1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Warum die USA Afghanistan jetzt nicht verlassen dürfen

28. Februar 2021

Vor einem Jahr schlossen die USA in Doha einen Vertrag mit den Taliban. Dabei ging es nicht um Afghanistan, sondern um Donald Trump und "America First". Mit tödlichen Folgen, meint Sandra Petersmann.

Bild: Getty Images/AFP/W. Kohsar

Auf dem Tisch liegen zwei fürchterlich schlechte Optionen: der Abzug aller internationalen Truppen zum 1. Mai, wie im Abkommen von Doha vereinbart; oder die Verlängerung der US-geführten Intervention, die vor fast 20 Jahren begann. Ich bin für bleiben und möchte erklären warum.

Die internationalen Soldaten werden weder den Krieg gewinnen noch Frieden schaffen. Aber sie sind ein unverzichtbares Faustpfand in den schwierigen Friedensverhandlungen in Doha.

Bittere Wahrheit

Die Taliban verlangen, dass die ausländische Besatzung endet und dass alle Sanktionen gegen sie aufgehoben werden. Die radikalen Islamisten wollen Macht und internationale Anerkennung, das ist ihnen wichtig. Das sind die einzigen beiden Hebel, die der Westen hat, um Druck auszuüben, damit die Taliban in einen Waffenstillstand einwilligen und weiterverhandeln.

Sandra Petersmann berichtet seit 2001 über AfghanistanBild: DW/R. Oberhammer

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die beiden Hebel Abzug und Sanktionen sind kein Allheilmittel, das in Sekundenschnelle wirkt. Es werden in Afghanistan auch in den kommenden Monaten weiter Menschen durch Terror und Krieg sterben. Männer. Frauen. Kinder. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind allein zwischen Oktober und Dezember des vergangenen Jahres täglich mindestens 30 Zivilistinnen und Zivilisten getötet oder verletzt worden.

Das ist die bittere Wahrheit der "America First"-Politik. Ex-Präsident Donald Trump hat sie mit dem Doha-Abkommen auf die Spitze getrieben. Der Narzisst wollte unbedingt die Wahl gewinnen und als der Präsident in die Geschichte eingehen, der die US-Truppen nach Hause holt. Der Ausgang ist bekannt.

'America First' von Anfang an 

Doch Trump war nicht der erste, der über Afghanistans Schicksal allein nach innenpolitischen Gesichtspunkten entschied. "America first" begann mit dem von Rache getriebenen Einmarsch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Oder wie sonst lässt sich erklären, dass die USA und ihre Partner damals Bündnisse mit widerlichen Kriegsverbrechern und Menschenrechtsverächtern wie Abdul Rashid Dostum eingegangen sind, um Al-Kaida zu jagen und die Taliban zu bestrafen? Der Einmarsch nahm auch keine Rücksicht auf den bis heute ungelösten afghanischen Bürgerkrieg, der bereits 1978 begann.

Er ignorierte die Wunden, die der Kalte Krieg und die sowjetische Besatzung in Afghanistan hinterlassen haben. Und er erfolgte ohne Rücksicht auf die fatale Rolle, die Regionalmächte wie Pakistan, Indien oder Iran in Afghanistan spielen. Auch sie zündeln mit maximalem nationalem Egoismus auf dem afghanischen Schlachtfeld.   

Und deswegen liegen jetzt - nach 20 Jahren Krieg für die US-Koalition und nach insgesamt vier Jahrzehnten Dauerkrieg für die afghanische Bevölkerung - keine besseren Optionen auf dem Tisch.

Auch Deutschland ist kriegsmüde

Amerikas Verbündete werden dem Takt der Regierung von Trump-Nachfolger Joe Biden folgen. Gehen die USA, gehen alle. Bleiben die Amerikaner, bleiben auch die NATO-Verbündeten. Derzeit sind noch knapp 10.000 internationale Soldaten im Land, darunter etwa 1100 aus Deutschland.

Seit 20 Jahren sind Bundeswehrsoldaten in Afghanistan im EinsatzBild: picture-alliance/dpa/Anja Niedringhaus

Der Afghanistan-Einsatz ist hierzulande allerdings genauso unbeliebt wie in den USA. Auch die deutsche Bevölkerung versteht nicht, warum die Bundeswehr immer noch der zweitgrößte Truppensteller ist. Doch Deutschland steht vor einer Bundestagswahl. Die politische Elite in Berlin will sich mit dem Thema Afghanistan nicht den Wahlkampf vermiesen und verweigert die so dringend nötige, ehrliche Aussprache. Germany first!

Zeit für 'Afghanistan first'

Es ist Zeit für die Wahrheit: Wer vor 20 Jahren wütend und unüberlegt einmarschiert ist, darf jetzt nicht ebenso unüberlegt Hals über Kopf abziehen und dem afghanischen Demokratieversuch den Todesstoß versetzen. Die US-Koalition hat ihn mit einem UN-Mandat herbeigebombt, verordnet und finanziert - und ist damit verantwortlich.

Es braucht maximalen Druck auf die Taliban und auf die zerstrittene, vielfach korrupte afghanische Politik-Elite und ihre Warlords. Es braucht die maximale Einbindung aller wichtigen Regionalstaaten und der beiden Großmächte Russland und China. Das wird anstrengend und gefährlich.

Aber wer jetzt nicht mit aller Kraft, Zeit und Geduld umschwenkt auf eine "Afghanistan first"-Politik riskiert, dass die terrorisierte afghanische Bevölkerung ihre Heimat verliert. Und das hätte Konsequenzen für die ganze Welt.

Kramp-Karrenbauer sieht erhebliche Gefahren in Afghanistan

00:58

This browser does not support the video element.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen