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Gesellschaft

Rebellion im Land der Reformation

16. Mai 2021

Die Zeichen stehen auf Veränderung. Beim Ökumenischen Kirchentag feierten Christen ihre Einheit - trotz der Verbote aus dem Vatikan. Und trotz Corona-Pandemie. So soll es sein, meint Christoph Strack.

Eine Regenbogenfahne weht vor der Autobahnkirche St. Christophorus - homosexuelle Paare konnten sich dort segnen lassen Bild: Benedikt Spether/dpa/picture alliance

Bei diesem Ökumenischen Kirchentag war alles anders. Es mag an der Erschütterung liegen, mit der die Corona-Pandemie die beiden großen Kirchen traf. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Kirchen erkennbar keine "gesellschaftliche Macht" mehr sind und dies der letzte Ökumenische Kirchentag war zu Zeiten, in denen mehr als die Hälfte der Deutschen einer der beiden großen Kirchen angehören.

Oder viele Kirchenmitglieder haben schlicht und ergreifend die Zeichen der Zeit erkannt und Mut bewiesen. Auf dem Ökumenischen Kirchentag jedenfalls waren diese Zeichen und Veränderungen, wenn auch meist digital, unmissverständlich zu spüren.

Die neue Präses, 25 Jahre jung

In den vergangenen zwei Wochen gab es kirchlich in Deutschland mehrmals Spektakuläres: Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das wichtigste Gremium des Protestantismus, wählte eine 25-Jährige, Anna-Nicole Heinrich, zu ihrer Vorsitzenden. Eine Fünfundzwanzigjährige nach einer Neunundsiebzigjährigen.

Und die Welt drehte sich weiter. Mit ihr, der Studentin Anna-Nicole Heinrich, verbinden viele Vieles. Jedenfalls, dass es anders wird. Vielleicht aber mutiger und gelassener.

Auf katholischer Seite probten nach den Laien die Priester den Aufstand: Trotz des Verbots aus Rom segneten mehr als 100 Geistliche homosexuelle Paare, was weltweit Beachtung fand. Priester und andere Seelsorger und Seelsorgerinnen sprachen Menschen und ihrer Liebe den Segen Gottes zu. Bisher hatten diese von der Kirchenhierarchie meist Ablehnung erfahren.

Gemeinsame Eucharistie

DW-Redakteur Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Zugleich predigten parallel zum Kirchentag in einigen katholischen Gemeinden Frauen. Und beim Kirchentag selbst folgten katholische Teilnehmende, auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, der offiziell ausgesprochenen Einladung zum evangelischen Abendmahl, evangelische Teilnehmende, auch die Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, gingen zur katholischen Eucharistie.

Ein starkes Zeichen - vor allem in Richtung  Vatikan. Ein Zeichen dafür, dass katholische und protestantische Christen die von den Amtskirchen praktizierte Trennung des Glaubenslebens überwinden wollen. Ein Zeichen für die Macht der Laien, die dogmatische Vorgaben insbesondere aus Rom nicht mehr unwidersprochen hinnehmen wollen.

Momente, die bleiben werden von diesem 3. Ökumenischen Kirchentag in Deutschland. Was 2003 in Berlin begann und 2010 in München wiederholt wurde, fand nach elf Jahren eine Fortsetzung.

Und Momente, die Christinnen und Christen in Gemeinden gewiss aufgreifen werden. Und das alles im Land der Reformation. Für römische Kontrolleure steht Deutschland damit seit 500 Jahren unter dem Verdacht des Glaubensverlustes. Aber zugleich ist Deutschland eben das Land mit der längsten Erfahrung des Miteinanders von Kirchen.

Versöhntes Miteinander

Dabei kann der ökumenische Dialog zwischen Katholiken und Protestanten auf eine weit größere Geschichte zurückblicken. In wenigen Tagen jährt sich zum 50. Mal das "Ökumenische Pfingsttreffen" vom 3. bis 5. Juni 1971 in Augsburg. Zum Abschluss-Gottesdienst kamen damals rund 18.000 Gläubige.

In Zeiten der Konfrontation ist versöhntes Miteinander einst verhasster Konfessionen ein Zeichen an die Religionen der Welt. Da geht es gar nicht vorrangig um die offizielle Ebene: nein, das fängt an bei konfessionsverbindenden Ehen und Familien, die heute in Deutschland selbstverständlich sind.

Das "gemeinsam unterwegs" ist nun glaubhafter als bislang das Zeichen des Kirchentages. Die Kirchen können dadurch gewinnen.  Beim Abschluss in Frankfurt gab es die Einladung zum nächsten Katholikentag 2022 in Stuttgart, zum nächsten Evangelischen Kirchentag 2023 nach Nürnberg. Die Einladung ging bewusst an alle Konfessionen. Dahinter wird man nicht mehr zurückkönnen.

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