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Melodramatische Todessehnsucht: Veit Harlan

Jochen Kürten
10. Januar 2017

Der deutsche Regisseur hat mit "Jud Süß" den bekanntesten Propagandafilm der Nationalsozialisten gedreht. "Immensee" und "Opfergang" entstanden kurz danach - und werden jetzt, nach der Restaurierung, neu bewertet.

Filmregisseur Veit Harlan 1954
Bild: picture-alliance/dpa

Die beiden Melodramen "Immensee" und "Opfergang" von Veit Harlan verschwanden nie in den Giftschränken der Bundesrepublik, wie andere Filme des Regisseurs. Die Literaturverfilmung "Immensee" nach der Novelle von Theodor Storm und der zeitnah gedrehte "Opfergang" waren nach Ende des Krieges in Deutschland zugänglich - während Harlans antisemitisches Machwerk "Jud Süß" (1940) oder auch sein brachialer Durchhaltefilm "Kolberg" (1945) lange weggesperrt waren und zum Korpus der sogenannten "Vorbehaltsfilme" zählten: NS-Filme, die einem interessierten Publikum nur unter bestimmten Rahmenbedingungen gezeigt werden durften.

Filmhistorische Aufarbeitung der Veit-Harlan-Filme

Doch wie umgehen mit dem übrigen Werk eines Regisseurs, der sich ohne jeden Zweifel in die Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten hat einspannen lassen und der zum Vorzeigeregisseur Joseph Goebbels' wurde? Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, die auch die Rechte an den Vorbehaltsfilmen hält, hat die beiden Harlan-Werke "Immensee" und "Opfergang" unter anderem mit Geldern der deutschen Filmförderungsanstalt restaurieren lassen. "Opfergang" wurde bei den Filmfestspielen in Venedig im September 2016 einem internationalen Publikum in der frisch restaurierten Fassung auf großer Leinwand präsentiert, seit kurzem liegen beide Filme auf DVD vor.

Nur vorrübergehend vereint: Söderbaum und Raddatz in "Immensee"Bild: Entertainment Kombinat

Der Stiftung ging es bei der Restaurierung vor allem um die Wiederherstellung zweier Werke, die auf dem Gebiet des Farbfilms Kinogeschichte geschrieben haben: "Die außergewöhnliche Ästhetik, die 'Opfergang' und 'Immensee' zu wichtigen filmhistorischen Zeitdokumenten macht, ist stark mit dem Agfacolor-Verfahren verbunden", so die Stiftung: "Die bislang kursierenden Fassungen ließen das ursprüngliche Seherlebnis der Farbfilme allerdings nur erahnen." Harlans Filme gehörten in den 1940er Jahren zu den ersten Spielfilmen in Farbe, die in Deutschland produziert wurden. Die Fortschritte bei der digitalisierten Bildbearbeitung haben es nun möglich gemacht, die Filme in ihrer Ursprungsfassung annähernd wieder herzustellen.

Veit Harlan: Zwischen Handwerk und Moral

Dass Veit Harlan  ein Regisseur mit großen handwerklichen Fähigkeiten war, ist unumstritten. Und das ist wohl auch der Grund, dass sein Werk inzwischen von vielen Experten analysiert und beachtet wird. Schon 1994, als man das Jubiläum "100 Jahre Kino" feierte, veröffentlichte "Der Spiegel" eine Liste der "100 besten Filme aller Zeiten", "Opfergang" belegte damals - als "bester deutscher Film" - einen erstaunlichen sechsten Rang. Natürlich sind solche Listen immer stark von den subjektiven Geschmacksurteilen einer bestimmten Jury abhängig (im Falle der "Spiegel"-Liste waren nur vier deutsche Kritiker beteiligt) und man darf sicher sein, dass der Harlan-Film in anderen Ländern weit weniger prominent auftaucht - doch bleibt festzuhalten: Harlans Filme jenseits von "Jud Süß" und "Kolberg" erfreuen sich inzwischen einer starken Neubewertung und Wertschätzung.

Raddatz lässt sich in "Opfergang" von der schönen Irene von Meyendorff Tee einschenken Bild: Entertainment Kombinat

So kommentiert der deutsche Regisseur Dominik Graf die restaurierte Fassung von "Opfergang" auf DVD: "Ich habe diesen Film immer geliebt. Jetzt wieder oder jetzt erst recht (…) 'Opfergang' ist - wie auch 'Immensee' natürlich und 'Reise nach Tilsit' - bereits ein gewissermaßen postfaschistischer Film, obwohl 1943 gedreht (…), in Harlans Formdetails wabern eher Romantik und Jugendstil als teutonisch-kalte Mörder-Ästhetik aus Stein."

Klassische melodramatische Ausgangssituationen

"Opfergang" und "Immensee" erzählen beide durchaus vergleichbare Geschichten, wenn sie auch vom Erzählduktus und der Bildästhetik unterschiedliche Akzente setzen. In beiden Filmen spielen Carl Raddatz und Kristina Söderbaum die Hauptrollen und geben den Takt der dramatischen Handlung vor. In "Opfergang" steht Raddatz zwischen zwei Frauen (neben Söderbaum ist es hier noch Irene von Meyendorff), in "Immensee" ist es hingegen Söderbaum, die die Wahl zwischen zwei Männern (Raddatz und Paul Klinger) hat. Es sind im Grunde genommen klassische melodramatische Grundkonstellationen, die Veit Harlan durchspielt: Drei Menschen ringen um Aufmerksamkeit und Liebe - was nie gut gehen kann, weil einer am Ende immer das Nachsehen hat.

Bild: Entertainment Kombinat

"Opfergang" ist der radikalere Film, "Immensee" geschmeidiger. In "Opfergang" wurde das melodramatische Muster so überspitzt angewendet, dass viele Filmexperten eine Art Todessehnsucht vermuteten - nicht so abwegig angesichts der Produktionsgeschichte des Films. Veit Harlan drehte beide Werke praktisch parallel in den Kriegsjahren 42/43. Deutschland hatte den Krieg damals faktisch schon verloren, draußen brannten die Städte; drinnen, in den Kinos, wurden den Zuschauern ein Bild der Welt vermittelt, das zwischen Weltflucht und Fatalismus changierte.

Goebbels zeigte sich irritiert

Der Harlan-Biograf Frank Noack schreibt in seinem Buch über den Regisseur: "Opfergang ist ein Film, der das Publikum nicht zum Durchhalten auffordert, sondern die Niederlage als unabwendbar und attraktiv darstellt." Dass Propagandaminister Joseph Goebbels sich irritiert zeigte, verwundert nicht: "Leider ist er ('Opfergang' Anmerk. d. Red.) inhaltlich wieder wie 'Immensee', etwas überspitzt. Harlan arbeitet zuviel mit mysteriösen Chören, und auch sein Dialog ist etwas zu sentimental und äußerlich aufgebaut. Ich muss gelegentlich Harlan einmal ins Gebet nehmen. Er bewegt sich augenblicklich auf einer Linie, die nicht besonders viel Erfolg verspricht. Er muss wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgerufen werden."

Bild: Entertainment Kombinat

"Während sich die Kriegslage für Deutschland zunehmend verschlechterte, schien auch das Kino außer Kontrolle zu geraten", schreibt Frank Noack in seiner detaillierten Biografie: "Die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Gesund und Krank wurden immer undeutlicher. Das NS-Kino der Kriegsjahre war erstaunlich oft ein Kino der Verstörung, der Irritation."

Einblick in die Gemütslage der Deutschen

Man kann "Immensee" und "Opfergang" beim Wiedersehen heute kaum auf einen Nenner bringen. Die dramatische Anlage der Filme zwischen gefühligem Melodram und Morbidität fasziniert auch heute noch, Harlan fing Stimmungen und Atmosphäre zum Teil ausgezeichnet ein. Auf der anderen Seite wirken viele Sequenzen heute auch kitschig und extrem pathetisch. Ein junges Publikum, das nicht mit dem Vorwissen und dem emphatischen Impetus eines Dominik Graf an die Sache herangeht, dürfte die Filme eher als Trash goutieren.

Eines sind Veit Harlans Filme "Opfergang" und "Immensee" heute auf jeden Fall: ein wichtiges kulturhistorisches Zeitdokument, das einen Einblick in die Gemütslage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ermöglicht.

Die Filme sind auf DVD und Blu-ray beim Anbieter "Concorde" erschienen.

 

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