Sieg der Frauen in Argentinien
Argentinien ist ab heute ein anderes Land. Die Vernunft hat über Glaubensfragen gesiegt. Der Gesetzgeber hat auf der Grundlage von Tatsachen entschieden. Denn hier geht es nicht um ein ideologisch beladenes Ja oder Nein zur Abtreibung - es geht vielmehr um eine Frage der öffentlichen Gesundheit. Es geht darum, Frauen, die abtreiben möchten, dies auf einem legalen, sicheren und kostenfreien Weg zu ermöglichen. Das war das Ziel einer feministischen Bewegung, die eine beispiellose gesellschaftliche Debatte in Argentinien angestoßen hat. Sie mündete nun in das Gesetz über einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch bis zur 14. Woche, das der Senat am Mittwochmorgen endgültig angenommen hat.
Es ist ein Tag für die Geschichtsbücher. Der säkulare argentinische Staat setzt sich für mehr Bürgerrechte und für eine gerechtere Gesellschaft ein.
Mit dem neuen Gesetz wird einer gefährlichen illegalen Praxis auf OP-Tischen ein Ende gesetzt. Sie gefährdet das Leben von jungen Frauen und Mädchen, vor allem aus ärmeren Vierteln. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums werden in Argentinien jedes Jahr zwischen 350.000 und 500.000 Abtreibungen unter riskanten Bedingungen durchgeführt. In den vergangenen 40 Jahren sind demnach über 3000 Frauen an den Folgen einer illegalen Abtreibung gestorben.
Das Abtreibungsverbot und die Stigmatisierung der Frauen haben die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nicht gesenkt. Und sie wird nach der Legalisierung vermutlich auch nicht wesentlich steigen - das zeigen Erfahrungen in westeuropäischen Ländern wie Belgien oder den Niederlanden.
Eine farbenfrohe Debatte - ohne Parteizwang
In Argentinien haben wir mit dieser Debatte einen Sieg der Demokratie erlebt, weil das Projekt kein parteipolitisches war. Es stimmten Senatorinnen und Senatoren aus allen politischen Richtungen dafür ebenso wie dagegen. Viele ignorierten dabei oft auch die eigene Parteilinie - erstmals in der Geschichte Argentiniens. Auch dies ist eine Errungenschaft der Frauen.
Die Politiker haben ihre Entscheidung bewusst getroffen, um eine Forderung aus der Gesellschaft zu unterstützen. Das brachte Abgeordnete aus gegnerischen Lagern zusammen. Hoffentlich schafft diese Debatte auch die Grundlage für künftige Kompromisse in einem Land, das sich dazu aufrafft, die politischen Schützengraben endlich hinter sich zu lassen.
Argentiniens Gesellschaft ist reifer geworden. Trotzdem zeigten sich auch antidemokratische Tendenzen aus dem Lager der Abtreibungsgegner. Es gab Einschüchterungsversuche und Drohungen gegen einige Abgeordnete. Auch die katholische Kirche versuchte, durch Hinterzimmergespräche und Predigten den politischen Willen zu beeinflussen. Via Twitter kritisierte sogar der aus Argentinien stammende Papst vom Vatikan aus eine Legalisierung.
Argentinien wird ein gerechteres Land
Das Gesetz zum freiwilligen Schwangerschaftsabbruch ist auch ein Sieg für Argentiniens Präsidenten. Alberto Fernández machte sich persönlich für die Gesetzvorlage stark. Der Erfolg lässt die Regierung nun nach einem schwierigen Pandemie- und Krisenjahr aufatmen.
Gewonnen hat Argentinien, dass es heute als ein gerechteres Land aufwacht. Gewonnen hat die Demokratie. Den größten Sieg haben aber die Frauen auf der Straße errungen, weil sie es wagten, selbst den Wandel herbeizuführen. Heute haben sie Geschichte geschrieben.