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Programmierte Konflikte

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
19. Dezember 2021

Die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock startet ohne Scheu und mit viel Elan in ihr Amt. Doch perspektivisch könnte ihre Politik für viel Ärger auch in der neuen Regierung sorgen, meint Jens Thurau.

Wer gibt den außenpolitischen Takt vor - die Bundesaußenministerin oder der Bundeskanzler?Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Mangelnden Schwung kann man der neuen deutschen Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen wahrlich nicht vorwerfen. Kaum im Amt, absolviert sie ein strammes Programm. Antrittsbesuche in Brüssel, Paris und Warschau, Teilnahme am G7-Außenministertreffen in Liverpool, Teilnahme an einer Abrüstungskonferenz in Schweden.

Und zupacken kann sie auch. Nach dem Urteil im Tiergartenmord, dass ausdrücklich festhält, dass der Mörder im Auftrag russischer Stellen handelte, erklärt Baerbock zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft zu unerwünschten Personen und bestellt den Botschafter ein. Die 40 Jahre alte Grünen-Politikerin macht von sich reden. 

Veränderung versus Kontinuität

Dennoch ist es wahrscheinlich, dass die Außenpolitik ein ständiger Zankapfel innerhalb der Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP wird. Denn grob gesagt laufen die Konfliktlinien so: Baerbock will viel verändern, der Menschenrechtspolitik und dem Klimaschutz in ihrem Amt einen neuen Stellenwert verleihen. Kanzler Olaf Scholz von der SPD schwebt hingegen eher eine Kontinuität, eine Fortführung der Politik von Angela Merkel vor. Früher oder später wird es zum Krach kommen. 

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Beispiel China: Das Kanzleramt dementiert nicht wirklich, dass Scholz der Führung in Peking bereits Mitte Oktober, noch weit vor seiner Wahl zum Kanzler, übermitteln ließ, am deutschen Kurs gegenüber China werde sich wenig ändern. Wirtschaftliche Interessen stehen im Mittelpunkt, soll das heißen. Als Überbringer der Botschaft soll EU-Ratspräsident Charles Michel fungiert haben, berichten gleich mehrere Zeitungen. Dabei hatten gerade Grüne und FDP im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass die Menschenrechtsverletzungen Chinas etwa in Hongkong explizit erwähnt werden.

Eine wertegeleitete Politik schwebt Baerbock vor, aber was das konkret heißt, bleibt schwammig. Und schon hat der mächtige Fraktionschef der SPD im Bundestag, Rolf Mützenich, der neuen Außenministerin ihre Grenzen aufgezeigt, als er zur Empörung von Grünen und FDP sagte, die Außenpolitik werde maßgeblich im Kanzleramt bestimmt. Was vor allem in der Europapolitik schlicht eine Tatsache ist, wie viele Außenminister unter Angela Merkel leidvoll erfahren mussten. 

Zankapfel Nord Stream 2

Beispiel Russland: Die harsche Reaktion Baerbocks nach dem Tiergartenmord-Urteil findet sicher noch die Zustimmung aller deutschen Regierungsmitglieder. Aber ob, wie Baerbock das vorschwebt, die fertig gebaute Gas-Pipeline Nord Stream 2 tatsächlich nicht ans Netz geht, ist noch lange nicht ausgemacht. Sicher, wenn Russland die Ukraine angreifen sollte, ist das Ende für Nord Stream 2 eine Option der Europäer. Aber nur dann.

Die Gaspipeline Nord Stream 2 ist seit einigen Monaten fertig gestellt, aber noch nicht in Betrieb

Die Sozialdemokraten waren und sind Befürworter des Gas-Geschäfts mit den Russen. Kanzler Scholz stellte gerade lapidar fest, die Pipeline sei nun kein politisches Problem mehr, Behörden müssten sie genehmigen oder nicht. Wohl wissend, dass Deutschland das Gas braucht, wenn im nächsten Jahr die letzten deutschen Kernkraftwerke vom Netz gehen und der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht wie von den Grünen gewünscht an Tempo zulegt.

Klima jetzt Thema der Außenpolitik

Beispiel atomare Abrüstung: Baerbock wirbt wie jetzt in Schweden für weniger Atomwaffen. Aber immer noch lagern in Deutschland amerikanische Atomwaffen, die im Ernstfall von deutschen Flugzeugen aus abgeworfen werden könnten. Nukleare Teilhabe nennt sich das. Und bleibt so auch unter der neuen Regierung. Sogar neue Flugzeuge wollen die Deutschen dafür anschaffen. So bleibt dann das Werben für weniger Atomwaffen ein Appell der neuen Ministerin, nichts weiter.

Aber dass Baerbock die Zuständigkeit für internationale Klimaverhandlungen an sich gezogen hat, die bislang stets das Umweltministerium führte, ist ein kluger Schachzug. Das wertet das Auswärtige Amt auf. Und ist ein folgerichtiger Schritt einer grünen Ministerin. Auf jeden Fall wird die deutsche Außenpolitik jetzt spannender als zuletzt - was ja nur zu begrüßen ist.

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