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PolitikEuropa

Der Papst wirbt für ein anderes Europa

15. September 2021

Seine dreitägige Reise in die Slowakei zeigt wie in einem Brennglas, was der Papst von Europa wie auch von seiner Kirche erwartet: mehr Offenheit, mehr Freiheit und mehr Mut, meint Christoph Strack.

Der Papst "am Rand" Europas - in der von Roma bewohnten Plattenbausiedlung "Lunik IX"Bild: Roman Vondrous/CTK/dpa/picture alliance

Es war eine geradezu vernichtende Rede, die Papst Franziskus bei seinem ersten Besuch im westeuropäischen Ausland hielt. Vor dem Europaparlament in Straßburg wurde er im November 2014 überdeutlich: Da klagte das Kirchenoberhaupt über "Konsumismus" und egoistischen Lebensstil. Franziskus sprach von einer Wegwerfkultur und von Gleichgültigkeit gegenüber Älteren. Er mahnte eine Rückbesinnung auf europäische Werte an und forderte die Achtung der Menschenwürde und die Solidarität mit Armen und Flüchtlingen.

Europa müsse jünger und frischer werden, sagte der Papst. "Man gewinnt den Eindruck der Müdigkeit und der Alterung, dass Europa eine Großmutter ist und nicht fruchtbar und lebendig." Selten hat ein prominenter Gast so pointiert eine Party gecrasht. Es war die Sicht des Lateinamerikaners auf den müde gewordenen Kontinent. Mancher, der damals angesprochen war, tröstete sich: Was kann man von einem irgendwie links anmutenden Lateinamerikaner schon anderes erwarten.

Besondere Aufmerksamkeit für Mittel- und Osteuropa

Doch dass man anderes erwarten kann, zeigt Franziskus seitdem immer wieder - und zeigte es nun für dreieinhalb Tage in der Slowakei. Franziskus ermutigt die Menschen zur offenen Gesellschaft, zu Miteinander, zur Verantwortung für andere, zum Dialog.

DW-Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Das bald 85-jährige Kirchenoberhaupt ist nun achteinhalb Jahre im Amt. Bei 33 Auslandsreisen besuchte er 50 Länder. Und auffallend häufig gilt die päpstliche Aufmerksamkeit Ländern in Mittel- und Osteuropa. Zehn Länder dieses Großraums hatten den Papst inzwischen zu Gast - von den drei baltischen Staaten bis nach Albanien, von Polen bis nach Georgien. Zum Vergleich: Vorgänger Papst Benedikt (2005-2013) besuchte in seinen knapp acht Jahren lediglich drei Länder in Mittel- und Osteuropa.

Oft widmet Franziskus sich gerade jenen Ländern, die in Europa wirtschaftlich und politisch keine große Rolle spielen. Zugleich stemmen sie beeindruckende soziale Aufgaben. Sehr oft sind es Regionen, in denen Kirche nach vielen Jahrzehnten der Verfolgung und Unterdrückung bis heute ängstlich wirkt oder mit der Moderne fremdelt. Und die kirchlichen Traditionen des Westens und des Ostens stehen, durchaus auch konkurrierend, nebeneinander - und dann gemeinsam gegen muslimische Einflüsse.

Der Papst ermutigt zum Miteinander

Aber Franziskus will Kirche auf dem Weg. Er will Kirche in der Nähe der Menschen, will sie ermutigen. Zum interreligiösen Dialog, der ein Miteinander ermöglicht. Auch zur Offenheit. In der Slowakei nannte er vor Bischöfen und weiteren Geistlichen in Bratislava die Kirche ein "Zeichen der Freiheit und des Willkommens" und warnte vor einer "starren Religiosität". Niemand solle sich erdrückt fühlen.

"Habt keine Angst, die Menschen zu einer reifen und freien Beziehung zu Gott zu erziehen", ermunterte er den Klerus. Es könne sein, dass das nach einem Verlust an Autorität klinge. "Aber die Kirche Christi will nicht die Gewissen beherrschen und Räume besetzen, sie will eine Quelle der Hoffnung im Leben der Menschen sein."

Für manchen Bischof sind das lästige Worte. Und wenn man in einem größeren Zusammenhang derzeit grübelt, was Franziskus mit seinem weltweiten synodalen Prozess bis zum Jahr 2023 will, kann man sich daran orientieren.

Mahnung zu mehr Dialog, Offenheit und Freiheit

Denn es bleibt rätselhaft, was Franziskus an tatsächlichen Reformen im Sinne strenger Lehrvorgaben will. Aber klar ist, dass Kirche herauskommen soll aus ihren Verfestigungen und Versteinerungen und auf dem Weg der Menschen sein soll. Auch dazu ermuntert er die Katholikinnen und Katholiken in Mittel- und Osteuropa.

Und in Kosice, in der Roma-Siedlung "Lunik 9" machte Franziskus seiner Kirche auch klar, was für ihn mit dazu gehört: "Fühlt euch immer zuhause in der Kirche und habt keine Angst, darin zu wohnen", sagte er den Roma. "Keiner halte euch oder jemand anders von der Kirche fern!" Das ist mindestens so sehr Mahnung an die abgeschottete Kirche als Ermutigung an die Roma.

So war diese Reise des Franziskus, so sind seine Reisen immer auch Mahnungen. Die Kirchen vor Ort will Franziskus mitnehmen zu Offenheit zum Dialog und zu mehr Freiheit. Und Europa mahnt er wieder und wieder, auf die Marginalisierten zuzugehen. Das können die Roma im slowakischen Kosice sein, die vom Krieg Geschundenen in Bosnien und Herzegowina, die Armen in Albanien. Das können auch muslimische Flüchtlinge in Ungarn oder andernorts sein. Franziskus ermutigt die Europäer. Und er will Europa, ein offeneres Europa.

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