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Mengele-Film beleuchtet die Psyche des Auschwitz-Arztes

Stuart Braun
27. Oktober 2025

Der russische Filmemacher Kirill Serebrennikow liefert eine Charakterstudie des berüchtigten NS-Kriegsverbrechers Josef Mengele, der sich in Südamerika der Justiz entzog.

Filmstill aus "Das Verschwinden von Josef Mengele": Ein Mann mit Hut und Sonnenbrille (August Diehl als Josef Mengele) steht vor einem Zaun.
"Das Verschwinden von Josef Mengele": August Diehl in der Rolle des sogenannten "Todesengels von Auschwitz"Bild: Courtesy of Kinology

Josef Mengele war ein NS-Arzt, der im Vernichtungslager Auschwitz sadistische Experimente an jüdischen Menschen durchführte. Er war der sogenannte "Todesengel", der für seine mörderischen Taten im Namen der Wissenschaft berüchtigt war. 

Nach Kriegsende gelang es Mengele, sich der Verhaftung in Deutschland zu entziehen und mit Hilfe ehemaliger SS-Kameraden, der Eliteeinheit des Nazi-Regimes, nach Argentinien zu fliehen. So wie er schafften es Tausende andere nach Südamerika - mit Unterstützung von Kollaborateuren, deutschen Einwanderern, die mit ihnen sympathisierten, und im Falle Argentiniens mit Hilfe von Präsident Juan Perón, der dem europäischen Faschismus sehr verbunden war. 

Dies ist der Ausgangspunkt für "Das Verschwinden von Josef Mengele" - ein Filmdrama, das die erfolgreiche Flucht des Kriegsverbrechers von Buenos Aires über Brasilien nach Paraguay nachzeichnet.

Der deutschsprachige Film entstand unter der Regie des russischen Filmemachers und Theaterregisseurs Kirill Serebrennikow und feierte im Mai auf den Filmfestspielen von Cannes Premiere. Jetz ist er in Deutschland in den Kinos angelaufen.

Dr. Josef Mengele (Mitte) mit den Auschwitz-Kommandanten Richard Baer (links) und Rudolf Höß (rechts)Bild: Public domain via Wikimedia Commons / Wikipedia

Basierend auf dem 2017 erschienenen preisgekrönten Buch des französischen Journalisten und Schriftstellers Olivier Guez zeichnet der Film ein düsteres Bild der Ursachen - und Folgen - des ideologischen Extremismus der Nazis.

Auf der Flucht vor Gerechtigkeit

"Das Verschwinden von Josef Mengele" beginnt im Jahr 1956. Der deutsche Kriegsverbrecher lebt unter dem Namen Helmut Gregor im Exil in Buenos Aires. Aber israelische Geheimdienstagenten, westdeutsche Beamte und Nazi-Jäger sind ihm auf der Spur.

Der Film zeigt, wie Geld, Beziehungen und eine chamäleonartige Verwandlungsgabe einem der meistgesuchten Männer der Welt jahrzehntelang halfen, sich der internationalen Justiz zu entziehen. Mengele (gespielt von August Diehl) ertrank schließlich 1979 aufgrund eines Schlaganfalls an einem brasilianischen Strand.

Auschwitz - ein Besuch 80 Jahre nach der Befreiung

17:14

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Zudem offenbart der Film, wie der Mann, der in Auschwitz brutale Experimente an Menschen durchführte, seiner Vergangenheit niemals entkommen kann. Einsam, krank und gealtert lebt Mengele unter falscher Identität in São Paulo, als sein Sohn Rolf ihn aufspürt. Der will wissen, was wirklich im Lager geschehen ist. Während eine neue Generation die Wahrheit einfordert, kann Mengele nur die faschistischen Lügen wiederholen, mit denen er seine Verbrechen rechtfertigte.

"Was passiert mit Kriegsverbrechern, wenn der Krieg vorbei ist? Gibt es so etwas wie göttliche Gerechtigkeit? Werden diese Menschen irgendwann für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen?" Das sind die Fragen, die Serebrennikow dazu inspirierten, Guez' Sachbuchroman zu verfilmen. Der Autor hat sich darin mit der Natur des Bösen auseinandersetzt. "Die Frage nach Karma, Bestrafung, Gerechtigkeit - all das hat mich schon immer interessiert", sagte Serebrennikow in einem Interview mit dem Verleiher des Films.  

"Weg vom normalen Menschen zum Verbrecher kann kurz sein"

Der Regisseur, ein Kritiker von Russlands Präsident Wladimir Putin, der in seiner Heimat jahrelang unter Hausarrest stand, bringt den Zuschauer bewusst nah an Mengele heran; so will er  dessen dogmatische Denkweise verständlich machen. Diese Herangehensweise wurde zum Teil von der jüdischen deutsch-amerikanischen Intellektuellen Hannah Arendt inspiriert. Im Zuge des Prozesses gegen NS-Verbrecher Adolf Eichmann, den der israelische Geheimdienst in Argentinien aufspüren konnte, entwickelte sie ihre These der "Banalität des Bösen". Diese besage, so der russische Regisseur, "dass Monster sich nicht von gewöhnlichen Menschen unterscheiden."

"Es geht darum, den Zuschauer dazu aufzufordern, Mengeles Maske aufzusetzen, um zu verstehen, dass der Weg vom normalen Menschen zum Verbrecher und Sadisten erschreckend kurz sein kann", fügt er hinzu. "In seinen Augen sieht er sich selbst überhaupt nicht als Verkörperung des absolut Bösen. Es gab viele andere Ärzte in Auschwitz - warum sollte gerade er dafür verantwortlich gemacht werden?" 

Der Filmemacher betont, dass dieser Ansatz niemals Sympathie hervorrufen sollte. "Sympathie für Mengele ist unmöglich", sagte er.  

Regisseur Kirill Serebrennikow erforscht in "Das Verschwinden des Josef Mengele" die "Banalität des Bösen"Bild: DW

Serebrennikow ließ sich auch von Jonathan Littells Roman "Die Wohlgesinnten" aus dem Jahr 2006 inspirieren. Darin berichtet ein ehemaliger SS-Offizier, der nach dem Krieg ein angenehmes Leben in Frankreich führt, von seinen mörderischen Ausschreitungen an der Ostfront.

Neben seiner zentralen Figur konzentriert sich "Das Verschwinden von Josef Mengele" auch auf das Netzwerk von Menschen in Europa und Südamerika, die Mengele bis zu seinem Tod beschützten, finanzierten und versteckten. "Das Böse ist nicht nur Mengele, sondern auch all diese Menschen", so Serebrennikow. "Viele von ihnen sind ungestraft davongekommen."

"Ein sehr schmerzhaftes Thema" in Deutschland

Serebrennikow, der derzeit in Berlin lebt, musste nach eigenen Angaben viel darüber lernen, wie sich Generationen von Deutschen mit der Geschichte versöhnt haben. Dafür interviewte er Schauspieler, Journalisten, Freunde und Produzenten, um Geschichten über ihre Großeltern und deren Leben vor und nach dem Krieg zu hören.

"Viele haben geschwiegen", sagt er. "Es ist ein sehr schmerzhaftes Thema. Aber vielleicht hat der Film das Potenzial, eine große Debatte anzustoßen. Das wäre gut." Da rechtsextreme Ideologien weltweit wiederaufleben, möchte "Das Verschwinden von Josef Mengele" die Zuschauer auch an die Gefahren von Dogmen erinnern.  

"Wir sind derzeit von stark ideologischen Systemen umgeben", sagt der Produzent des Films, Felix von Boehm. "Ich hoffe, dass der Film mit seiner präzisen Beschreibung ideologischer Engstirnigkeit dazu beitragen wird, dass Menschen sich nicht von Ideologien jeglicher Art vereinnahmen lassen."

Adaption aus dem Englischen: Katharina Abel

Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.