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Politik

Meinung: Schluss mit der Afghanistan-Heuchelei!

15. August 2021

Seit Jahren wird Afghanistan als vermeintlich sicher eingestuft. Jetzt, nachdem die Taliban das Land überrannt haben, geben sich manche im Westen überrascht. Diese Heuchelei muss enden, meint Waslat Hasrat-Nazimi.

Bild: Sidiqullah Khan/AP/dpa/picture alliance

Kaum waren die US-Truppen weitgehend abgezogen, ging es ganz schnell. Innerhalb weniger Tage überrannten die Taliban eine Provinz nach der anderen. Wie Dominosteine fielen auch die Provinzhauptstädte. Tausende Afghaninnen und Afghanen ergriffen die Flucht und hofften, in der Hauptstadt Kabul einen sicheren Unterschlupf zu finden – vergebens. Auch Kabul ist inzwischen in den Händen der Taliban.

Im Westen schaut man teils erstaunt und teils gebannt zu, wie binnen weniger Tage die Islamische Republik Afghanistan zu einem islamischen Emirat wird. Immer wieder erreichen mich Nachrichten und Anrufe von Bekannten und Kollegen, die ihr Mitgefühl ausdrücken. Ein Kollege aus der arabischen Redaktion der DW sagt, er wisse selbst nicht so genau warum, aber es nehme ihn unglaublich mit, was passiere. 

Die große Lüge des Afghanistaneinsatzes

Der Grund, warum viele schockiert sind, ist, dass sie allmählich begreifen, dass ihre Regierungen vor zwanzig Jahren nicht in Afghanistan einmarschiert sind, um für die Menschenrechte einzutreten, sondern einzig und allein aus politischen Interessen. 

Seit sich die politischen Interessen gewandelt haben, seit die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr aufgeht, will man raus, und zwar so schnell wie möglich. Es war alles eine große Lüge. Menschenrechte? Frauenrechte? Demokratie? Das sollen nun die Afghanen unter sich ausmachen, sagte US-Präsident Joe Biden vor kurzem. Er werde den Einsatz, der von vier aufeinanderfolgenden US-Präsidenten geleitet wurde, nicht an einen fünften weitergeben.

Angetreten für Menschenrechte

Was er dabei verschweigt: Die USA sind im Oktober 2001 in Afghanistan nicht nur einmarschiert, um die Taliban und Al Qaida zu bekämpfen. Sie versprachen dem afghanischen Volk, dass sie das Land demokratisieren würden. Eines der Hauptargumente für die Besatzung war der Schutz der Rechte der afghanischen Frauen. Jetzt, knapp zwanzig Jahre später, wird klar, dass es nie um die Frauen oder die Demokratie ging. Alles war nur leere Rhetorik. 

Waslat Hasrat-Nazimi leitet die Dari/Paschtu-Redaktion der DWBild: Fahim Farooq

Die gleichen Frauen, die man beschwichtigte, wenn sie angeblich zu vehement für ihre Rechte eintraten, und denen man versprach, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit würden am Ende immer siegen, werden nun zurückgeworfen in die Dunkelheit von vor zwanzig Jahren. Sie wurden verraten und verkauft. Viele Frauenrechtlerinnen bangen um ihr Leben.

Die gleiche Heuchelei findet sich in der Asylpolitik der EU und Deutschlands. Seit vielen Jahren flüchten Afghaninnen und Afghanen aus ihrem Geburtsland. Niemand verlässt leichtfertig seine Heimat. Sie fliehen, weil sich die Sicherheitslage in Afghanistan immer weiter verschlechtert hat. 

Geflüchtete müssen aufgenommen werden

Das alles wurde ignoriert. Afghanistan wurde als "sicher" eingestuft. Viele Geflüchtete wurden abgeschoben, andere nur geduldet. Tausende Afghanen leben unter menschenunwürdigen Bedingungen in Griechenland, in der Türkei oder auf dem Balkan. Die EU-Politiker weigerten sich anzuerkennen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan desolat, dass die Intervention gescheitert war. 

Jetzt, da es zu spät ist, geben sie sich schockiert – die Politiker, die Medien und die Akademiker. Dabei tragen Länder wie Deutschland eine Verantwortung. Statt jahrelang Warlords und korrupte Politiker zu unterstützen, hätten sie sich ernsthaft mit dem afghanischen Volk und seiner Kultur auseinandersetzen müssen. Sie hätten auf die Frauen hören sollen, statt diese zu beschwichtigen. Statt eine Armee aufzubauen, hätte man gemeinsam mit den Menschen im Land eine Perspektive schaffen müssen. 

Was nun? Die westlichen Staaten der internationalen Gemeinschaft müssen den afghanischen Flüchtlingen so schnell und so unbürokratisch wie möglich Asyl gewähren. Sie sollten diejenigen, die unter teils erbärmlichen Bedingungen in EU-Ländern auf einen Bescheid warten, endlich aufnehmen. Dasselbe gilt für die, die in den nächsten Monaten und Jahren kommen werden, aus dem zerstörten Land, das der Westen zurückgelassen hat. Das ist das Mindeste, was Europa für die Menschen in Afghanistan tun kann.

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