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PolitikEuropa

Russland als Drahtzieher?

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
28. September 2022

Das Netz ist voller Verschwörungstheorien über die Ursache der Lecks der Nord Stream-Pipelines. Aber wirklichen Nutzen hat - zumindest indirekt - allein Moskau, meint Miodrag Soric.

Aus der Pipeline Nord Stream 2 wurde über Nacht ein Haufen SchrottBild: Jens Buettner/AP Photo/picture alliance

Der Kreml weist Anschuldigungen empört zurück, Russland stünde hinter der Sabotage der Pipelines in der Ostsee. So wie Putin auch behauptet, Russland habe in der Ukraine keinen Krieg begonnen. Oder sein Land keine zivilen Ziele in der Ukraine angreife.

Putin hat auch den Vorwurf "eine Ladung Unsinn" genannt, der zufolge Moskau Energie als Waffe einsetze. Und überhaupt haben Putin und sein Außenminister Lawrow vor dem Angriff auf die Ukraine jegliche Absicht in diese Richtung als böswillige Spekulation abgetan. Dieser Tage behaupten sie, bei den Schein-Referenden im Osten der Ukraine seien alle für den Anschluss an Russland. Die Liste der Lügen ließe sich fortsetzen.

Wo bleibt die Gelassenheit Russlands?

Wenn jetzt die russische Regierung jegliche Verantwortung für die "Vorfälle" in der Ostsee ablehnt, muss und wird das niemand ernst nehmen. Diese Führung hat den letzten Rest von Glaubwürdigkeit oder Seriosität längst verloren. Übrig ist allein die Angst vor dem Machtverlust, der Aussicht, den Krieg gegen die Ukraine zu verlieren und für die eigenen Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden. Angst, die sich zeigt in hysterischem Geschrei und wilden Drohungen an die Adresse des Westens. Wenn sich Russland seines Sieges gegen die zivilisierte Welt doch so sicher ist: Wo bleibt denn die Gelassenheit?

DW-Chefkorrespondent Miodrag Soric

Auf dem Schlachtfeld läuft es nicht so, wie von Moskau geplant. Im Gegenteil. Eine im Vergleich zu Russland kleine, aber hoch motivierte Armee führt Moskaus Militärapparat vor. Die ganze Welt - darunter auch China - schaut zu. Allein dadurch hat Putin Russlands Autorität bleibenden Schaden zugefügt: Wenn schon die ukrainischen Soldaten dem russischen Militär überlegen sind, um wieviel mehr gilt das für China, die Türkei oder viele andere Länder? Putins langjähriges Bestreben, zumindest militärisch mit den USA auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, hat sich in der ostukrainischen Luft in ein Nichts aufgelöst.

Wem nützt das?

Da es Wochen dauern wird, bis wir mehr über die Hintergründe des Sabotageaktes gegen die Gasröhren in der Ostsee wissen, kann jetzt nur spekuliert werden. Wem nützt diese Tat? Gewiss nicht Europa. Aber auch nicht den USA. Denn mit Putins Angriff auf die Ukraine hatten die Amerikaner ihr Ziel erreicht: Russlands Aggression verwandelte die Pipeline Nord Stream 2 vom transatlantischen Zankapfel zu Stahlschrott auf dem Grund des Meeres.

Inzwischen tut Europa alles, um Rohstofflieferungen aus Russland zu reduzieren - möglichst auf Null. Nach anfänglichen Mühen wird den Europäern dies auch gelingen. Sicher: Sie werden ökonomisch einen hohen Preis dafür zahlen. Ihr Wohlstand wird sich verringern. Doch das werden sie verschmerzen können.

Russland produziert nichts Marktfähiges

Noch schlimmer sieht es hingegen für Moskau aus. Russland lebt vom Verkauf von Rohstoffen - wegen der Pipelineverläufe besonders an Europa. Wovon sollen die Russen leben, wenn der Westen Öl, Gas, Gold, Nickel und andere Rohstoffe nicht mehr will - selbst wenn sie billiger sind als auf dem Weltmarkt? Russland produziert nichts, was es im Ausland verkaufen kann. Putins Regierung hat 20 Jahre lang den Beweis geliefert, dass es die einheimische Wirtschaft nicht modernisieren kann.

Nach diesem Winter sind Russlands wirtschaftliche Aussichten düster: Europa wird LNG-Gas in den USA, Norwegen, Katar und anderen Ländern kaufen. Öl gibt es in Nord-Afrika und in vielen arabischen Staaten genug. Moskaus angekündigte Neuorientierung zu den asiatischen Märkten wird Jahrzehnte dauern. Man muss kein Prophet sein, um schon jetzt vorauszusagen, dass auch dieses Ziel der russischen Führung eine Fata Morgana ist.

Gaspipelines in der Ostsee

Erpressung als Ausweg

Was also tun? Einmal mehr versuchen, den Westen zu erpressen! Jetzt hat Russland zwar vermutlich seine eigenen Pipelines - die von Gazprom - angegriffen. Die Botschaft an Europa lautet aber: Beim nächsten Mal könnten es die aus Norwegen nach Polen sein oder die aus Afrika nach Italien - Moskaus U-Boote können überall zuschlagen!

Am Ende darf und wird sich der Westen nicht erpressen lassen. Die NATO ist nicht wehrlos. Die Notwenigkeit, die kritische Infrastruktur zu verteidigen, ist ein weiterer Grund dafür, die Wehretats der westlichen Länder drastisch zu erhöhen. Auch, damit ihre Kriegsschiffe und U-Boote stärker Präsenz zeigen können in der Ostsee, im Nordatlantik und im Schwarzen Meer.

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