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Politik

Zum Erfolg verdammt

Kommentarbild PROVISORISCH Johan Ramirez
Johan Ramírez
24. November 2021

Der Frieden in Kolumbien ist nach einem jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt alles andere als sicher. Aber die konsequente Umsetzung des Abkommens bleibt die einzige Hoffnung, ihn zu erreichen, meint Johan Ramírez.

Der Friedensvertrag brauchte Unterstützer, denn bei einer Volksabstimmung fiel er durchBild: DW/T. KäuferDW/Tobias Käufer

Seien wir ehrlich: Niemand konnte vor fünf Jahren erwarten, dass der Abschluss des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen nach einem jahrzehntelangen blutigen Konflikt sofort zu einem perfekten Zustand führen würde. Dies soll keine Verteidigung derjenigen sein, die sich nicht an den Vertrag gehalten haben, sondern ein entschiedenes Plädoyer für den Frieden, der trotz aller Schwächen die einzig mögliche Alternative für Kolumbien ist. 

Es gibt kaum einen Friedensprozess in der Welt, in dem die vollständige Niederlegung aller Waffen einer Guerilla gelungen ist. Und so gab es natürlich auch in Kolumbien Rebellengruppen, die sich nicht an das ausgehandelte Abkommen hielten. Nach der Unterzeichnung des Vertrages tauchten Abweichler auf, die erneut zu den Waffen griffen. 

Erkennbare Fortschritte

Aber niemand kann die bewundernswerte Übergabe von fast 9.000 Waffen durch die FARC-Rebellen vergessen. Niemand kann die Demobilisierung der ehemaligen Kämpfer ignorieren, die im Glauben an das Ende des Krieges ihre Schützengräben verließen, um ein ziviles Leben zu führen. Nach Angaben des Washington Office on Latin America (WOLA) haben neun von zehn ehemaligen Guerillas den Prozess der sozialen Wiedereingliederung erfolgreich absolviert. Einige haben eine Partei gegründet, um ihren politischen Kampf fortzusetzen - jetzt aber auf der Grundlage demokratischer Regeln. Und sind bereits im Kongress vertreten. 

All dies ist Teil eines Abkommens, das Kolumbien tatsächlich einen stabilen Waffenstillstand mit der FARC beschert hat. Nicht den makellosen Frieden, den sich die meisten erhofft hatten, aber auf jeden Fall ein Land ohne militarisierte Straßen, ohne das ständige Gespenst von Entführungen und den Schrecken der Minenfelder. Der UN-Sicherheitsrat hat Kolumbien zu den Erfolgen bei der Umsetzung beglückwünscht, und die UN-Verifizierungsmission bestätigt, dass erhebliche Fortschritte erzielt wurden. 

Vergebliches Warten auf die Landreform 

Aber: Der Krieg ist nicht vorbei, er ist nur auf Eis gelegt. Die Feststellung, dass der bewaffnete Konflikt in Kolumbien nach wie vor eine Realität ist, wird durch die fast 300 ehemaligen Kämpfer, die seit der Unterzeichnung des Abkommens getötet wurden, schmerzlich unterstrichen. Für diese Menschen und ihre Familien hat sich das Friedensabkommen nicht ausgezahlt.

Johan Ramírez ist DW-Korrespondent in KolumbienBild: Privat

Aber das ist nur der sichtbarste Zahl in einer Reihe von Hindernissen, die den Frieden nach fünf Jahren brüchig gemacht haben. Die Landreform, einer der Meilensteine des Abkommens, ist nicht umgesetzt worden. Einem aktuellen Bericht der Kommission zur Begleitung, Förderung und Überprüfung des Friedensvertrags (CSIVI) zufolge wurden seit 2016 nur 7,8 Prozent des Landes, das den Opfern des Konflikts versprochen wurde, übergeben. Im Vertrag steht, dass bis 2028 drei Millionen Hektar übergeben werden sollen. Bei dem derzeitigen Tempo werden bis zu diesem Zeitpunkt jedoch nur 21 Prozent dieser Menge übertragen worden sein. Dies ist von grundlegender Bedeutung, da der Landbesitz seit den Anfängen des kolumbianischen Krieges ein zentrales Thema ist.  

Auch bei der Rückgabe von Land an die Vertriebenen bleibt wesentliches unerledigt: Ganze Gemeinden erhalten zwar das Land zurück, das ihnen einst genommen wurde. Aber der Staat gibt es ihnen ohne Infrastruktur zurück - ohne Schulen, ohne Apotheken oder Kliniken und mit Straßen in katastrophalem Zustand, die jeden Handel mit den städtischen Gebieten unmöglich machen. Das kann mal wohl kaum Fortschritt nennen.  

Gewalt bleibt präsent in Kolumbien

Gewalt ist auch fünf Jahre nach dem historischen Abkommen erschreckend präsent in Kolumbien. Aber dies ist nicht die Schuld des noch unvollendeten Friedensabkommens. Denn der Staat hat nur mit den FARC-Rebellen einen Vertrag unterzeichnet. Man darf nicht vergessen, dass es neben der inzwischen aufgelösten Guerilla noch Dutzende anderer, irregulärer Gruppen gibt, die das ganze Land mit Gewalt überziehen. Mit ihnen wurde bisher nichts ausgehandelt.

Deren Gewalt hat nichts mit dem Dokument zu tun, das am 24. November 2016 unterzeichnet wurde: Einem Text, dessen Ausarbeitung schwierig war, der eine historische Niederlage in einer Volksabstimmung erlitt, der fünf Jahre später mal wackelt, mal erstarkt - der aber trotz seiner Höhen und Tiefen funktionieren muss, weil er nämlich die einzige Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden für Kolumbien ist.

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