Der Gesundheitsminister und der STIKO-Chef streiten sich: Der eine möchte Jugendlichen die Corona-Impfung empfehlen, der andere nicht. Jens Spahn hat für seinen Wunsch gute Gründe, meint Fabian Schmidt.
Wohlgemerkt: Es geht NICHT um die Frage, ob es den jungen Leuten grundsätzlich erlaubt oder verboten werden soll, sich impfen zu lassen. Das hat die Europäische Zulassungsbehörde EMA längst gelöst. Zwei Impfstoffe sind bereits seit längerem auch für Jugendliche zugelassen. Es geht nur um eine Empfehlung und damit verbunden um die Frage, ob die Politik den Kindern und Eltern die Entscheidung leichter machen soll, indem sie zum Beispiel Impfteams in die Schulen schickt.
Mediziner haben Patienten im Blick
Thomas Mertens beharrt darauf, dass seine Kommission ihre Empfehlung auf rein medizinischer Grundlage trifft und sich von der Politik auch nicht bevormunden lässt. Gut, das ist ihre Aufgabe und ihr gutes Recht!
Die STIKO trifft eine Abwägung mit Blick die jeweiligen Menschen: Ist das individuelle Risiko einer Infektion mit einem schweren Krankheitsverlauf so hoch, dass jemand geimpft werden muss?
Für Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen bejaht die STIKO das. Für alle anderen in dieser Altersgruppe nicht. Bei ihnen ist es eben nicht so schlimm, wenn sie mal COVID-19 bekommen. Die Krankheit kann im Regelfall ohne ärztliche Hilfe auskuriert werden und nur selten bleiben Folgeschäden.
Politiker sind für die ganze Gesellschaft verantwortlich
Doch die Bundesregierung muss viel mehr Faktoren abwägen und in ihre Entscheidung einfließen lassen als die STIKO. Und deshalb kann und darf sie auch zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Sie muss die ganze Gesellschaft im Blick behalten und nach Möglichkeit verhindern, dass sich ein Lockdown wie in den zurückliegenden Monaten noch einmal wiederholt. Dazu muss sie viele Interessen berücksichtigen:
Produktion und Handel sollen wieder anlaufen, die Kindergärten und Schulen sollen öffnen - und zwar möglichst mit Regelunterricht in Präsenz, weil das für die Entwicklung der Kinder wichtig ist. Restaurants und Hotels wollen wieder Gäste ohne Einschränkungen bewirten. Künstler möchten auftreten und Event-Veranstalter und Sportvereine möglichst wieder an dem normalen Leben anknüpfen, das Anfang vergangenen Jahres so jäh unterbrochen und eingefroren wurde.
All das brauchen wir auch dringend für unsere Volkswirtschaft, die dieses Jahr erstmals seit langem in eine heftige Inflation zu schlittern droht.Das Ruder rumreißen geht nur mit einer konsequenten Politik: Ansteckungen mit dem Coronavirus müssen überall da verhindert werden, wo es nur irgendwie geht.
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Schulen als Hotspots für Superspreader
Und gerade weil Infektionen bei jungen Menschen oft symptomfrei verlaufen, müssen wir uns endlich der Wahrheit stellen: Schulklassen mit 30 und Schulen mit bis zu 1.000 Schülern sind einfach potenzielle Hotspots für Superspreader. Die Viren bleiben ja nicht in der Schule - sie gelangen von dort wieder in die Familien, in Busse und Bahnen, Theater, Fußballarenen, Altersheime und so weiter.
Die Tatsache, dass die Delta-Variante hochansteckend ist, wie die Masern, macht die Sache noch schlimmer. Und was ist, wenn die Lambda-Variante uns auch noch erreicht? Das kann bisher niemand sagen. Es gibt erste Indizien dafür, dass sie vielleicht gar nicht mehr auf die Impfungen anspricht.
Wir können aber eindeutig sagen, dass es mittlerweile genug Impfstoff gibt, um auch Kinder und Jugendliche zu impfen. Ihnen und ihren Eltern genau das nahezulegen und möglichst unkompliziert eine Impfung zu ermöglichen, zeugt von Verantwortung - nicht nur gegenüber den jungen Menschen, sondern gegenüber der ganzen Gesellschaft.
Coronavirus-AHA-Regeln: Wie viel Abstand darf es bitte sein?
Abstand ist wichtig. Aber eine festgesetzte Abstandsregel wird der realen Ausbreitung von Viren nicht gerecht, sagen britische Forscher. Und die CDC warnt: Infektionen drohen schon nach wenigen Minuten.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck
Aber bitte mit Abstand!
Das sind die AHA-Regeln wie wir sie kennen: Abstand von 1,5 bis 2 Metern halten (in angelsächsischen Ländern: 6 Fuß), Hygiene beachten und Alltagsmaske tragen. Doch das werde der komplexen Realität, wie sich Aerosole ausbreiten, nicht gerecht, schrieben Forscher aus Oxford und London (UK) sowie aus Cambridge (USA) in einer Analyse, veröffentlicht im British Medical Journal Ende August.
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Wie jetzt?
Der britische Premierminister Johnson führte die Abstandsregeln in einem Klassenzimmer vor. Aber was heißt das jetzt genau? Müssen zwischen seinen Fingerspitzen und denen eines potentiellen weiteren Menschen auch nochmal 1,50 Meter liegen? Eigentlich wäre das logisch. Wenn ein Mensch aber schon mit zwei Armlängen 1,50 Meter misst, da kommen schnell mal Strecken von gut 4,50 Meter zusammen.
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Oder doch besser in Schaflängen rechnen?
Der isländische Verband der Schafzüchter hat eigene Regeln aufgestellt: Zwei Schafslängen sind sachgerecht zur Vermeidung einer Infektion. Ob die Alltagsmaske da wohl aus echter Schafswolle gestrickt ist? Dieser junge Schäfer im Senegal zieht dem Tier schon mal die Hammelbeine lang. Vielleicht will er herauszufinden, wie lang ein Schaf ist. Die Isländer wissen es schon: genau ein Meter.
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Natürliche Abstandhalter
So geht es natürlich auch. Die Standardlänge einer Hundeleine entspricht ziemlich genau den geltenden Corona-Regeln. Kann es da Zufall sein, dass in der englischsprachigen Welt für Orte an denen Leinenpflicht herrscht meist eine "sechs-Fuß-Leine" vorgeschrieben wird?
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Woher stammt eigentlich die 2-Meter-Regel?
Das Autorenteam um die Professorin für Strömungsdynamik Lydia Bourouiba schreibt, dass die Regel veraltet sei. Der deutsche Mediziner C. Flügge habe 1897 diesen Abstand empfohlen. Sichtbare Tröpfchen, die er in diesem Bereich aufgefangen hatte, waren noch ansteckend. Eine andere Studie von 1948 zeigte, dass 90 Prozent ausgehusteter Streptokokken in Tröpfchen nicht weiter flogen als 1,70 Meter.
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Zwei Meter sind nicht genug
Die Studie von 1948 war im American Medical Journal erschienen. Sie zeigte auch, dass immerhin 10 Prozent der Streptokokken viel weiter flogen: Bis zu 2,90 Meter. Unter solchen Umständen wären vielleicht die Menschen auf dieser Wiese am Düsseldorfer Rheinufer sicher - wenn jeder zweite Kreis frei bleibt. Aber Moment mal! Es geht uns doch dar nicht um Streptokokken (Bakterien) sondern um Viren.
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Viren verbreiten sich über Aerosole
Viren sind viel kleiner als Bakterien und können damit stundenlang herumschweben und sich auch besser in der Raumluft verbreiten. Deshalb empfehlen die Forscher, nicht nur den Abstand zwischen zwei Menschen zum Sicherheitskriterium zu machen sondern noch weitere Faktoren: die Belüftung des Raumes, ob die Menschen Masken tragen, ob sie schweigen, leise sprechen oder singen und rufen.
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Bloß nicht singen oder husten
Zahlreiche Studien jüngeren Datums zeigen zudem, dass beim Husten regelrechte Virenpakete bis zu acht Meter weit geschleudert werden können. Auch lautes Sprechen oder Singen wirbelt einiges an Aerosolen und Tröpfchen in den Raum. Wird indes nur leise gesprochen, wie in einer Bibliothek und sitzen die Menschen dazu noch an der frischen Luft, können die Abstände wieder geringer sein.
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Wie lange bleibe ich in dem Raum?
Entscheidend für die Gefahreneinschätzung ist auch die Dauer des Aufenthalts in dem kontaminierten Raum und wie viele Menschen sich darin aufhalten. Aus all diesen Faktoren haben die Forscher ein Ampelmodell entwickelt. Das klare Ergebnis: In Räumen mit vielen Menschen sollte man sich grundsätzlich nur kurz aufhalten, gut lüften, Alltagsmaske tragen und leise sprechen.
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Auch eine Minute reicht, um sich zu infizieren
Auch sehr kurze Kontakte können reichen, um SARS-CoV-2 weiterzugeben. Die US-Gesundheitsbehörde CDC musste am 21. Oktober ihre Regeln verschärfen. Zuvor hatte sich ein Gefängniswärter bei Gefangenen angesteckt hatte, mit denen er niemals länger als wenige Minuten Kontakt hatte. Ab jetzt gilt als "enger Kontakt": unter zwei Meter, mindestens 15 Minuten aber kumuliert - über 24 Stunden.
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Hier geht es auch ohne Maske
Hier zeigt die Ampel des britisch-amerikanischen Forscherteams indes grün: Ohne Maske ist es nämlich nur draußen auch über längere Zeit sicher, wenn wenige Menschen in der Nähe sind, alles gut belüftet ist und niemand viel spricht. Aber ob dann die 1,50 Meter reichen?