Der Frieden in Kolumbien ist nach einem jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt alles andere als sicher. Aber die konsequente Umsetzung des Abkommens bleibt die einzige Hoffnung, ihn zu erreichen, meint Johan Ramírez.
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Seien wir ehrlich: Niemand konnte vor fünf Jahren erwarten, dass der Abschluss des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen nach einem jahrzehntelangen blutigen Konflikt sofort zu einem perfekten Zustand führen würde. Dies soll keine Verteidigung derjenigen sein, die sich nicht an den Vertrag gehalten haben, sondern ein entschiedenes Plädoyer für den Frieden, der trotz aller Schwächen die einzig mögliche Alternative für Kolumbien ist.
Es gibt kaum einen Friedensprozess in der Welt, in dem die vollständige Niederlegung aller Waffen einer Guerilla gelungen ist. Und so gab es natürlich auch in Kolumbien Rebellengruppen, die sich nicht an das ausgehandelte Abkommen hielten. Nach der Unterzeichnung des Vertrages tauchten Abweichler auf, die erneut zu den Waffen griffen.
Erkennbare Fortschritte
Aber niemand kann die bewundernswerte Übergabe von fast 9.000 Waffen durch die FARC-Rebellen vergessen. Niemand kann die Demobilisierung der ehemaligen Kämpfer ignorieren, die im Glauben an das Ende des Krieges ihre Schützengräben verließen, um ein ziviles Leben zu führen. Nach Angaben des Washington Office on Latin America (WOLA) haben neun von zehn ehemaligen Guerillas den Prozess der sozialen Wiedereingliederung erfolgreich absolviert. Einige haben eine Partei gegründet, um ihren politischen Kampf fortzusetzen - jetzt aber auf der Grundlage demokratischer Regeln. Und sind bereits im Kongress vertreten.
All dies ist Teil eines Abkommens, das Kolumbien tatsächlich einen stabilen Waffenstillstand mit der FARC beschert hat. Nicht den makellosen Frieden, den sich die meisten erhofft hatten, aber auf jeden Fall ein Land ohne militarisierte Straßen, ohne das ständige Gespenst von Entführungen und den Schrecken der Minenfelder. Der UN-Sicherheitsrat hat Kolumbien zu den Erfolgen bei der Umsetzung beglückwünscht, und die UN-Verifizierungsmission bestätigt, dass erhebliche Fortschritte erzielt wurden.
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Vergebliches Warten auf die Landreform
Aber: Der Krieg ist nicht vorbei, er ist nur auf Eis gelegt. Die Feststellung, dass der bewaffnete Konflikt in Kolumbien nach wie vor eine Realität ist, wird durch die fast 300 ehemaligen Kämpfer, die seit der Unterzeichnung des Abkommens getötet wurden, schmerzlich unterstrichen. Für diese Menschen und ihre Familien hat sich das Friedensabkommen nicht ausgezahlt.
Aber das ist nur der sichtbarste Zahl in einer Reihe von Hindernissen, die den Frieden nach fünf Jahren brüchig gemacht haben. Die Landreform, einer der Meilensteine des Abkommens, ist nicht umgesetzt worden. Einem aktuellen Bericht der Kommission zur Begleitung, Förderung und Überprüfung des Friedensvertrags (CSIVI) zufolge wurden seit 2016 nur 7,8 Prozent des Landes, das den Opfern des Konflikts versprochen wurde, übergeben. Im Vertrag steht, dass bis 2028 drei Millionen Hektar übergeben werden sollen. Bei dem derzeitigen Tempo werden bis zu diesem Zeitpunkt jedoch nur 21 Prozent dieser Menge übertragen worden sein. Dies ist von grundlegender Bedeutung, da der Landbesitz seit den Anfängen des kolumbianischen Krieges ein zentrales Thema ist.
Auch bei der Rückgabe von Land an die Vertriebenen bleibt wesentliches unerledigt: Ganze Gemeinden erhalten zwar das Land zurück, das ihnen einst genommen wurde. Aber der Staat gibt es ihnen ohne Infrastruktur zurück - ohne Schulen, ohne Apotheken oder Kliniken und mit Straßen in katastrophalem Zustand, die jeden Handel mit den städtischen Gebieten unmöglich machen. Das kann mal wohl kaum Fortschritt nennen.
Gewalt bleibt präsent in Kolumbien
Gewalt ist auch fünf Jahre nach dem historischen Abkommen erschreckend präsent in Kolumbien. Aber dies ist nicht die Schuld des noch unvollendeten Friedensabkommens. Denn der Staat hat nur mit den FARC-Rebellen einen Vertrag unterzeichnet. Man darf nicht vergessen, dass es neben der inzwischen aufgelösten Guerilla noch Dutzende anderer, irregulärer Gruppen gibt, die das ganze Land mit Gewalt überziehen. Mit ihnen wurde bisher nichts ausgehandelt.
Deren Gewalt hat nichts mit dem Dokument zu tun, das am 24. November 2016 unterzeichnet wurde: Einem Text, dessen Ausarbeitung schwierig war, der eine historische Niederlage in einer Volksabstimmung erlitt, der fünf Jahre später mal wackelt, mal erstarkt - der aber trotz seiner Höhen und Tiefen funktionieren muss, weil er nämlich die einzige Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden für Kolumbien ist.
FARC: 52 Jahre Krieg, 5 Jahre Frieden
Vor fünf Jahren hat Kolumbien einen Friedensvertrag mit der FARC-Guerilla geschlossen. Ein Fotoalbum von Guerilleros, die als linke Idealisten begannen und als Geiselnehmer, Schutzgelderpresser und Massenmörder endeten.
Bild: picture-alliance/dpa
Aus bewaffneten Bauern wird eine Armee
Mitte des 20. Jahrhunderts tobt in Kolumbien ein Kampf zwischen den politischen Lagern. In entlegenen Gebieten gründen linke Gruppen unabhängige Republiken, die nach und nach von Regierungstruppen eingenommen werden. Aus der "República de Marquetalia" entkommen zwei der Anführer: 1966 gründen Manuel Marulanda und Jacobo Arenas (l.) die Fuerzas Armadas Revolucionarias Colombianas - FARC.
Bild: ALATPRESS/AFP
Der Kampf als Lebenstil
Im unwegsamen Amazonas-Gebiet sind die ortskundigen Bauern der schwerfälligeren Armee taktisch überlegen. Bald lernen die FARC von anderen Guerilla-Gruppen in Lateinamerika und beginnen, auch Studenten und Slumbewohner aus den Städten zu rekrutieren, darunter wohl mehr als 18.000 Minderjährige. Auch Frauen schließen sich den Rebellen an. Kinder zu bekommen ist ihnen allerdings strikt verboten.
Bild: ALATPRESS/AFP
Söldner, Drogenhändler, Schutzgelderpresser
Um sich zu finanzieren, steigen die Marxisten ins Drogengeschäft ein: Sie verdingen sich als Söldner der Kokain-Kartelle und beteiligen sich später am Anbau. Obwohl die Armee mit Unterstützung der USA Anbauflächen und Drogenlabore (Bild) zerstört, klingelt die Kasse. Zeitweise kontrollieren die Rebellen ein Gebiet so groß wie die Schweiz. Dort erheben sie auch eine "Revolutionssteuer".
Bild: Guillermo Legaria/AFP
Geiselnahmen als Geschäftsmodell
Die Einnahmen der FARC werden zeitweise auf hunderte Millionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. Auch weil ein weiteres Geschäftsmodell floriert: Fast 10.000 Entführungen von 1970 bis 2010 werden der FARC zugeschrieben. Prominentestes Opfer war 2002 die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Erst nach sechs Jahren befreit das Militär Betancourt und 14 weitere Geiseln.
Bild: Remi Ochlik/MAXPPP/picture alliance/dpa
Das Ringen um den Frieden
Bereits in den 1980er-Jahren handeln die FARC einen ersten, brüchigen Waffenstillstand mit der kolumbianischen Regierung aus. Einige Mitglieder versuchen, in Parteien die Politik mitzugestalten. In den 1990er-Jahren stellen sie ein politisches Zehn-Punkte-Programm vor. 2001 trifft sich FARC-Chef Manuel Marulanda (r.) mit Präsident Andrés Pastrana (l.) zu erneuten Friedensgesprächen. Ohne Erfolg.
Einig werden sich FARC und kolumbianische Regierung wohl auch deshalb nicht, weil die Rebellen ihren Terror noch während der Verhandlungen ausweiten. Mit Sprengsätzen und Überfallkommandos greifen sie Militärposten und Polizeistationen an. Rücksicht auf zivile Opfer nehmen sie nicht - wie hier 2003 in Medellín, als eine Autobombe 30 Menschen verletzt und sechs tötet, darunter ein Kleinkind.
Bild: Vergara/AFP/picture alliance/dpa
Linker und rechter Terror
Wer im Mai 2002 in dieser Kirche 119 Zivilisten massakrierte ist bis heute unklar. Neben der FARC stehen rechte Paramilitärs im Verdacht. Die meisten der etwa 250.000 Todesopfer des anhaltenden Konflikts sind Zivilisten, die zwischen die Fronten gerieten oder als politische Gegner, mutmaßliche Kollaborateure oder Familienmitglieder von Gegnern ermordet wurden.
Bild: picture-alliance/dpa
Geschwächte Guerilla
Der 2002 gewählte Präsident Alvaro Uribe verstärkt den Kampf gegen die Rebellen. Am 1. März 2008 töten Soldaten den Vizechef der FARC, Raúl Reyes, kurz darauf verstirbt Marulanda. Auch sein Nachfolger wird 2011 bei einem Gefecht getötet. Bis zum Ende von Uribes Präsidentschaft 2008 sinkt die Truppenstärke der FARC auf etwa 8000 - von rund 20.000 während der 1990er-Jahre. Die meisten desertierten.
Bild: MAURICIO DUENAS/AFP/Getty Images
Der umstrittene Friedensvertrag
So geschwächt nehmen die FARC mit dem neuen Präsidenten Juan Manuel Santos (l.) Friedensgespräche auf. Die Verhandlungen mit finden in Kuba statt. Am 26. September 2016 unterzeichnen Rebellenführer Timoleón Jiménez (M.) und Santos den Friedensvertrag. Dabei hatte sich eine knappe Mehrheit der Kolumbianer in einem nicht-bindenden Referendum dagegen ausgesprochen.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Castaneda
Die Entwaffnung der Rebellen
Mit der Unterzeichnung stimmen die FARC ihrer Entwaffnung zu. Einige Hundert Rebellen weigern sich, die anderen rund 7000 stehen vor der Wiedereingliederung in ein ziviles Leben. Nur wer im Verdacht steht, selbst Menschenrechtsverletzungen verübt zu haben, soll vor ein Sondergericht gestellt werden. Anfang 2021 wurden erstmals auch Führungsmitglieder angeklagt, darunter Anführer Giménez.
Bild: Fernando Vergara/AP Photo/picture alliance
Versöhnung zwischen Guerillera und Opfern
Einige ehemalige FARC-Kämpfer setzen sich aktiv für die Versöhnung mit der kolumbianischen Bevölkerung und speziell ihren Opfern ein. Hier trifft sich der Ex-Rebell Rodrigo Granda mit der Schwester zweier Entführungsopfer, um sich für das begangene Unrecht zu entschuldigen. Auch ehemalige Geiseln engagieren sich in Wiedereingliederungsprojekten.
Bild: Fernando Vergara/AP Photo/picture-alliance
Noch lange nicht am Ziel
Die FARC ist nun eine politische Partei. Doch viele Mitglieder sehen den Friedensvertrag verletzt: Die Regierung setzte wesentliche Teile nicht um. Einige Rebellen sind zum bewaffneten Widerstand zurückgekehrt. Unter ihnen die beiden Chefunterhändler des Friedensvertrags Ivan Márquez und Jesús Santrich. Mitte 2019 teilten sie in einem Video mit, die "zweite Marquetalia" habe begonnen.