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Politik

Schluss mit "ehemaligen Sowjetrepubliken"!

Autor und Kolumnist der ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle Eugen Theise
Eugen Theise
24. August 2021

In den Medien ist die Bezeichnung "ehemalige Sowjetrepublik" nach wie vor ein Synonym für Länder wie die Ukraine, Belarus oder Georgien. 30 Jahre nach dem Zerfall des Sowjetreichs - ein Unding, meint Eugen Theise.

Hammer und Sichel sowie die Farbe rot sind passé - die Ukraine ist stolz auf ihre nationalen SymboleBild: Imago Images/CTK Photo/P. Svancara

"Ehemalige Sowjetrepublik Moldau hat eine neue prowestliche Regierung" - titelte kürzlich eine deutsche Zeitschrift. "In den vergangenen Jahren wurde die zwischen der Ukraine und Rumänien liegende Ex-Sowjetrepublik von mehreren Korruptionsskandalen erschüttert", präzisierte eine Online-Zeitung offenbar für diejenigen, die Geographie nicht drauf haben. Dann gab es da noch "Wirtschaftssanktionen gegen die Ex-Sowjetrepublik Belarus" und zur Ukraine hatte eine Nachrichtenagentur aus Österreich Anfang August zu vermelden, dass bereits "drei Millionen Menschen in der Ex-Sowjetrepublik vollständig mit zwei Dosen geimpft" worden seien.

Es ist ein erstaunliches Phänomen: Hartnäckig wird der Begriff "Ex-Sowjetrepublik" zur Bezeichnung einer ganzen Reihe von Staaten verwendet. So, als wäre das Sowjetreich erst gestern zerbrochen.

Der Schatten des Sowjetreichs

"Ukraine? Wo ist das?", - hörte man noch vor einigen Jahren regelmäßig von Deutschen oder Engländern. "Gehört das zu Russland"? - "Das ist direkt hinter Polen und: nein, das gehört nicht zu Russland". Jahr für Jahr wurde es zu einer immer größeren Geduldsprobe, solch saloppe Fragen mit einem freundlichen Lächeln zu beantworten. Nun sind drei Jahrzehnte vergangen. Sollte es tatsächlich immer noch jemanden geben, der nicht weiß, wo die Ukraine, Moldau, Georgien oder Belarus liegen, soll er halt googeln. Kein Mensch braucht noch "ehemalige Sowjetrepubliken" als eine Art "Eselsbrücke" für Geografie-Muffel. Warum dieser Verweis auf ein untergegangenes Imperium?

DW-Redakteur Eugen Theise

Nur 14 Prozent der unter 30-jährigen Ukrainerinnen und Ukrainer identifizieren sich aktuellen Meinungsumfragen zufolge heute noch mit der ehemaligen Sowjetunion. Mehr als dreimal so viele sehen sich stattdessen als Europäer. 86 Prozent fühlen sich gleichzeitig in erster Linie als "ukrainische Staatsbürger". Wie lange wollen wir dieses Land also noch als "ehemalige Sowjetrepublik" abstempeln?

Am 24. August jährt sich zum 30. Mal die Unabhängigkeitserklärung des Landes. Auch andere Staaten feiern in diesem Jahr das Jubiläum ihrer Loslösung vom Sowjetreich. Die neue Generation in diesen Ländern weiß meist schon aus dem Schulunterricht, dass die Sowjetunion alles andere als ein freier Zusammenschluss gleichberechtigter "Republiken" war. Sondern ein auf Angst und Repression gebautes Imperium mit Zentrum in Moskau. Warum muss ein Land wie die Ukraine auf unbestimmte Zeit das Etikett "ehemalige Sowjetrepublik" tragen, nachdem die Sowjets Millionen Menschen dort durch ihre Zwangskollektivierung verhungern ließen? Warum noch das gleiche Etikett für Georgien, wo der Jahrestag der sowjetischen Besatzung als nationaler Trauertag begangen wird?

Duktus des Wladimir Putin

Wer heute noch von "ehemaligen Sowjetrepubliken" spricht, übernimmt - meist unbewusst - den Duktus des ehemaligen KGB-Manns Wladimir Putin, der den Zerfall der Sowjetunion als "größte geopolitische Tragödie des 20. Jahrhunderts" ansieht. So macht man unabhängige Länder zum Vorgarten eines Herrschers, der längst nicht davor zurückschreckt, seine Machtgelüste mit militärischen Mitteln zu umzusetzen.

Nach Putins Logik sind Weißrussen und Ukrainer keine eigenständigen Völker, sondern "Produkt sowjetischer Nationalitätenpolitik", die aus einem russischen Volk drei gemacht habe, so Putin in einem kürzlich veröffentlichtem Programmtext. Auf dem Gebiet der einstigen Sowjetunion teilt allenfalls noch der machtsüchtige weißrussische Diktator Lukaschenko dieses Paradigma mit seinem Schutzpatron und Geldgeber in Moskau. Belarus unter Lukaschenka ist noch am ehesten eine "ehemalige Sowjetrepublik", selbst die Flagge der "Belarussischen Sowjetrepublik" übernahm der Diktator. Doch die Menschen mit weiß-rot-weißen Flaggen der Opposition, die furchtlos gegen Lukaschenkos Diktatur kämpfen, wollen das sowjetische Erbe überwinden. Aus selbem Grund wehten 2013 und 2014 EU-Flaggen auf dem Maidan in Kiew, wo später zahlreiche Menschen ihr Leben gelassen haben. 

Neue Länder Europas statt "ehemalige Sowjetrepubliken"

Es gibt einen guten Grund, warum die ostdeutschen Länder, die seit 1990 zur Bundesrepublik gehören, "neue Bundesländer" genannt werden und eben nicht "ehemalige DDR": Die Deutschen haben nach der Wende die Symbolstärke von Sprache erkannt und dafür gesorgt, dass Menschen nicht weiter mit einem Unrechtsstaat in Verbindung gebracht werden. Daher die neue Wortschöpfung, die in die gemeinsame Zukunft gerichtet war und Ebenbürtigkeit betont. Spätestens heute, 30 Jahre seit den Unabhängigkeitserklärungen von 1991, sollte endlich derselbe Maßstab für die Staaten in Osteuropa gelten. Diese Länder sind gleiche unter gleichen in Europa. Überlasst die "Sowjetrepubliken" den Historikern.

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