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Politik

Respekt und Gemeinsinn - trotz Corona

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
31. Dezember 2021

Bundeskanzler Olaf Scholz konzentriert sich in seiner ersten Neujahrsansprache auf das Wesentliche: die Überwindung der Pandemie und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Alles andere kann warten. Gut so, sagt Jens Thurau.

Ein Fernseher in einem Nebenraum des Bundeskanzleramts zeigt Olaf Scholz bei der Aufzeichnung der NeujahrsanspracheBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Die kleine Koketterie gleich zu Beginn seiner ersten Rede zum neuen Jahr sei Olaf Scholz, dem neuen Bundeskanzler, einfach mal gestattet: Er spricht von den vielen Veränderungen, die 2021 für die Menschen mit sich gebracht hat, und dann: "Eine kleine Veränderung: Heute richte ich als Ihr Bundeskanzler die Neujahrsansprache an Sie." Sich bloß nicht erhöhen, lautet diese Botschaft, denn für die Menschen gibt es gerade viel Wichtigeres als die Frage, ob Scholz nun ein guter Bundeskanzler wird oder nicht. Sie wollen, dass die Pandemie zu Ende geht, und Scholz weiß das.

Die Gegenmittel gegen Corona sind bekannt und Scholz erwähnt sie, ohne groß moralisierend zu werden: Das Impfen, die Masken, das Einhalten der Abstände. Noch einmal gilt sein Dank den Ärzten und Pflegern, den Polizisten und Bundeswehrsoldaten. Tatsächlich kann man das ja nicht oft genug sagen. Scholz appelliert noch einmal, hoffentlich ein letztes Mal, die Geduld aufzubringen, noch einmal die Beschränkungen zu ertragen, vor allem jetzt, in dieser merkwürdigen Zwischenphase, da die Infektionszahlen noch gering sind, aber mit der Omikron-Variante die vielleicht härteste Bewährungsprobe für alle vor der Tür steht. "Jetzt kommt es aufs Tempo" an, ruft Scholz den Menschen zu, so leidenschaftlich, wie es diesem eher spröden Norddeutschen möglich ist.

Argumente statt Anklagen

Wie schon im Wahlkampf und der Zeit danach, als ihm klar wurde, dass er tatsächlich Kanzler werden könnte, wehrt sich Scholz auch jetzt vehement gegen die These von der Spaltung der Gesellschaft. Sich bloß nicht von einigen wenigen Schreihälsen irritieren lassen, lautet seine Botschaft. Scholz verzichtet auf jede Verteufelung von Corona-Leugnern, er nimmt sie gar nicht erst wahr. Stattdessen geht er offen zu auf diejenigen, die noch skeptisch sind, ob sie sich impfen lassen sollen. Er erwähnt die beeindruckende Zahl von fast vier Milliarden Impfungen weltweit. Argumente statt Anklagen. Und schon zu Beginn zeigt er sich beeindruckt, wie die Menschen nach der schlimmen Flut im Westen im Sommer zueinander gefunden hätten.  

Immer wieder kommen in seiner Rede diese Worte vor: Respekt, Zuversicht, Gemeinsinn. Scholz zeichnet das Bild eines Landes, das er anstrebt, in weiten Teilen offenbar jetzt schon so wahrnimmt. Fast wirkt es, als wolle er es herbeireden. Das geht dann so weit, dass Rechtsextremismus, Antisemitismus und die wachsende Alltags-Aggressivität in seiner Rede gar nicht vorkommen. Scholz setzt auf die schweigende Mehrheit, auf die Vernunft, auf Anstand. 

Und im letzten Drittel ist seine erste Neujahrsansprache dann fast eine Regierungserklärung: Mit der Unterstützung der breiten Mehrheit macht sich Deutschland auf in die Klimaneutralität, wird international weiter für die friedliche Zusammenarbeit eintreten, in Europa auf Demokratie und Rechtstaatlichkeit achten. Das einzige aktuelle, konkrete Thema in diesem Teil der Rede ist der Konflikt um die Ukraine, die Unverletzlichkeit der Grenzen nennt der Kanzler nicht verhandelbar. 

Scholz ist kein mitreißender Redner, er weiß das. Aber für feurige Ansprachen an das Volk war auch seine Vorgängerin nicht bekannt. Der neue Bundeskanzler, einige wenige Wochen im Amt, hat sich auf das beschränkt, was den Menschen jetzt, wie er richtig sagt, in den Knochen steckt: die Pandemie. Eine Rede der Selbstbeschränkung war das. Das ist am Anfang der Amtszeit keine schlechte Wahl. Vollmundige Versprechen würden die Menschen ihrem neuen Kanzler sowieso nicht abnehmen. Und zu Scholz hätte es erst recht nicht gepasst. Aber das mit der hohen Bedeutung des gegenseitigen Respekts, das nimmt man ihm ab. Wir werden es sicher noch oft von ihm hören. Gut so.