Melonis Asylzentren in Albanien endgültig vor dem Aus?
13. November 2024Peinlicher hätte es für Italiens rechte Regierung kaum laufen können: Vor einer Woche hatte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni noch auf dem EU-Gipfel für ihr neues Modell geworben, wie Asylanträge in einem Drittland bearbeitet werden können. Doch nun steht das gerade erst erbaute Lager in Albanien - vom italienischen Personal einmal abgesehen - schon wieder leer, bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit.
Schon im Oktober musste Italien die ersten 16 dorthin verbrachten Asylbewerber wieder zurückholen - vier, weil sie Minderjährigkeit oder Krankheit geltend machten, die anderen zwölf, weil ihnen rechtlich ein Verfahren in Italien zustand. An diesem Freitag unternahm die Regierung einen zweiten Versuch - mit sieben volljährigen Männern aus Ägypten und Bangladesch. Am Montag dann die erneute Kehrtwende: Ein Gericht in Rom ordnete die vorläufige Rückholung der sieben Personen an und verwies die Fälle zur endgültigen Klärung an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ein Schiff der Küstenwache holte sie ab und brachte sie ins süditalienische Brindisi.
Bei voller Auslastung hatte Italiens Regierung gehofft, in Albanien bis zu 40.000 Asylentscheidungen pro Jahr zu treffen. Doch auch einen Monat nach dem mehrfach verschobenen Start ist unklar, ob jemals auch nur eine einzige Entscheidung in dem Lager in Albanien fallen wird.
Stand-Off mit der Justiz
"Jetzt wäre eigentlich der richtige Schritt, wenn die Regierung von Frau Meloni sagen würde: 'Okay, wir haben es versucht, aber es ist nicht möglich'", sagt Christopher Hein, Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Migrationspolitik und Asylrecht an der LUISS-Universität Rom. Denn sowohl der EuGH als auch verschiedene italienische Gerichte hätten in den vergangenen Wochen ihre Bedenken über das in Italien praktizierte Konzept der sicheren Herkunftsländer geäußert - "in Bezug vor allem auf Ägypten und Bangladesch, aber auch auf Tunesien, eines der wesentlichen Herkunftsländer von Asylbewerbern in Italien", so Hein im DW-Interview.
Doch die rechte Dreier-Koalition schaltete auf Angriff gegenüber der Justiz, mit der sie sich auch schon in anderen Themenfeldern eine Machtprobe liefert: Der rechtsextreme Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini, dem wegen seines früheren Umgangs mit Flüchtlingen selbst eine Haftstrafe droht, sagte: "Das ist ein weiteres politisches Urteil - nicht gegen die Regierung, sondern gegen die Italiener und ihre Sicherheit." Auch der gemäßigtere Außenminister Antonio Tajani sprach von "ein paar Richtern, die der Regierung ihre politische Linie aufdrücken wollen".
Der Tech-Multimilliardär Elon Musk, der bald zum Deregulierungs-Berater des designierten US-Präsidenten Donald Trump aufsteigen soll, ätzte in seinem Netzwerk X ebenfalls über die italienischen Richter.
IOM: "kein abschreckender Effekt"
Das Albanien-Modell ist nicht die einzige restriktive Maßnahme, mit der die Regierung unter Führung der postfaschistischen Fratelli d'Italia die irreguläre Migration einzudämmen versucht: Seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 hat sie beispielsweise restriktive Gesetze zur Seenotrettung erlassen. Schiffe müssen nun ihren Einsatz beenden, sobald sie erste Schiffbrüchige an Bord geholt haben. Anschließend werden ihnen oft weit entfernte norditalienische Häfen zugewiesen, was Einsätze noch teurer und inneffizienter macht.
Die UN-Migrationsorganisation IOM räumt auf DW-Anfrage ein, dass im laufenden Jahr bislang deutlich weniger Ankünfte verzeichnet wurden als im Vorjahreszeitraum. Doch die IOM-Sprecherin erklärt auch: "Wenn man sich die Ankünfte des letzten Monats anschaut, der von schlechtem Wetter geprägt war, so kann man sagen: Das Abkommen zwischen Italien und Albanien hatte bis jetzt keinen abschreckenden Effekt. Allein an den letzten elf Tagen wurden mehr als 3300 Ankünfte über dem Seeweg in Italien registriert."
Die Sprecherin fügte hinzu, dass Europa mit Blick auf die Zahl der irregulären Ankünfte von einer Notlage wie 2015 weit entfernt sei.
Großes Interesse - wie schon beim britischen Ruanda-Deal
Trotzdem wirkte das Abkommen, das Italien mit seinem Nachbarn jenseits der Adria geschlossen hatte, verheißungsvoll auch auf andere europäische Regierungen: Dänemark, die Niederlande, aber auch einzelne Oppositionspolitiker in Deutschland äußerten eigene Überlegungen, Drittstaaten sozusagen als Dienstleister in die Steuerung der Migration einzubinden. Italien ist der Präzedenzfall innerhalb der EU - und erfährt dafür so viel Aufmerksamkeit wie einst Großbritannien. Londons Vereinbarung mit Ruanda wurde im Sommer endgültig beerdigt - wohlgemerkt, nachdem die abgewählte Tory-Regierung 700 Millionen Pfund (830 Millionen Euro) investiert hatte.
"Die rechtlichen, logistischen und finanziellen Schwierigkeiten - und das hat das Albanien-Modell gezeigt - sind dermaßen hoch, dass am Ende die ganze Geschichte nicht lohnt", resümiert Christopher Hein. Es handele sich um "verzweifelte Versuche, mit der Migrations- und Asyl-Situation auf einer falschen Weise umzugehen, die weder den Asylbewerbern gerecht wird, noch den gerechtfertigten Bedürfnissen der Bevölkerung, dass da mehr Ordnung reinkommt."
Wird Albanien zum Millionengrab für Giorgia Meloni?
Auch für Italien droht das Albanien-Modell zum finanziellen Desaster zu werden: Die Regierung rechnet mit Betriebskosten von mehr als 500 Millionen Euro bis 2029. Inzwischen hat sich der Rechnungshof des stark verschuldeten EU-Landes eingeschaltet.
Der in Rom ansässige Jura-Professor Hein spricht von einem offensichtlichen Missverhältnis zwischen den Ausgaben und der Zahl der Asylbewerber, um die es überhaupt geht - und mahnt: "Das könnte sogar strafrechtliche Konsequenzen haben." Der Rechnungshof hätte laut Hein auch die Kompetenz, als Ergebnis seiner Prüfung weitere Ausgaben zu unterbinden.
In den nächsten Wochen wird ein Urteil des Kassationsgerichtshofes, des obersten Gerichts in Italien erwartet - zur Frage, ob Italien mit seinen Regeln zu sicheren Herkunftsstaaten Europarecht bricht. Auch am Luxemburger EuGH stehen Entscheidungen an. Gut möglich, dass der italienischen Regierung schon bald die Entscheidung abgenommen wird, ob sie weiter an ihrem Albanien-Modell festhalten will.