Bei aller Freude über die Freilassung des Bloggers darf nicht vergessen werden: Ausreisen zu seiner Familie darf er noch nicht und vor allem ist er in Saudi-Arabien kein Einzelfall, meint Rainer Sollich.
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Endlich, Raif Badawi ist frei! Nach vollständigem Absitzen seiner zehnjährigen Haftstrafe durfte der saudische Blogger am Freitag das Gefängnis verlassen, haben seine Familie und Menschenrechts-Aktivisten bestätigt. Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht. Eine gute Nachricht in einer Zeit, in der gute Nachrichten eher selten scheinen.
Leider ist die Freilassung des liberalen Bloggers aber noch kein Grund für ein endgültiges Aufatmen - und sie ist vor allem auch noch kein "Happy End" für ihn und seine Familie.
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Ausreiseverbot noch nicht aufgehoben
Denn es steht zu befürchten, dass der unter anderem vom Europäischen Parlament und der DW preisgekrönte Regimekritiker noch weitere zehn Jahre mit einem umfassenden Reiseverbot belegt bleibt. Meldungen aus Saudi-Arabien deuten leider in diese Richtung. Schon im ursprünglich verkündeten Urteil war dies so vorgesehen.
Ob es auch langfristig dabei bleibt, hängt vordergründig von der saudischen Justiz, aber letztlich von der Interessenabwägung im saudischen Königshaus ab. Die öffentliche Auspeitschung Badawis beispielsweise war seinerzeit nach internationalen Protesten vorzeitig abgebrochen worden. Eine Ausreise-Erlaubnis für Badawi würde nicht zuletzt von Regierungen in Nordamerika und Europa als positive Geste begrüßt werden. Hat Riad, derzeit vor allem als alternativer Energielieferant umworben, perspektivisch ein politisches Interesse daran?
Seine Frau und seine Kinder in Kanada kämpfen jedenfalls weiter tapfer für eine Familienzusammenführung in echter Freiheit. Sie wollen ein weiteres Jahrzehnt schmerzhafter Trennung verhindern und haben jede Unterstützung verdient.
Kein Einzelfall
Dasselbe gilt für die vielen arabischen und internationalen Initiativen und Organisationen, die sich beharrlich für die zahlreichen politischen Häftlinge in Saudi-Arabien einsetzen: Rund 3000 Menschen sollen dies nach Angaben von Amnesty International sein - trotz einer Reihe von positiven, teils gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen, die Riad in den vergangenen Jahren umgesetzt hat und für die sich auch Raif Badawi zuvor stets eingesetzt hatte. Auch mit der Hinrichtung von 81 Menschen nur einen Tag nach Badawis Freilassung zeigte Saudi-Arabien, wie sehr es internationale Menschenrechtsstandards missachtet.
Der Blogger Badawi ist in den vergangenen zehn Jahren für viele Menschen weltweit zu einer Ikone im Kampf um Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Saudi-Arabien geworden. Aber sein Schicksal ist und bleibt leider alles andere als ein Einzelfall.
Saudi Arabien: Gnadenlos beim Umgang mit Kritikern
Saudi-Arabien hat die Welt mit einer Reform seines Strafrechts überrascht. Das Auspeitschen und die Todesstrafen für Minderjährige wurden abgeschafft. Doch für viele inhaftierte Aktivisten bedeutet das keine Entwarnung.
Bild: Getty Images/M. Ingram
Keine Todesstrafe mehr für Minderjährige
In einem ersten Schritt wurde das Auspeitschen in Saudi-Arabien abgeschafft und nur wenige Stunden später auch die Todesstrafe für Minderjährige. Eine Tat, die vor dem vollendeten achtzehnten Lebensjahr begangen wurde, darf per königlichem Dekret fortan mit maximal zehn Jahren Haft bestraft werden. Das Dekret helfe, ein moderneres Strafgesetz zu schaffen, hieß es.
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Nabil
Schlechtes Image seit Ermordung Khashoggis
Menschenrechtler und Experten blicken entsprechend zurückhaltend auf die Neuerungen. Sie seien zwar richtig, aber nicht mit einer Liberalisierung des Landes zu verwechseln, so Guido Steinberg von der SWP-Berlin: "Das ist ein Versuch, die eigene Reputation aufzupolieren." Das Image von Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) sei immer noch durch den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi ramponiert.
Bild: picture-alliance/AP Photo/L. Pitarakis
PR, um sich im Westen beliebt zu machen
Saudi-Arabien sei besonders um seine Reputation in den USA und in der westlichen Welt besorgt, sagt Steinberg. Doch der Kronprinz fahre weiterhin einen sehr autoritären Kurs. Die Reformen, die MbS seit Amtsantritt durchgesetzt hat, gehen einher mit brutaler Repression, die alles erstickt, was seine Herrschaft in Frage stellt. Und treffen kann es jeden. Auch die eigene Familie.
Bild: Reuters/Courtesy of Saudi Royal Court/B. Algaloud
Die eigene Familie im Knast
Auch vor ranghohen Mitgliedern der Königsfamilie macht MbS nicht halt. Ende März gab es neue Festnahmen, unter ihnen war der ehemalige Kronprinz Mohammad Bin Najef (links), ein Neffe von König Salman und Cousin von Mohammad Bin Salman. Der Vorwurf: Verrat und angebliche Vorbereitung eines Putsches. MbS habe deutlich machen wollen, dass politischer Widerstand nicht geduldet werde, so Steinberg.
Bild: picture-alliance/abaca
Mutaib bin Abdullah
MbS hat auch potenzielle Konkurrenten innerhalb der Familie beseitigt. Führende Prinzen wurden inhaftiert. Neben Mohammed bin Najef gehört dazu auch Mutaib bin Abdullah, Chef der Nationalgarde. "Es geht MbS darum, in der Familie klar zu machen, dass es einen neuen Herrscher im Land gibt - und dass ihre Privilegien dabei zwar weiter gelten können, aber Widerstand nicht geduldet wird", so Steinberg.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Yalcin
Prinzessin meldet sich aus dem Gefängnis
Prinzessin Basmah bin Saud kämpfte für Menschenrechte in ihrem Land und prangerte die Unterdrückung der Frauen an. 2019 verschwand sie spurlos, erst kürzlich meldete sie sich - mit einem Hilferuf. Die seit einem Jahr inhaftierte Prinzessin bittet in einem Brief um ihre Freilassung. Sie werde im Hochsicherheitsgefängnis Al-Hair "willkürlich" und ohne Anklage festgehalten, schrieb die 56-Jährige.
Bild: Getty Images/M. Ingram
Loujain al-Hathloul
Auch Loujain al-Hathloul machte sich für Frauenrechte stark - bis sie vor zwei Jahren wegen des Vorwurfs der Verschwörung ins Gefängnis kam. Sie werde gefoltert und sexuell belästigt, so ihre Schwester Lina. Sie sei seit Monaten in Isolationshaft. Nach Angaben der Familie soll Loujain ein Deal angeboten worden sein: Sie komme auf freien Fuß, wenn sie bestätige, dass es keine Folter gegeben habe.
Beobachter vermuten, der Schritt zur Änderung des Strafgesetzes sei jetzt erfolgt, um vom Gefängnistod des Bürgerrechtlers, Abdullah Al-Hamid (links), abzulenken. Er war vor wenigen Tagen in Haft an einem Schlaganfall gestorben und soll zuvor nicht ausreichend medizinisch versorgt worden sein. Die Menschenrechtler Walid Abu al-Chair und Mohammed Fahad al-Kahtani (r.) sind noch in Haft.
Bild: picture-alliance/dpa/right livelihood award
Raif Badawi noch in Haft
Einer der wohl bekanntesten Inhaftierten ist Raif Badawi. Der Blogger wurde 2013 wegen "Beleidigung des Islam" zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verhaftet. Einmal wurde er sogar öffentlich ausgepeitscht, weltweit wuchs die Empörung. Diese Reaktion dürfte dazu beigetragen haben, dass das Auspeitschen abgeschafft wurde. "Doch das bedeute nicht, dass er jetzt frei kommt", sagt Steinberg.
Auch Raif Badawis Schwester Samar sitzt seit 2018 in Haft - und mit ihr Nassima al-Sada. Beide sind bekannte Menschenrechtsverteidigerinnen. 2018 wurde eine Reihe von Aktivistinnen festgenommen, einige von ihnen, wie Amal al-Harbi, Maysaa al-Mane wurde zwar freigelassen. Doch ihre Verfahren laufen noch - so wie die von Nassima und Samar, die beide weiter im Gefängnis bleiben müssen.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Wiklund
Prediger Salman al-Ouda
Salman al-Ouda gilt als gemäßigt-salafistischer Religionsgelehrter aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft - und gehört schon lange zu den einflussreichsten muslimischen Persönlichkeiten. 2017 wurde er erneut verurteilt. Er ist bekannt für seine Kritik am außen- und innenpolitischen Kurs der saudischen Führung. Er wurde zum Tode verurteilt, doch bisher wurde das Urteil nicht vollstreckt.
Bild: Creative Commons
Als 17-Jähriger in Haft
Mit Abschaffung der Todesstrafe für Minderjährige richten sich die Blicke auf Ali Mohammad al-Nimr. Er war 2012 im Alter von 17 Jahren festgesetzt worden, weil er für Reformen und die Freilassung politischer Gefangener protestiert hatte. Sein Onkel Nimr al Nimr war ein schiitischen Prediger. Nahost-Experte Steinberg geht davon aus, dass Ali nicht hingerichtet wird, aber in Haft bleibt.