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Politik

Schluss mit der transatlantischen Romantik

6. November 2020

Als Europäer tendieren wir dazu, die USA als Partner zu idealisieren. Das sollten wir schleunigst lassen, unabhängig davon, wer künftig US-Präsident ist, meint Alexandra von Nahmen.

Bild: Imago/Manngold

Staunend und zum Teil schockiert schaut Europa darauf, was in den USA gerade passiert. Das Land, das als die Wiege der modernen Demokratie gilt, taumelt. Während die Stimmen noch ausgezählt werden, spricht der amtierende Präsident bereits von Wahlbetrug. Vor einer gefährlichen Verfassungskrise warnen europäische Politiker. Viele können es nicht begreifen, dass es überhaupt Amerikaner gibt, die sich entschieden haben, Donald Trump erneut zu wählen.

Europa steht enttäuscht da, auch ein wenig beleidigt - und grübelt. Der vertraute transatlantische Partner ist uns in den vergangenen vier Jahren fremd geworden. Den Wahlkrimi in den USA hätte man sich so gern erspart. Eine Rückkehr zu irgendeiner Form von Normalität, die Wiederherstellung des verloren gegangenen Vertrauens, und das bitte möglichst schnell - das war der Wunsch in Berlin, Paris oder Madrid.

Kalkül als Devise der US-Außenpolitik

Doch gerade diese US-Wahl führt vor Augen, dass es zwecklos ist, Amerika zu idealisieren. Unser aus vielen durchaus nachvollziehbaren Gründen verklärter Blick auf die Nation, die sich selbst gern als "a Shining City on a Hill" bezeichnet, ist schon seit längerer Zeit hinfällig. Das war schon unter Barack Obama so. Und das wird auch unter Joe Biden gelten.

Alexandra von Nahmen leitet das DW-Studio Brüssel

Amerika hingegen hatte schon immer eine pragmatische Herangehensweise an seine Partner. Wo nützen sie unseren Interessen? Das ist stets die wichtigste Frage, welche die amerikanische Außenpolitik bewegt. Dass es eine besondere Bindung zwischen Europa und den USA gibt, eine Bindung, die auf gemeinsamen Werten und der gemeinsamen Geschichte basiert, das stimmt. Natürlich. Gleichzeit aber kalkuliert Washington ziemlich kühl, was der Kosten-Nutzen-Faktor jeder Partnerschaft ist.

Eine nüchterne Analyse ist wichtig

Schon unter Barack Obama hat sich die Aufmerksamkeit der US-Regierung in Richtung Pazifik verlagert. Künftig wird vor allem der Wettbewerb mit China Washington in Atem halten. Die USA wollen schon lange nicht mehr der Weltpolizist sein. "Buy American" und "Hire American" werden wohl auch in den nächsten Jahren populäre Slogans bleiben. Auch Joe Biden - so er den Sieg erringt - wird klare Forderungen an die Europäer haben, die sich im Kern nicht wesentlich von denen der Trump-Regierung unterscheiden werden.

Je eher sich die EU damit abfindet, desto besser. Noch besser wäre es, entsprechend zu handeln. Zugegeben - das Ziel einer strategischen Autonomie Europas liegt in weiter Ferne. Eine Alternative dazu, eine größere geopolitische Rolle zu spielen und mehr Eigenverantwortung für die europäische Sicherheit zu übernehmen, gibt es aber nicht.

Europa muss aufwachen

Klar, Europa kann auf die USA als Partner nicht verzichten. Wir brauchen einander und wir profitieren von einander. Aber Europa muss den Amerikanern selbstbewusster entgegentreten. Amerika steht für ein überlegenes Militär, High-Tech aus dem Silicon Valley und grenzenlose Freiheit. Aber inzwischen steht es auch für Chancenungleichheit, eine fragwürdige Deregulierung der Wirtschaft und einen ausufernden Kapitalismus.

Es spricht nichts dagegen, vieles, was man an Amerika liebgewonnen hat, weiterhin zu lieben. Oder auch die amerikanische Geschichte und den amerikanischen Optimismus zu bewundern. Politisch aber würde es Europa mehr nützen, Kalkül und Selbstbewusstsein im Umgang mit den USA walten zu lassen - und sich weniger auf das Weiße Haus und seinen Bewohner zu fixieren.

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