Morde an Journalisten haben in der EU in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht. Jetzt will Brüssel sie besser schützen. Aber das ist nur eine Geste - der Grund ist ein Versagen des Rechtsstaats, meint Barbara Wesel.
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Die prominentesten Fälle von ermordeten Journalisten, die in den letzten Jahren die Öffentlichkeit aufschreckten, waren der Tod von Daphne Caruana Galizia in Malta und Jan Kuciak in der Slowakei. Beide führten zu Massendemonstrationen und dem Wechsel der Regierungen. Dann schockierte der Mord an Kriminalreporter Peter R. de Vries in diesem Sommer die Niederlande, wogegen im Frühjahr der Tod des griechischen Polizeireporters Giorgos Karaivaz kaum internationale Schlagzeilen machte.
Jetzt will die EU Journalisten besser schützen, aber das ist kaum mehr als eine hilflose Geste. Denn die Gründe sind strukturell und deuten auf ein tieferliegendes Versagen.
Der Sumpf von Korruption und organisierter Kriminalität
Der Bombenanschlag 2017 auf die maltesischen Investigativ-Journalistin schockte ihre Landsleute ebenso wie die weitere europäische Öffentlichkeit. Wie war mitten in Europa ein so öffentlicher Mord an einer Frau möglich, die sich dem Kampf gegen die Korruption in ihrer Heimat verschrieben hatte?
Die Aufklärung des Falles auf Malta kam erst in Gang als die EU sich einmischte und Journalisten-Kollegen die Hintergründe recherchierten. Inzwischen steht ein Oligarch, dessen Geschäften Galizia zu nahe gekommen war, als möglicher Drahtzieher vor Gericht. Aber es dauerte zwei Jahre bis die Regierung von Joseph Muscat endlich zurücktrat. Und ihre Nachfolger kommen aus der gleichen Partei. Da sind Zweifel an der Gründlichkeit der Aufklärung angebracht.
Der Fall von Jan Kuciak, der 2018 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin von Auftragskillern brutal hingerichtet wurde, liegt ganz ähnlich. Auch in der Slowakei ging es um Korruption und die Verstrickung von Spitzenpolitikern in kriminelle Geschäfte, auch dort wurden zunächst die Ermittlungen verschleppt. Auch der slowakische Reporter soll Opfer eines Oligarchen geworden sein, dessen erster Prozess mit einem verblüffenden Freispruch endete. Inzwischen läuft gegen ihn das Berufungsverfahren.
Der Auftragsmord am niederländischen Kriminalreporter de Vries dagegen kam aus Kreisen der organisierten Kriminalität. Vermutlich von den gleichen Bossen, die schon den Mord an einem Anwalt und einem Belastungszeugen veranlasst hatten.
"Mitten in Europa": Gewalt gegen Journalisten
Der Anschlag auf den niederländischen Reporter Peter de Vries hat ganz Europa erschüttert. In der EU steht es insgesamt gut um die Pressefreiheit. Und doch werden auch hier immer wieder Journalisten zur Zielscheibe.
Bild: Getty Images/AFP/Stringer
Amsterdam unter Schock
Dienstagabend - mitten in Amsterdam. Der bekannte Kriminalreporter Peter de Vries verlässt ein TV-Studio und wird von Unbekannten niedergeschossen. Es gibt klare Hinweise, dass die organisierte Kriminalität hinter dem Anschlag steckt. Zwei Männer werden nur wenige Stunden nach der Tat festgenommen.
Bild: Evert Elzinga/ANP/picture alliance
Mitten in Europa!
De Vries hatte über die organisierte Kriminalität in seinem Heimatland berichtet und war Berater eines Kronzeugen, der gegen einen international bekannten Gangsterboss aussagen soll. Vor einigen Jahren waren bereits der Bruder sowie der Anwalt des Kronzeugen Mordanschlägen zum Opfer gefallen. Nun kämpft de Vries von mehreren Schüssen getroffen in einem Amsterdamer Krankenhaus um sein Leben.
Bild: ANP/imago images
Zwischen Hoffen und Bangen
"So etwas kann doch mitten in Europa nicht passieren!" - das war die spontane Reaktion vieler Niederländer, die sich am Tatort einfanden und dort Blumen und Genesungswünsche niederlegten. Dabei ist de Vries nicht der erste Journalist, auf den in der Europäischen Union ein Mordanschlag verübt wurde.
Bild: Koen Van Weel/dpa/picture alliance
Wo "Demokratia" geboren wurde
Vor drei Monaten erst, am 9. April, wurde der griechische Journalist Giorgos Karaivaz auf offener Straße im Athener Vorort Alimos erschossen. Zwei maskierte Personen auf einem Motorrad hatten insgesamt zehn Schüsse auf ihn abgefeuert. Auch Karaivaz war ein erfahrener Kriminalreporter, der über organisierte Kriminalität und über die Korruption unter griechischen Beamten berichtet hatte.
Die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia hatte über Korruptionsfälle in der maltesischen Politik und Wirtschaft berichtet. Im Oktober 2017 wurde sie durch die Explosion einer Autobombe ermordet. Ein Mann wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, nachdem er sich schuldig bekannt hatte. Mutmaßlicher Drahtzieher war ein prominenter Geschäftsmann - er steht derzeit noch vor Gericht.
Bild: picture-alliance/dpa/L. Klimkeit
Ermordet im eigenen Haus
Der slowakische Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová wurden am 21. Februar 2018 von Auftragsmördern erschossen. Er hatte über Verbindungen slowakischer Politiker und Oligarchen zum organisierten Verbrechen, über Steuerhinterziehung und Korruption berichtet. Der Mord löste eine schwere Regierungskrise aus und führte zum Rücktritt des damaligen Premiers Fico.
Bild: Mikula Martin/dpa/picture alliance
"Befreit die Medien!"
2015 wurde der polnische Journalist Łukasz Masiak in einem Bowling-Club erschlagen. Vor seinem Tod hatte er über Korruption, Drogenhandel, Umweltverschmutzung und willkürliche Verhaftungen berichtet. Polen steht wegen zunehmender Beschneidungen der Pressefreiheit in der Kritik. Im Bild sind Bürger zu sehen, die gegen einen neuen Schritt der polnischen Regierung gegen freie Medien protestieren.
Bild: Attila Husejnow/SOPA Images/ZUMAPRESS.com/picture alliance
Ich bin Charlie.
Januar 2015. Beim Terrorangriff auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris wurden zwölf Menschen ermordet - darunter mehrere Journalisten und Karikaturisten. Hunderttausende protestierten danach weltweit unter dem Hashtag "Je suis Charlie" für die Meinungs- und Pressefreiheit. Beim Anschlag auf das Bataclan im November 2015 wurde der Musikjournalist Guillaume Decherf getötet.
Bild: picture-alliance/dpa
Türkischer Journalist in Berlin angegriffen
Der Anschlag auf de Vries am Dienstag war nicht der jüngste Angriff auf Journalisten in Europa. Der türkische Erdogan-kritische Journalist Erk Acarer wurde nur einen Tag später von drei Männern vor seinem Haus in Berlin überfallen. "Ich bin mit Messer und Fäusten angegriffen worden“, twitterte er. Die Männer hätten ihm gedroht, wiederzukommen, falls er nicht mit dem Schreiben aufhöre.
Bild: twitter/eacarer
Reporter mit Grenzen?
Nicht immer müssen Journalisten in Europa gleich um ihr Leben fürchten. Doch werden sie zunehmend an einer freien Berichterstattung gehindert - sei es durch aggressive Demonstranten oder durch restriktive Sicherheitskräfte, wie hier in Paris während einer Kundgebung gegen ein verschärftes französisches Sicherheitsgesetz.
Bild: Siegfried Modola/Getty Images
Nicht ideal, aber...
Trotz unbestreitbarer Probleme bleibt die EU ein vergleichsweise sicherer Hafen für Journalistinnen und Journalisten. Hier leben auch zahlreiche nicht-europäische Medienschaffende, für die es in ihren Heimatstaaten wesentlich schwerer wäre, ihre Arbeit frei und ohne Angst auszuüben. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein Eckpfeiler der Europäischen Union.
Bild: Imago/IPON
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Hilflose Vorschläge
Wenn die EU jetzt den Mitgliedsländern Empfehlungen macht um Journalisten besser zu schützen, sind sie kaum mehr als Ausdruck ihrer Hilflosigkeit. Hotlines und institutionelle Ansprechpartner für bedrohte Reporter sind dann völlig sinnlos, wenn sie den eigenen Behörden nicht trauen können. Das gilt vor allem für jene osteuropäischen Länder, wo die Verstrickung von korrupten Geschäftsleuten und der Politik zum System geworden ist und alle rechtsstaatlichen Sicherungen längst untergraben sind.
Bulgarien, Rumänien, Ungarn und andere sind Beispiele für das was Experten den "captured state" nennen - Staaten wo Politik, öffentliche Verwaltung, Justiz und kriminelle Geschäftsleute zu einem unauflösbaren Gestrüpp verwachsen sind. Dagegen kommen die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien nicht an und Journalisten recherchieren sich im Sinne des Wortes um Kopf und Kragen.
Umso größer war das Entsetzen in den Niederlanden als sich zeigte, dass die Behörden dort zwar im Normalfall funktionieren, die organisierte Kriminalität sich aber seit Jahren ungehemmt ausbreiten konnte und es wenig Versuche gab, die Gangs systematisch zu bekämpfen. In Griechenland wiederum war man weniger überrascht über eine solche "Balkanisierung" des Staates.
Das Versagen der Rechtsstaatlichkeit
Überall aber wo es um tief verwurzelte Korruption oder den Vormarsch des organisierten Verbrechens geht, versagt in den Ländern der EU der Rechtsstaat. Und Brüssel hat - um den politischen Frieden nicht zu gefährden - jahrelang schweigend zugeschaut, wie er in osteuropäischen Ländern systematisch unterwandert wurde. Erst jetzt hat die Brüsseler Kommission in Polen und Ungarn den Kampf gegen diesen Trend aufgenommen.
Da wo es unabhängige Justiz- und Polizeibehörden gibt, bietet das Strafrecht Journalisten normalerweise den gleichen Schutz wie allen Bürgern. Da wo die Politik den Rechtsstaat ausgehöhlt hat, können sie zum Freiwild werden. Und Europa wird es schwer haben, die Fehler der Vergangenheit auch nur im Ansatz zu korrigieren. Jetzt die Mitgliedsländern zum besonderen Schutz von Journalisten aufzurufen, ist nichts als Alibipolitik.
Slowakei: der Journalistenmord und die Brüder Kocner