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Schluss mit der Kriminalisierung der Abtreibung

Kommentarbild PROVISORISCH DW Autorin Janina Semenova
Janina Semenova
24. Juni 2022

Der Deutsche Bundestag hat das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen abgeschafft - ein Gesetz aus der Nazi-Zeit. Die Entscheidung war längst überfällig, geht aber nicht weit genug, meint Janina Semenova.

Der § 219a ist nur ein Stein des Anstoßes. Eigentlich geht es vielen Frauen um die grundsätzliche Freiheit über ihren KörperBild: Emmanuele Contini/NurPhoto/picture alliance

Hängen in Berlin bald Plakate, auf denen Abtreibungen zum Spotpreis angeboten werden? Und buhlen gynäkologische Praxen in Deutschland auf Instagram bald um Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft beenden wollen?

Das ist es, was einige Konservative und Lebensschützer jetzt wohl befürchten, nachdem der Bundestag das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen abgeschafft hat. Die Entscheidung, den umstrittenen Paragrafen 219a abzuschaffen, war längst überfällig - nicht nur, weil das Gesetz seinen Ursprung im Nationalsozialismus hat. In Deutschland wurden Ärztinnen und Ärzte zu Geldstrafen verurteilt, weil sie Abtreibungen als Leistung auf ihrer Website auflisteten.

Schwangerschaftsabbrüche weiterhin illegal

Das Gesetz wurde zwar 2019 reformiert, doch Mediziner durften immer noch nicht öffentlich darüber informieren, dass und mit welcher Methode sie Abtreibungen vornehmen. Reißerisch für Schwangerschaftsabbrüche zu werben, verbietet bereits die medizinische Ethik. Deshalb ist die Entscheidung, § 219a abzuschaffen, richtig. Ärztinnen und Ärzte sollten informieren und aufklären dürfen. Die Entscheidung abzutreiben, trifft auch niemand leichtfertig. So viel Verantwortungsbewusstsein  sollte man uns Frauen schon zugestehen.

DW-Redakteurin Janina SemenovaBild: Privat

Die Abschaffung von § 219a geht aber nicht weit genug: Denn Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland grundsätzlich immer noch illegal und im Strafgesetzbuch geregelt - im selben Kapitel wie Mord und Totschlag. Sie sind nur unter bestimmten Bedingungen straffrei: nach einer Vergewaltigung, aus medizinischen Gründen oder in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft nach einer verpflichtenden Beratung.

Doch mit dieser Regelung steht Deutschland in zwei großen Punkten im Gegensatz zu den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Schwangerschaftsabbrüchen. Denn die WHO sieht die Kriminalisierung von Abtreibungen und obligatorischen Wartezeiten als Barrieren, die abgeschafft werden sollten.

Abtreibungen gibt es immer - egal welches Gesetz gilt

Gesetze werden Abtreibungen niemals verhindern. Auch in Ländern, in denen strenge Gesetze sie verbieten, finden Frauen immer einen Weg, ungewollte Schwangerschaften zu beenden. Nur riskieren sie dann häufig ihr Leben. Mehr als 22.000 Frauen und Mädchen sterben weltweit jährlich an unsicheren Abtreibungen, berichtet die Organisation Ärzte ohne Grenzen.

Deutschland sollte als modernes Beispiel vorangehen und Abtreibung gemäß der WHO-Richtlinie außerhalb des Strafgesetzbuches regeln. Denn alles andere macht nur deutlich, dass wir weiterhin in einer patriarchalen Gesellschaft leben, die Frauen immer noch nicht zugesteht, Entscheidungen über ihren Körper selbst zu treffen.

Ja, die Abschaffung des § 219a ist ein weiterer wichtiger Schritt. Aber das eigentliche Ziel bleibt: Abtreibungen gehören nicht ins Strafgesetzbuch.

Janina Semenova DW-Korrespondentin in Riga@janinasem
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