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Ein vermeidbarer Triumph für die AfD

5. März 2021

Der Verfassungsschutz darf die Rechtspopulisten bis auf weiteres nicht als "Verdachtsfall" einstufen und entsprechend behandeln. Marcel Fürstenau findet die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln gut.

Bild: picture-alliance/M. Scholz

So schnell kann das gehen: Am Mittwoch berichteten etliche Medien, der deutsche Inlandsgeheimdienst habe die "Alternative für Deutschland" (AfD) zum rechtsextremistischen Verdachtsfall erklärt. Und zwar die ganze Partei. Einige ihrer Landesverbände hat dieses Schicksal schon längst ereilt. Das Problem: Vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gab es keine offizielle Bestätigung für die spektakuläre Meldung. Trotzdem sorgte die Nachricht natürlich für Schlagzeilen – auch außerhalb Deutschlands.

Zwei Tage später darf sich die AfD zu Recht über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln freuen - und der Verfassungsschutz ist blamiert. Dem wird nun nämlich vorerst untersagt, die Partei als "Verdachtsfall" einzustufen. Begründung: Mit der medialen Bekanntgabe werde "in unvertretbarer Weise in die verfassungsrechtlich gewährleistete Chancengleichheit politischer Parteien eingegriffen". Und für das BfV kommt es noch schlimmer: Das Gericht wirft ihm vor, nicht hinreichend dafür Sorge getragen zu haben, "dass keine verfahrensrelevanten Informationen nach außen drängen".

Die Verdachtsfall-Entscheidung wurde "durchgestochen"

Gemeint ist ein im Januar gestellter Eilantrag der AfD, mit dem sie dem Verfassungsschutz ganz prinzipiell verbieten will, die Partei als Verdachtsfall einzustufen und darüber öffentlich zu informieren. Dazu ist noch keine Entscheidung getroffen worden. Der Inlandsgeheimdienst hatte dem Gericht zugesagt, sich in der Zwischenzeit nicht zu seinem geplanten Umgang mit der AfD zu äußern.

DW-Redakteur Marcel FürstenauBild: DW

Genau das ist am Mittwoch aber geschehen. Wenn auch nur indirekt über einzelne Medien, die offenkundig über Insiderwissen verfügen. Aber das ist der entscheidende, für den Verfassungsschutz besonders schmerzliche Punkt: Hätte er dicht gehalten und seine inoffiziell anscheinend tatsächlich getroffene Verdachtsfall-Einstufung für sich behalten, könnte die AfD jetzt nicht jubilieren. So aber kann die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag auch noch von den "Systemmedien" schwadronieren, die mit den politisch Verantwortlichen angeblich unter einer Decke stecken.

Das dafür benötigte Scheinargument findet die AfD in der begründeten Annahme des Gerichts, die Entscheidung des Verfassungsschutzes sei "durchgestochen" worden. Dafür spricht, dass sich die betreffenden Medien auf nicht näher benannte Quellen in "Sicherheitskreisen" berufen. Eine übliche Sprachregelung, die durchaus heikel ist, weil sie von der interessierten Öffentlichkeit nicht überprüft werden kann.     

 

Alles andere wäre eine Gesinnungsentscheidung gewesen

So wenig der in Teilen unübersehbar extremistischen AfD ihr juristischer Erfolg zu gönnen ist, so sehr ist er aus rechtsstaatlichen Gründen zu begrüßen. Alles andere wäre ein Gesinnungsurteil gewesen. Dass die Entscheidung nur so ausfallen konnte, hätte dem Verfassungsschutz wegen eines ähnlich gelagerten Streitfalls mit den Rechtspopulisten aus dem Jahr 2019 klar sein müssen. Damals hatte dasselbe Verwaltungsgericht dem BfV untersagt, die AfD öffentlich als "Prüffall" zu bezeichnen- eine Vorstufe des Verdachtsfalls. Umso peinlicher, dass die im Bundesinnenministerin angesiedelte Behörde aus diesem Fehler nichts gelernt hat.

Wo auch immer die undichte Stelle zu verorten ist und wer auch immer dahinter steckt: Für den Verfassungsschutz und seinen Präsidenten Thomas Haldenwang ist das Leck ein enormer Imageschaden. Auch der politische Flurschaden ist gravierend. Denn nun hat die AfD einen Grund und Anlass mehr, sich als verfolgte Unschuld zu inszenieren. Und als angeblich einzige Rechtsstaatspartei, die sie aufgrund ihrer unübersehbaren extremistischen Schlagseite in keiner Weise ist - im Gegenteil.

Ein wichtiges Signal im Superwahljahr

Wer die Entscheidung zugunsten der AfD trotz seiner rechtsstaatlichen Notwendigkeit bedauert, kann sich damit trösten, dass der Partei damit kein Gütesiegel angeheftet wurde. Man darf ihr auch weiterhin vorhalten, zuweilen undemokratisch, ja rassistisch zu sein. Belege dafür liefert sie seit Jahren mit ihren Ressentiments gegen Flüchtlinge, Migranten und andere Minderheiten. Deshalb hat der Verfassungsschutz die Rechtspopulisten ja auch im Blick.

Und über kurz oder lang werden sie vielleicht doch noch vom Prüf- zum Verdachtsfall hochgestuft. Der Geheimdienst sollte das aber nicht an die große Glocke hängen, sondern so lange stillhalten, bis die rechtlichen Voraussetzungen etwas anderes zulassen. So aber hat das Verwaltungsgericht zum jetzigen Zeitpunkt mit seiner Entscheidung pro AfD das getan, was für eine Demokratie unverzichtbar ist: mit einer überzeugenden Begründung Recht gesprochen. In einem Jahr mit sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl im September ist das ein besonders gutes und wichtiges Signal.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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