Der Fall des zu acht Jahren Haft verurteilten französischen Touristen Benjamin Brière zeigt, wie unberechenbar die Urteile der iranischen Justiz sind. Individualreisen in den Iran sind riskant, meint Kersten Knipp.
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Die Urteile der iranischen Justiz sind schwer berechenbar. Ein Tourist schickt in einem Nationalpark nahe einer Landesgrenze eine Drohne in die Luft, macht ein paar Aufnahmen - und wird dann verhaftet, der Spionage angeklagt und zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt. Genau so ging es Benjamin Brière. Der 36-jährige Franzose war im Mai 2020 nahe der Grenze zu Turkmenistan verhaftet worden, als er dort seine Drohne fliegen ließ. Im Januar dieses Jahres fiel das Urteil gegen ihn, jetzt wurde es von einem Berufungsgericht bestätigt.
Es mag allzu leichtfertig sein, in einen autoritär geführten Staat zu reisen und davon auszugehen, man befinde sich in einem Rechtsstaat. Indem er Luftaufnahmen machte - anderswo längst alltägliches Freizeitvergnügen - lieferte Brière dem iranischen Staat eine Gelegenheit, gegen ihn vorzugehen, so durchsichtig die Anklage wegen Spionage auch immer sein mag. Das französische Außenministerium bezeichnete das Urteil als "inakzeptabel". Brière sei nur als Tourist in den Iran gereist.
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Politische Geiseln
Vermuten darf man nach der Bestätigung des Urteils aber, dass der iranischen Justiz vielerlei Vorwände einfallen, Ausländer zu verhaften, wenn ihr oder der Staatsführung das opportun erscheint. Im Zweifel lassen sich viele Anklagen konstruieren. Das wirft die Frage auf, wie sicher sich westliche Touristen im Iran noch fühlen können. Können sie davon ausgehen, am Ende ihres Urlaubs wieder den Rückflug anzutreten? Denn der Fall Brière zeigt: Eine touristische Reise in den Iran kann auch im Gefängnis enden.
Soweit bekannt, ist Brière der erste Gefangene aus dem Westen ohne doppelte Staatsangehörigkeit. Bei den bislang bekannten Gefangenen handelt es sich um Iraner oder Iranerinnen, die zugleich im Besitz eines westlichen Passes sind.Ihre Fälle legen nahe, dass es dem Iran mit den Prozessen gegen westliche Bürger vor allem um politische Ziele geht. Das belegt etwa der Fall des schwedisch-iranischen Arztes Ahmadresa Dschalali. Er wurde 2016 wegen angeblicher Zusammenarbeit mit Israel verhaftet und später zum Tode verurteilt. Ein entsprechendes Geständnis wurde Amnesty International zufolge durch Folter erpresst.
In seinem wie in anderen Fällen gehe es darum, Zugeständnisse oder Freilassungen von im Ausland inhaftierten Iraner zu erpressen, so Amnesty. So gesehen, sind die Verurteilten nichts anderes als politische Geiseln. Im konkreten Fall geht es um die Freilassung von Hamid Nouri, einen 2019 in Schweden verhafteten ehemaligen Staatsbeamten. Nouri muss sich in Schweden wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an den iranischen Gefängnismassakern von 1988 verantworten. Damals waren bis zu zehntausend politische Gefangene hingerichtet worden, die meisten durch den Galgen.
Druck auf Verhandlungspartner?
Der Iran bestreitet zwar einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen. Doch der damalige iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif hatte anlässlich der bereits geplanten, dann aber verschobenen Hinrichtung Nouris im Dezember 2020, öffentlich die Bereitschaft erklärt, sich auf einen Gefangenenaustausch einzulassen. "Es liegen mehrere Vorschläge des Iran auf dem Tisch", so Sarif. "Ich habe einen globalen Austausch von iranischen Gefangenen vorgeschlagen."
Derzeit laufen in Katar Verhandlungen zwischen dem Iran und westlichen Staaten zu den derzeit stockenden Vereinbarungen zum iranischen Atomprogramm. An ihnen nehmen auch Großbritannien, Frankreich und Deutschland teil. Alle drei Länder haben Staatsbürger, die im Iran derzeit unter fadenscheinigen Begründungen in Haft sitzen. Ob Iran durch sie zusätzlichen Druck auf die Verhandlungspartner aufbauen will, lässt sich nur vermuten. Fakt aber ist: Individualreisen in den Iran, ob aus beruflichen oder nur touristischen Gründen, sind potenziell gefährlich.
Als Geiseln in iranischen Gefängnissen
Iran setzt verhaftete Ausländer und Iraner mit doppelter Staatsbürgerschaft als Druckmittel in Verhandlungen ein. Bedrückende Schicksale sogenannter "Geiseldiplomatie".
Bild: Jamie Wiseman/picture alliance
Nazanin Zaghari-Ratcliffe
Nach dem Ende einer fünfjährigen Haftstrafe steht die 42-jährige britisch-iranische Staatsbürgerin erneut vor Gericht, wegen angeblicher "Propaganda gegen Iran". Die Mitarbeiterin der Thomson-Reuters-Stiftung, die weltweit Journalisten ausbildet, wurde zuerst im Mal 2016 wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" verhaftet. Sie wollte damals mit ihrer Tochter ihre Eltern im Iran besuchen.
Bild: Karl Brandt/Couertesy of Free Nazanin campaign/REUTERS
Zaghari-Ratcliffes Ehemann Richard
Nazanins Tochter Gabriella konnte 2019 zu ihrem Vater nach London zurückkehren. Er sagte der DW: "Wir erhielten im Sommer 2016 folgende Botschaft: Wenn die britische Regierung bereit wäre, den Revolutionsgarden entgegenzukommen, würden sie die Anklage fallen lassen." Iran will von London umgerechnet rund 450 Millionen Euro für Waffen zurück, die wegen der Revolution 1979 nicht geliefert wurden.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Rousseau
Nahid Taghavi
Warum die deutsch-iranische Architektin im Oktober 2020 in Teheran verhaftet wurde, ist nicht bekannt. Bis zum 16. März saß sie in Isolationshaft. "Ich bin nur froh, dass sie nicht mehr unter psychischer Folter steht und in den Frauentrakt verlegt wurde", schreibt ihre Tochter Mariam auf Anfrage der DW. "Sie wurde insgesamt 1000 Stunden verhört. Eine Anklageschrift liegt nicht vor."
Bild: Privat
Siamak Namazi
Der 49-jährige iranisch-amerikanische Geschäftsmann sitzt seit Oktober 2015 hinter Gittern. Er wurde während eines Besuchs bei Verwandten verhaftet. Trotz der laufenden Verhandlungen mit US-Beteiligung über ein Atomabkommen wurde er wegen "Zusammenarbeit mit der feindlichen amerikanischen Regierung" zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Bild: Reuters/A. Kiarostami
Mohammad-Bagher Namazi
Der heute 85-jährige Bagher Namazi reiste im Februar 2016 in den Iran, um nach langer Trennung seinen Sohn wiederzusehen. Vor der Revolution von 1979 war Namazi Gouverneur einer ölreichen Provinz im Iran. Bei seinem Heimatbesuch wurde er verhaftet und zu zehn Jahren Haft verurteilt. 2018 erhielt er aus gesundheitlichen Gründen Haftverschonung. Das Land darf er nicht verlassen.
Bild: iran-emrooz
Fariba Adelkhah
Die 62-jährige iranisch-französische Sozialanthropologin wurde im Mai 2019 während einer Reise in den Iran festgenommen. Sie wurde wegen "Spionage" vor Gericht gestellt. Von dem Vorwurf wurde sie zwar freigesprochen, aber wegen "Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" zu sechs Jahren Haft verurteilt. Seit Oktober 2020 steht sie in Teheran unter Hausarrest.
Bild: Salvatore Di Nolfi/Keystone/picture-alliance
Adelkhah und ihr französischer Ehemann Roland Gabriel Marchal
Im Juni 2019 reiste Roland Gabriel Marchal in den Iran, um seine Frau Fariba zu besuchen. Er wurde verhaftet und erst im März 2020 freigelassen: Im Austausch für die Freilassung eines Iraners, der wegen Verstoßes gegen US-Sanktionen in Frankreich vor Gericht stand. Der Fall von Fariba Adelkhah sei auch politisch motiviert, teilt das französische Außenministerium mit.
Bild: Sciences Po
Benjamin Brière
Der 35-jährige Brière wurde im Mai 2020 festgenommen. Der Franzose war als Tourist unterwegs und soll versucht haben, mit seiner Drohne ein Gebiet nahe der Grenze zu Turkmenistan zu fotografieren. Nach zehn Monaten Haft wird ihm nun "Propaganda gegen das System" vorgeworfen. Brière soll in sozialen Netzwerken "Fragen zum obligatorischen Kopftuch im Iran" gestellt haben.
Bild: Iranhumanrights
Anoosheh Ashoori
Der 66-jährige iranisch-britische Ingenieur wurde verhaftet, als er im August 2017 seine Mutter in Teheran besuchte. Ein Jahr später wurde er wegen der "Zusammenarbeit mit feindlichen Staaten gegen die Islamische Republik, darunter Israel" zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Nach Angaben seiner Familie konnte sein Anwalt erst eine Stunde vor der letzten Anhörung seine Akten einsehen.
Bild: Elika Ashoori
Kylie Moore Gilbert
Die britisch-australische Islamwissenschaftlerin Kylie Moore Gilbert wurde 2018 nach dem Besuch einer Konferenz im Iran verhaftet und wegen "Spionage für Israel" zu zehn Jahren Haft verurteilt. Im November 2020 wurde sie im Austausch gegen drei in Thailand inhaftierte Iraner freigelassen. Seither setzt sie sich für die Freilassung politischer Gefangener im Iran ein.