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Queere Sichtbarkeit - wichtiger denn je

27. Dezember 2021

Das Thema LGBT+ stand 2021 vielfach im öffentlichen Fokus. Aber gesellschaftlich ist mehr nötig, als nur Social Media-Profilbilder in Regenbogenfarben zu gestalten, meint Kristina Reymann-Schneider.

Zum EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn durfte das Müncher Stadion nicht in Regenbogenfarben leuchtenBild: Frank Hoerman/augenklick/SvenSimon/Pool/picture alliance

Im Februar outeten sich 185 Schauspielerinnen und Schauspieler im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Mit dieser Aktion wollten sie darauf aufmerksam machen, dass es selbstverständlich auch unter Filmleuten lesbische, schwule, queere, non-binäre bi-, trans- und intersexuelle Menschen gibt. Doch statt damit offen umzugehen, würden viele ihre sexuelle Identität verstecken, weil sie berufliche Konsequenzen fürchteten. Unter dem Hashtag #actout schoben sie eine Debatte über die Sichtbarkeit queerer Lebensentwürfe und Diversität in Film und Fernsehen an.

Im Sommer wurde die erste Staffel der Reality-Show "Princess Charming" ausgestrahlt, in der lesbische und bisexuelle Frauen und Menschen, die sich als non-binär bezeichnen, um die "Princess" buhlten. Es war die erste TV-Show ihrer Art weltweit und gar nicht so trashig, wie man es normalerweise von Reality-Formaten erwarten würde. Im Gegenteil: Die Show räumte mit Stereotypen auf, die Kandidatinnen sahen sich als Aufklärerinnen und wollten anderen Mut machen, zu sich, zu ihrer Sexualität, zu ihrem Körper zu stehen.  

EU und Konzerne stellen sich hinter die LGBT-Community 

Im Juli sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, den bemerkenswerten Satz: "Europa wird es nie zulassen, dass Teile seiner Gesellschaft stigmatisiert werden: wegen der Person, die sie lieben, wegen ihres Alters, wegen ihrer politischen Meinungen oder wegen ihrer religiösen Überzeugungen." Es war eine Ansage, die vor allem auf die Politik der EU-Staaten Ungarn und Polen abzielte, wo Aufklärung über sexuelle Vielfalt stark eingeschränkt ist und es sogenannte "LGBT-freie Zonen" gibt.

DW-Kulturredakteurin Kristina Reymann-SchneiderBild: DW

Einige Monate später fror die EU Corona-Hilfen für Polen ein, weil das Land nicht von seiner Anti-LGBT-Politik abrückte. Die neue Bundesregierung kündigte im November in ihrem Koalitionsvertrag an, die Rechte queerer Menschen zu stärken, unter anderem durch eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes, das Menschen verbietet selbst ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag zu bestimmen. 

Aber die Debatte um Manuel Neuers Kapitänsbinde und die Beleuchtung der Münchner Allianz-Arena in Regenbogenfarben bei der Fußball-Europameisterschaft hat gezeigt, dass das Engagement gegen Diskriminierung dann bitte doch nicht zu viel Raum einnehmen soll. Oder zumindest nicht überall. Unternehmen wie BMW und selbst die FIFA nutzten zwar den Pride Month im Juni, um sich offen und tolerant zu zeigen und färbten die Firmenlogos auf ihren Social-Media-Kanälen in Regenbogenfarben ein. Aber eben nicht weltweit: Auf den Kanälen für den Mittleren Osten oder den arabischen Niederlassungen blieben die Logos unverändert. Verständlich, wenn man bedenkt, dass Homosexualität in Saudi-Arabien mit dem Tod bestraft werden kann. Dennoch schwächt es die Glaubwürdigkeit der Konzerne, es wirklich ernst zu meinen mit der Offenheit und Toleranz für queeres Leben. 

Deutschlands Torhüter Manuel Neuer mit Regenbogen-Binde während der Fußball-EMBild: Philipp Guelland/epa/AP/picture alliance

Diskriminierung und Hasskriminalität

Einerseits zeigt sich in Deutschland mittlerweile eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für queere Menschen, andererseits sind Begriffe wie "schwul" oder "Schwuchtel" immer noch häufig benutzte Schimpfwörter. Einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge hält ein Drittel der nicht-heterosexuellen Menschen die eigene sexuelle Identität im Job geheim - aus Angst vor Diskriminierung.

Diese Angst ist nicht ganz unbegründet. Tatsächlich erlebten 30 Prozent der Befragten Diskriminierung am Arbeitsplatz. Sozialarbeiter, Erzieherinnen, Ärztinnen oder Altenpfleger, deren Einrichtung von der Kirche getragen wird, unterliegen dem kirchlichen Arbeitsrecht. Das erlaubt es dem Arbeitgeber, Beschäftigten aufgrund ihrer sexuellen Identität zu kündigen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz greift hier nicht.

Darüber hinaus hetzen rechte sowie religiös-motivierte Gruppierungen öffentlich gegen Homosexuelle. Die Hasskriminalität gegen Menschen aus der Community nimmt seit Jahren zu. Das belegen die Zahlen des Bundesinnenministeriums. Zuletzt wurden im Jahr 2020 von den Behörden 782 Straftaten von Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle registriert. Und das sind nur die Taten, die zur Anzeige gebracht wurden.

Teilnehmer des Berliner CSD fordert mehr Schutz für queere MenschenBild: Omar Messinger/Getty Images

Aufklärung und Rollenvorbilder bleiben wichtig

Deshalb ist es so wichtig, dass weiterhin Aufklärung in Schulen stattfindet. Dass es Kinder- und Jugendbücher, Serien und Kinofilme gibt, die ganz selbstverständlich von verschiedenen Lebensrealitäten erzählen. Dass es in allen gesellschaftlichen Bereichen Menschen gibt, die offen zu ihrer sexuellen Identität stehen und damit zu Rollenvorbildern werden können. Dass die Politik für Gleichstellung sorgt und diskriminierende Gesetze abschafft. Dass weiterhin CSDs stattfinden und dass es Schutzräume gibt für homosexuelle Menschen. Dass Menschen Zivilcourage zeigen, wenn Transsexuelle diskriminiert, verhöhnt oder verprügelt werden.

Nur dann können wir uns als eine Gesellschaft feiern, die für Vielfalt einsteht. Und wer im Juni das eigene Profilbild in den Sozialen Medien in Regenbogenfarben taucht, darf das natürlich gerne tun. Aber dabei sollte nicht vergessen werden, dass queere Menschen auch nach dem Pride Month noch da sind und den Rückhalt der Mehrheitsgesellschaft brauchen.

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