der Ermineskin Cree Nation in KanadaBild: Nathan Denette/The Canadian Press/AP/dpa/picture alliance

Franziskus beklagte in Quebec die "Zeiten, in der die Kirche und ihre Amtsträger mehr Macht und gesellschaftliche Bedeutung hatten". Wer sich danach zurücksehne, der habe eine "falsche Perspektive". Doch die Sehnsucht nach dieser Perspektive lebt - das zeigen sowohl Äußerungen der römischen Papstkritiker wie gelegentliche Anekdoten jener, die in der Ausbildung künftiger Priester tätig sind.  

Alles eine Frage der Macht von Kirche

Kanada - eine wichtige Etappe dieses Papstes, dem das Leiden der Menschen so nahe geht. Zu dieser traurigen Geschichte gehören die Missbrauchsskandale in Irland, den USA oder Deutschland, in Belgien, Australien oder Chile. Und und und. Das 2013 begonnene Pontifikat des Franziskus - es zielt seit Jahren darauf ab, dass sich die Kirche ehrlich macht, um Wunden zu heilen. Dazu mag eine große, sehr ungewöhnliche Zusammenkunft aller Kardinäle Ende August im Vatikan gehören, die Franziskus anberaumt hat. Dazu gehört auf jeden Fall die weltweite Bischofssynode zu Dialog und Reform im Herbst 2023 im Vatikan. 

In Kanada wie bei den meisten Skandalen war es eine Frage der Macht von Kirche, des Uniformitätsanspruchs von Kirche, der Männer in der Kirche. Und wenn die Kirche nicht die Kraft zur geistlichen und faktischen Veränderung hat, wird sie kaum mehr Kraft haben, Kirche nahe bei den Menschen zu bleiben. Da helfen dann auch Papstreisen nicht mehr.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen