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PolitikEuropa

Zuschauen ist bitter

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
5. März 2022

Die westliche Staatengemeinschaft entsandte am Freitag ihre Außenminister nach Brüssel für eine Schau der Solidarität mit der Ukraine. Aber die Aussichten für das kämpfende Land sind düster, meint Barbara Wesel.

Die Ukraine erfährt viel Solidarität in Europa, aber kämpfen muss sie alleineBild: John Thys/AFP/Getty Images

Wenn man Solidaritätsbekundungen in Panzer verwandeln könnte, Raketenwerfer oder Kampfjets, dann wäre die Lage der Ukraine vielleicht weniger verzweifelt. So aber sehen wir einen Überfluss an großen Worten und einen Mangel an nützlicher, militärischer Hilfe. Und unsere Politiker bereiten uns darauf vor, dass die gegenwärtigen Schreckensbilder aus der Ukraine erst der Anfang sind.

Der französische Präsident formulierte es nach seinem jüngsten Telefonat mit Wladimir Putin fast wortgleich wie am Freitag der NATO-Generalsekretär in Brüssel: "Es wird noch schlimmer." Die Militärs gehen davon aus, dass die russische Armee ihr Bombardement und den Beschuss der Zivilbevölkerung in Kürze intensiviert. Pessimisten befürchten, dass der russische Kriegsherr die Hauptstadt Kiew in Schutt und Asche legen wird, nach dem Muster der totalen Zerstörung von Grosny. Auf seinen Befehl hin hatte Putins Armee 1999 die tschetschenische Hauptstadt in eine Trümmerwüste verwandelt.

Die NATO kann nicht eingreifen

Diesen Schrecken vor Augen bittet der ukrainische Präsident immer wieder um eine Flugverbotszone über der Ukraine. Und immer wieder muss die NATO ihm antworten: Das können wir nicht tun! Es würde die direkte militärische Konfrontation mit Russland bedeuten und den Dritten Weltkrieg auslösen. Putin hat uns schon an seine Atomwaffen erinnert und angedeutet, dass er vielleicht bis zum Letzten gehen würde, um seinen Wahn vom großrussischen Reich unter Einschluss der Ukraine wahr zu machen. Dabei ist die scheinbare Irrationalität des Kremlchefs, seine echte oder vorgetäuschte Verrücktheit nur ein weiteres Mittel, um uns zu verunsichern. 

DW-Europa-Korrespondentin Barbara Wesel

Einige Beobachter glauben, das westliche Bündnis müsse sich sogar noch vorsichtiger verhalten, um die atomare Apokalypse zu vermeiden. Schon die Waffenlieferungen könne Putin als Überschreiten der roten Linie deuten. Die USA meinen dagegen, man müsse Putin jetzt stoppen, damit er nicht "die Büchse der Pandora" mit noch mehr Krieg und Instabilität öffne, wie Außenminister Anthony Blinken sagt. Er geht - wie auch viele Europäer - davon aus, dass Putin noch weitere Länder angreifen will: Georgien, Moldawien und die baltischen Staaten.

Die westlichen Staaten haben mit den bislang härtesten und schnellsten Wirtschaftssanktionen ihrer Geschichte reagiert. Wollen wir aber Putins Vernichtungszug stoppen, müssen wir die Schraube weiter anziehen. Die EU hat jetzt für den Beginn kommender Woche angekündigt, noch mehr Banken, den Schiffsverkehr und weitere Importe still zu legen. Danach bleibt als allerletztes Mittel nur noch, die Öl-, Gas- und Kohleimporte aus Russland zu stoppen. Das wird dann aber sowohl unsere Volkswirtschaften ins Schleudern bringen als auch den sozialen Frieden in unseren Ländern gefährden. Doch damit müssen wir im Zweifelsfall umgehen, denn alle anderen Optionen sind schlimmer. 

Wir finanzieren Putins Krieg

Denn indem wir weiter russisches Öl und Gas kaufen, finanzieren wir Putins Krieg. Auch wenn bereits die erste Sanktionsrunde die russische Zentralbank lahm gelegt hat, so verdient Moskau am Geschäft mit uns immer noch hunderte Millionen Dollar am Tag. Erst wenn wir diesen Hahn zudrehen, Putin völlig ohne Einnahmen dasteht und an seine Reserven nicht mehr herankommt, könnte er vielleicht  an den Verhandlungstisch kommen. 

Aber selbst diese härtesten Sanktionen werden der Ukraine kurzfristig nicht helfen. In allem anderen wächst die oft so zerstrittene EU über sich selbst hinaus: Sie bietet allen Flüchtlingen aus der Ukraine unbürokratisch Schutz und die riesige menschliche Hilfsbereitschaft ist anrührend und warmherzig. Die Europäer geben Geld, Waffen und leisten den Menschen im umkämpften Nachbarland umfangreiche humanitäre Hilfe.

Am Ende schauen wir dem Sterben der Ukraine doch zu

Die Bürgerinnen und Bürger Europas tun im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles, auch weil sie spüren, dass dieser Krieg ein Angriff auf uns alle, unsere liberale, demokratische Lebensform ist. Und weil die unfassbare Tapferkeit der Ukrainer auch diejenigen aufrüttelt, die glaubten, ihr Beitrag zur Sicherung unserer Zukunft sei vom Sofa aus zu erledigen.

Aber wenn es dazu kommt, dass Putin die ukrainische Hauptstadt mit ihren goldenen Kuppeln, ihrem Regierungspalast, dem heldenhaften Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und ihren mehr als drei Millionen Bürgern tatsächlich in den Boden bomben will, dann werden wir letztlich nur zuschauen können. Und dieses Gefühl unserer Hilfslosigkeit, mit gebundenen Händen als Beobachter von Putins mörderischem Feldzug - es wird ganz furchtbar bitter werden.

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