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Politik

Vom Ende des Durchatmens in der Corona-Krise

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Jens Thurau
26. September 2020

Die Deutschen haben den ganzen Sommer gedacht, sie hätten die Corona-Pandemie im Griff und das Schlimmste längst überstanden. Um so schwerer könnten nun der kommende Herbst und Winter werden, meint Jens Thurau.

Dichtes Gedränge auf der Schildergasse - Haupteinkaufsstraße der Millionenstadt KölnBild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Wie oft haben wir in den vergangenen Monaten diesen Satz geschrieben? In Berichten, Kommentaren, Interviews? Dass Deutschland vergleichsweise gut durch die Corona-Pandemie gekommen sei. Dass die Regierung im Großen und Ganzen besonnen und kompetent handelt. Dass die Pandemie zeigt, wie leistungsfähig die deutschen Krankenhäuser, Gesundheitsämter und Kommunen sind. Alles richtig, auch jetzt noch. Doch so langsam schleicht sich ein anderes Gefühl dazu - ein bedrohliches.

Bemerkenswert, dass Kanzlerin Angela Merkel in einem vertraulichen Gespräch mit Journalisten von ihrer Sorge gesprochen haben soll, dass eine leichtsinnige Jugend und der bevorstehende Winter die bisherigen Erfolge zunichte machen könnten. Noch erstaunlicher, dass diese Äußerungen den Weg in die Öffentlichkeit fanden.

Die unzufriedene Kanzlerin

Schon seit Tagen ist die Ungeduld der Regierungschefin Thema in der Hauptstadt Berlin: Ihre Unzufriedenheit mit den vielen verschiedenen Corona-Bestimmungen in den Bundesländern, der Idee einiger Ministerpräsidenten, gegen alle Ratschläge der Experten Weihnachtsmärkte stattfinden zu lassen. Und dann ist da noch die Warnung des Virologen Christian Drosten - schon einige Wochen alt, aber passend in der gegenwärtigen Debatte: Dass nämlich Deutschland auch nicht besser für die zweite Welle gewappnet sei als andere Länder. Das trifft die gegenwärtige Stimmung.

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Noch, darauf weisen alle Verantwortlichen hin, kommt das Gesundheitssystem mit den steigenden Infektionszahlen gut klar. Und alle Umfragen weisen nach wie vor eine hohe Zustimmung zur Corona-Politik von Bund und Ländern aus. Was ist es dann, was die Kanzlerin umtreibt?

Wie auf vielen anderen Politikfeldern ist es die Furcht vor einem neuen Graben in der Gesellschaft durch die Pandemie. Und damit ist nicht das krude Geraune einiger Rechtspopulisten vom Ende der Bürgerrechte und der Freiheit gemeint.

Der Graben verläuft längst woanders: Gegen alle Vernunft können vielerorts bis zu 10.000 Zuschauer Bundesligaspiele verfolgen, gleichzeitig aber müssen die Angehörigen sterbenskranker Patienten um Besuchsrechte in Pflegeeinrichtungen und Kliniken kämpfen. Einige Schüler müssen im Unterricht Masken tragen, andere nicht - je nach Region. Restaurants und Biergärten sind voll wie immer im Spätsommer, die Menschen halten Abstand und mal nicht, tragen Masken und mal nicht, alles parallel. Experten berichten von Untersuchungen, wonach die Menschen weniger sorgfältig beim Händewaschen sind und auch einem möglichen Impfstoff, wenn er kommt, nicht so trauen wie noch vor einigen Wochen. Und in Betrieben, Büros und Behörden erleben die Menschen eine andere Welt - eine, in der die Corona-Bestimmungen kaum gelockert worden sind.

Ein zweiter Lockdown ist nicht zumutbar

All das strapaziert die Geduld und Solidarität der Menschen ungemein, und verschärfend kommt hinzu, dass die Politik weiß, dass sie Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft einen Lockdown wie im März nicht noch einmal zumuten kann. Der hart war, aber Eines geschaffen hat: Das Gefühl, dass die Bestimmungen wirklich für alle galten.

Es stimmt ja, dass die Pandemie bislang auch gerade durch die föderalen Strukturen in Deutschland gut bekämpft werden konnte. Mecklenburg-Vorpommern mit wenig Infektionen konnte anders reagieren als Bayern mit vielen Infektionen. Aber jetzt braucht es etwas Gemeinsames, Wiedererkennbares. Damit das Wichtigste nicht verloren geht, was eine erfolgreiche Seuchen-Bekämpfung braucht: Gemeinsinn und Solidarität möglichst aller Bürger. Dazu gehört dann auch, dass nicht vergessen wird, was mit lautem Geklatsche auf dem Balkon in Frühjahr eingefordert und von der Politik versprochen wurde: endlich mehr und besser bezahltes Personal in Kliniken, Ämtern, Supermärkten.

Die Kanzlerin will die Ministerpräsidenten in der kommenden Woche zu mehr Einheitlichkeit auffordern, zwingen kann sie sie kaum. Hoffentlich ist sie erfolgreich dabei. Die Idee der Österreicher, eine Corona-Ampel in den Regionen einzuführen, die nicht nur das Infektionsgeschehen berücksichtigt, sondern auch die Lage in den Krankenhäusern und Einrichtungen, ist eine Überlegung wert.

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