Porträt des Bonner Stammzellforschers Oliver Brüstle
23. März 2009Oliver Brüstle (47) leitet das Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Bonner Universität. Etwa sechszig Mitarbeiter forschen im vierten Stock des Life and Brain-Gebäudes auf dem Venusberg. Erst vor fünf Jahren wurde hier der moderne Forschungstempel gebaut. Vier Stockwerke vollgepackt mit medizinischer und biologischer Technik vom Feinsten. Als 1997 der damals 36-jährige Oliver Brüstle aus den USA kommend in Bonn anfing, war davon noch nichts zu ahnen. Damals stand hier noch Fichtenwald. Der gebürtige Schwabe war zwar bereits ein gestandener Wissenschaftler und Vater von drei Kindern, aber von Wissenschaftspolitik und dem Umgang mit der Öffentlichkeit hatte er nicht die geringste Ahnung.
Kontroverse um Stammzellforschung
Das sollte sich ändern, denn Oliver Brüstle wollte in Deutschland Stammzellenforschung betreiben. In den USA hatte er bereits mit Mäusestammzellen gearbeitet, und nun wollte er die dort erlernten Forschungsmethoden nach Bonn bringen. Als 1998 in den USA erstmals embryonale Stammzellen des Menschen im Labor gezüchtet werden konnten, wollte auch Brüstle mit ihnen arbeiten. Aber das deutsche Embryonenschutzgesetz verbot diese Forschung. Denn zur Herstellung der Zellen waren menschliche Embryonen getötet worden, wenn auch nur solche, die bei der künstlichen Befruchtung übrig geblieben waren und keine Chance hatten, jemals eingepflanzt zu werden. Damit Brüstle die Zellen aus den USA oder aus Israel importieren durfte, musste der Deutsche Bundestag über ein neues Gesetz beraten, das den Stammzellenimport regeln sollte. Monatelang tobte die Diskussion.
Forschung unter Polizeischutz
Brüstles Wohnhaus und die inzwischen sechsköpfige Familie mussten nach Drohungen unter Polizeischutz gestellt werden. Gemeinsam mit seiner Familie habe er das durchgestanden, sagt Brüstle heute. Einen Weg zurück gab es für ihn nicht: “Man kann sich dann auch nicht mehr aus der Verantwortung herausziehen, wenn man diesen Weg einmal beschritten hat.” Seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat die heftige Debatte letztlich genutzt. Zur gleichen Zeit gediehen in Bonn Pläne für das Life and Brain-Zentrum für Lebenswissenschaften und Gehirnforschung, und das Institut für rekonstruktive Neurobiologie wurde gegründet: Ein Forschungsinstitut, das sich mit dem Wiederaufbau von Gehirn- und Nervengewebe befasst. Oliver Brüstle wurde Institutsleiter. Junge Forscher erhalten hier die Möglichkeit, mit kleinen Teams eigene Projekte durchzuführen.
Den weißen Kittel trägt er nur noch selten
Gerne und ein wenig stolz führt Oliver Brüstle durch die Flure im vierten Stock. Vorbei an Zentrifugen, Brutschränken und Mikroskopen. Überall wird gearbeitet. Für die Stammzellenpflege ist er als Professor längst nicht mehr selbst zuständig. Den weißen Kittel trägt er nur noch selten.
Sein Mitarbeiter Philipp Koch streift die Einmalhandschuhe über. Alles muss extrem sauber sein, wenn er mit den kostbaren Zellen hantiert. Seinen Chef nennt er übrigens nicht Herr Professor, sondern ganz amerikanisch Oliver. Philipp Koch ist einer der jungen Nachwuchsforscher, auf die Oliver Brüstle setzt. Ihm ist es gelungen, Gehirnstammzellen im Labor zu vermehren. Diese Zellen sind aus embryonalen Stammzellen hervorgegangen und können sich zu unterschiedlichen Typen von Gehirngewebe entwickeln. Sie dienen nun als Quelle für zahlreiche Experimente. Neue embryonale Stammzellen werden kaum noch gebraucht.
Immer den Blick nach vorne
Auch bei der neuesten Entwicklung sind die Bonner Forscher dabei. Sie züchten so genannte IPS-Zellen (induzierte pluripotente Stammzellen). Mit Hilfe der Gentechnik entstehen sie aus Hautzellen. Die Zellen werden reprogrammiert, sagen die Forscher. So entwickeln sie die gleichen Fähigkeiten, wie embryonale Stammzellen, ohne dass Embryonen zu ihrer Herstellung getötet werden mussten. Vielleicht machen die IPS-Zellen die ethischen Debatten um die Stammzellenforschung eines Tages überflüssig. Aber noch werden die umstrittenen Alleskönner-Zellen aus Embryonen gebraucht: Als Vorbild, als Quelle und zum Vergleich. Sie zeigen den Forschern, wie es möglich ist, dass aus einem Zelltyp verschiedene Sorten Gewebe heranreifen können.
Für Oliver Brüstle hat sich der aufreibende Kampf gelohnt. Zufrieden blickt er aus dem Fenster im vierten Stock Richtung Waldrand. Der Parkplatz wird verschwinden und Platz machen für einen weiteren Neubau. Hier soll das Nationale Demenzforschungszentrum entstehen. Kein Stillstand; es muss immer weiter gehen. Das ist seine Devise.
Autor: Michael Lange
Redaktion: Judith Hartl