1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Schulen werden mit Corona allein gelassen

12. Januar 2021

Was sich in der Pandemie an deutschen Schulen abspielt, ist unfassbar. Lehrer und Schüler müssen ausbaden, dass die Politik die Digitalisierung jahrelang verschlafen hat. Note ungenügend, meint Sabine Kinkartz.

Jedes Kind ein Laptop mit Zugang zu interaktiven Lernplattformen? So ist es längst nicht in DeutschlandBild: K. Schmitt/Fotostand/picture alliance

Die Ferien sind vorbei, die Schule hat wieder begonnen. Im Lockdown heißt das: Lernen auf Distanz. Im digitalen Zeitalter selbstverständlich kein Problem: Alle sitzen zu Hause vor ihren Computern, angeschlossen an die Datenautobahn. Man trifft sich in virtuellen Klassenzimmern auf digitalen Lernplattformen, wo Unterricht in Videokonferenzen stattfindet, Aufgaben interaktiv gelöst werden und auch Prüfungen wie selbstverständlich im Online-Modus abgehalten werden können.

Stopp! Im hochtechnisierten Industrieland Deutschland können Millionen Schüler und Lehrer bei dieser Beschreibung nur bitter auflachen. Für sie ist das eine Utopie, von der sie nur träumen können. An den meisten deutschen Schulen wird heute noch so unterrichtet wie vor 30 Jahren: Mit Tafel und Kreide und einem Projektor, mit dem man Folien visuell an die Wand werfen kann.

Digitales Entwicklungsland

Es fehlt an allem, was nötig wäre, um auch auf Distanz gut unterrichten zu können: An ausreichend Laptops oder Tablets für alle, die zuhause keine eigenen Geräte zur Verfügung haben. An technischen und didaktischen Fortbildungen für Lehrer und an einer digitalen Infrastruktur, die das Lernen auf Distanz überhaupt erst möglich macht. Daran hat sich auch im elften Monat der Pandemie herzlich wenig geändert.

Nur ein Drittel aller deutschen Schulen sind mit Breitbandanschlüssen und flächendeckendem WLAN ausgestattet. Für viele Schüler und Lehrer sieht es aber auch zuhause nicht viel besser aus. Vor allem im ländlichen Deutschland stottern die Datenverbindungen, wenn sie überhaupt existieren. Die Kommunikations-Software, die Lern-Cloud, steckt noch in den Kinderschuhen. Kommerzielle Plattformen wie Microsoft Teams, Zoom & Co sind für deutsche Schulen weitgehend tabu, weil die Server meistens im außereuropäischen Ausland stehen, wo der Datenschutz nicht ausreichend gewährleistet ist.

Jedes Bundesland geht seinen eigenen Weg

Schon länger wird am Aufbau eines eigenen Systems gearbeitet, angeschlossen an deutsche Server. Eine grundsätzlich gute Idee, aber im föderal organisierten Deutschland konnten sich die Bundesländer nicht auf ein einheitliches System einigen. Statt die Kräfte zu bündeln, gibt es nun bundesweit ganz viele Netzwerke, die aber alle nicht ausgereift sind. Ein Problem sind vor allem die zu gering bemessenen Server, die bei zu großer Belastung zusammenbrechen. Frust und Ärger sind groß, guter Unterricht auf Distanz sieht anders aus.

Viel zu spät wurde in Deutschland mit der digitalen Entwicklung der Schulen begonnen. Erst 2016 legten die Kultusminister der Bundesländer, die für die Bildungspolitik zuständig sind, eine Strategie vor. Mit gleich hochfliegenden Plänen. Sie stellten allen Schülerinnen und Schülern eine digitale Lernumgebung für spätestens 2021 in Aussicht. Geld dafür hatten sie allerdings nicht.

Und dann kam Corona

Das wurde erst im Frühjahr 2019 von der Bundesregierung freigegeben, in Form eines fünf Milliarden Euro schweren Digitalpakts. Verbunden mit der Auflage, dass Mittel nur fließen würden, wenn die Schulen ein digitales Konzept vorlegen könnten. Das hatten die meisten aber nicht - und dann kam Corona. Im Juni 2020 waren erst rund 15 Millionen Euro aus dem Digitalpakt an die Schulen abgeflossen.

Ein peinliches Versagen, für das vor allem die Politik verantwortlich ist. Das einzugestehen, schaffen die Bildungsminister aber nicht. Sie schaffen es noch nicht einmal, kurzfristige Lösungen zu bieten: zum Beispiel den Unterricht in leerstehende Theater und Konzertsäle zu verlegen oder Lehramtsstudenten zu engagieren.

Präsenzunterricht um jeden Preis?

Stattdessen taten sie monatelang so, als schlage das Coronavirus einen weiten Bogen um die Schulen, wenn man nur die Fenster geöffnet halten und lüften würde. Sie erklärten Abstandsgebote für unnötig, damit weiterhin in engen Klassenzimmern unterrichtet werden konnte. Sie sprachen selbst dann noch von sicheren Orten, als durch Studien längst erwiesen war, dass sich Kinder und Jugendliche genauso leicht mit dem Coronavirus infizieren wie Erwachsene.

DW-Redakteurin Sabine Kinkartz

Eine Posse der besonderen Art lieferte die Berliner Bildungssenatorin, wie die Ministerin in dem Stadtstaat heißt. Obwohl die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin den Lockdown für ganz Deutschland bis Ende Januar verlängert hatten und das angesichts der sehr hohen Infektionszahlen ausdrücklich auch für die Schulen gelten sollte, ordnete Sandra Scheeres nur einen Tag später Präsenzunterricht für einzelne Jahrgänge an.

Zynisches Vorgehen

Schüler, Lehrer und Eltern liefen Sturm gegen die Entscheidung. Mit einer Online-Petition sammelten sie in kürzester Zeit zehntausende Unterschriften und erhoben vor Gericht Einspruch gegen die Anordnung. Ohne Erfolg. Schließlich schaltete sich die Berliner SPD-Führung ein und stoppte ihre eigene Senatorin in letzter Sekunde. Doch anstatt die ganze Aktion abzublasen, wälzte Scheeres die Verantwortung auf die Schulleiter ab. Sie müssten, zusammen mit den Eltern, selbst entscheiden, ob in Präsenz unterrichtet werde oder auf Distanz.

Was für ein politischer Offenbarungseid. Anstatt zu führen, also auf der Grundlage von Fakten klug abzuwägen und weise zu entscheiden, stiehlt sich die Bildungssenatorin komplett aus der Verantwortung. Ein Armutszeugnis. Aber das ist in Berlin nichts Neues. Seit Monaten wird den Schulen alles mögliche versprochen und nicht geliefert. Seien es Luftfilter für Klassenräume oder in Aussicht gestellte Corona-Schnelltests für Lehrer. Die Schulen werden mit ihren Problemen allein gelassen. Eigenverantwortung nennt das die Senatorin. Das klingt nicht nur zynisch, das ist es auch.

Bildungspolitische Katastrophe

Nicht in allen Bundesländern haben Eltern, Lehrer und Schüler erreicht, dass die Schulen bis mindestens Ende Januar geschlossen bleiben. Vor allem die Abschlussjahrgänge müssen vielfach in die Schule kommen, weil sie keine digitale Alternative haben und das Abitur sonst nicht zu schaffen wäre. Andere behelfen sich mit Aufgabenzetteln, die per E-Mail verschickt werden und mit Telefongesprächen. Es ist eine bildungspolitische Katastrophe.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen