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Menschen in Syrien ein Gesicht geben

Diana Hodali26. August 2016

Als ARD-Kairo-Korrespondent berichtet Volker Schwenck aus über 15 Ländern, auch aus Syrien und dem Irak. In jedem Krieg wird immer auch mit Informationen gekämpft. Was das für Journalisten heißt, erzählt er im Interview.

Volker Schwenck (Foto: SWR)
Bild: SWR

Deutsche Welle: Sie sind 2013 nach Kairo gegangen und berichten über große Teile des Nahen Ostens, mittlerweile überwiegend über Krisen und Kriege. Das haben Sie sich bestimmt anders vorgestellt, oder?

Volker Schwenck: Als ich meine Stelle als Korrespondent angetreten habe, war ich von dem naiven Glauben geprägt, dass ich hier in Kairo einer Demokratie beim Wachsen zuschauen könnte. Es ging mir wie vielen anderen auch: Ich dachte ernsthaft, dass dieser Revolutionsprozess unumkehrbar ist. Es war aber relativ schnell klar, dass das nicht der Fall ist.

Bis August 2013 war es noch möglich, auch über etwas Anderes zu berichten als über Krieg und Krisen - da hat hier in Ägypten die Räumung der Protestcamps der Mohammed Mursi-Anhänger stattgefunden. Dabei kamen mehr Menschen ums Leben als bei der Revolution 2011. Dann gab es den Giftgasangriff in Damaskus und fortan haben wir fast nur noch über Krieg und Krise berichtet.

Sie versuchen das Risiko bei Ihren Reisen zu minimieren, haben Sie dennoch manchmal Angst?

Es ist mir schon ein paar Mal passiert, dass ich vor einer Reise nach Syrien der festen Überzeugung war, ich werde von dieser Reise nicht zurückkommen. Wenn ich dann vor Ort bin, ist es meist besser: Wir sind - so gut es geht - vorbereitet und wir waren auch noch nie in einer wirklich gefährlichen Situation.

Wir werden in der Regel von einer der Konfliktparteien begleitet, in Syrien zum Beispiel von der Kurdenpartei PYD. Früher konnten wir in Syrien auch noch Rebellengruppen begleiten. Wir sind also nie alleine. Wir sind aber auch selten ganz vorne mit dabei.

Das heißt, Sie sind kein klassischer Kriegsberichterstatter?

Nein, ich verstehe mich auch nicht als Kriegsberichterstatter. Mich interessiert viel mehr, wie Menschen in diesen Situationen leben. Was man sich fragt, wenn man Bilder aus Aleppo sieht: Wie kann es sein, dass Menschen dort noch heiraten oder Kinder haben? Dass sie morgens aufstehen und zur Arbeit gehen. Wie geht das?

Zu gefährlich: der Teil Aleppos, der von Rebellen kontrolliert wirdBild: Reuters/A. Ismail

Können Sie diese Geschichten denn auch erzählen?

Eingeschränkt können wir sie erzählen. Wir können leider nicht mehr aus den Rebellengebieten Nordsyriens berichten - dort ist es seit Ende 2014 zu gefährlich. Was man wissen muss: Wir hatten eine Aufteilung im Büro - ein Korrespondent geht mit Visum auf die Regimeseite und einer auf die Rebellenseite.

Mein Kollege Thomas Aders war in Aleppo auf der Regimeseite, er ist nicht mehr hier. Ich komme dort nicht mehr auf die Rebellenseite, weil es zu gefährlich ist. Deswegen muss ich die Geschichten aus Aleppo erzählen mit Hilfe von Kameraleuten, die uns Bilder zuliefern. Das ist natürlich die Oppositionssicht, die man dann einordnen muss. Aber in diesem Konflikt gibt es keine objektive Information.

Das ist doch als Journalist total unbefriedigend, nicht dort sein zu können?

Das ist total unbefriedigend, weil man sich so angreifbar macht. Im Internet liest man dann oft Vorwürfe, man würde Rebellenpropaganda machen. So angreifbar zu sein, würde ich so gerne vermeiden, indem ich mir alles selbst angucke. Aber das geht in vielen Gebieten einfach nicht mehr.

Wenn Sie so viel Krisen und Krieg sehen, was macht das mit Ihnen?

Es macht einen härter, es macht ungeduldig, manchmal auch zynisch. Was in solchen Fällen hilft, ist ein funktionierendes soziales Umfeld, um wieder aufzuladen.

Haben Sie denn überhaupt noch das Gefühl, dass Sie schöne Geschichten im Nahen Osten sehen können - Menschen, die nicht vom Krieg betroffen sind?

Ich sehe sie einfach sehr selten. Man verhärtet, man bekommt einen Wahrnehmungsmodus, der auf Krawall und auf Elend gebürstet ist. Es gab eine Zeit, da habe ich mir die Videos des sogenannten Islamischen Staates oder anderer nicht weniger brutaler Dschihadisten-Gruppen angesehen. Aber das mache ich nicht mehr.

Welchen Blick haben Sie denn dann auf den Nahen Osten?

Ich habe hier tolle Leute kennengelernt. Im Oman zum Beispiel: Dort habe ich eine Frau getroffen, die ihren eigenen Weihrauch-Betrieb aufgebaut hat. Diese Frau war Ende 40, Großmutter, und sah aus wie Anfang 30. Im Oman verhüllen die meisten Frauen ihr Gesicht - sie zeigte es offen, war stolz darauf und sagte: Die Leute müssen doch wissen, wer ich bin. Das hat mich sehr beeindruckt.

Es gibt im arabischen Raum Menschen, die einen Ehrbegriff und ein Verständnis von Anstand haben, da kann man nur den Hut davor ziehen. Solche Begegnungen richten mich wieder auf. Was mich allerdings runterzieht, ist die größere Perspektive: Ich sehe nicht, dass sich im Nahen Osten mittelfristig irgendetwas zum Positiven entwickelt. In Ägypten herrscht volle Repression - das Regime ist vor allem deshalb unangefochten, weil es keine Alternativen gibt.

Wie ist Ihre Einschätzung zur Zukunft Syriens?

Momentan sieht es aus, als könne sich Baschar al-Assad halten und die Opposition, die als Partner in Frage gekommene wäre, mittelfristig auslöschen. Dank russischer und iranischer Militärunterstützung besteht die realistische Chance, dass er Aleppo einnimmt. Damit hätte er alle städtischen Ballungszentren zurückerobert. Dann gibt es fast nur noch die Extremisten.

Und die gemäßigten Oppositionellen, die sich vom Westen im Stich gelassen fühlen, laufen wahrscheinlich über.

Es ist davon auszugehen, dass es zu einer weiteren Radikalisierung kommt. Wenn man mit den Rebellen redet, die keinen islamischen Gottesstaat wollen, dann hört man, dass sie sich völlig allein und vom Westen im Stich gelassen fühlen. Der Kampf gegen den Terror, gegen den IS, beherrscht alles andere.

Dabei ist das Grundübel die soziale Ungerechtigkeit in Syrien. Man hat versucht, gegen ein Regime aufzubegehren, das sich durch Geheimdienste, Repression und brutale Folter stabilisiert. 2013 habe ich in Aleppo Jungs gesehen, die behängt waren mit Messern und Gewehren. Sie schienen das als männlich zu empfinden. Diese Jungs sind heute alle weg.

Was heißt weg?

Sie sind möglicherweise tot oder geflohen. Aber für viele ist diese "Revolutionsmode" vorbei. Wer in diesem Krieg noch Revolutionär ist, der weiß, was Krieg bedeutet. Er hat möglichweise selbst getötet und ist verroht.

Flüchtlinge in Deutschland - sie müssen bei Null anfangenBild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Wenn Sie als Korrespondent nur über Krieg und Krise berichten, dann beeinflussen Sie ja auch die Wahrnehmung in Deutschland.

Natürlich haben die Medien einen Einfluss darauf. Wenn Aleppo in weiten Teilen zerstört ist, dann müssen wir zerstörte Straßen zeigen. Es gibt auch nicht zerstörte Straßen, aber, wenn man über Krieg berichtet, dann zeigt man eben Krieg.

Und so verfestigt sich in Deutschland der Eindruck, dass ganz Aleppo zerstört sei. Das ist falsch. Aber ehrlich gesagt habe ich auch Schwierigkeiten, positive Bilder aus der Region zu entdecken. Natürlich gibt es Zeichen der Hoffnung. Aber insgesamt? Die Stabilität nimmt nicht zu, die Sicherheit nimmt nicht zu, die wirtschaftliche Prosperität nimmt nicht zu.

Dennoch gibt es Menschen im Nahen Osten, die ihren Alltag bestreiten.

Alltag ist unspektakulär und deshalb wird darüber weniger berichtet.

Sie sehen die Zerstörung und das Elend vor Ort und berichten über die Menschen, die aus den Krisen-und Kriegsgebieten fliehen - unter anderem auch nach Deutschland. Wie sehen Sie die Berichterstattung in Deutschland?

Ich treffe die Leute dort, wo sie Individuen einer Gemeinschaft sind, in der sie ein Gesicht haben. Sie sind dort der Bäcker oder der Professor, der fliehen musste. In dem Moment, in dem sie die Flucht nach Deutschland geschafft haben, haben sie meistens alles verloren.

Dann sind sie in Deutschland nur eine Nummer - irgendein Flüchtling mit den üblichen Schwierigkeiten. Es ist natürlich ein Unterschied, ob man über eine Nummer schreibt in Deutschland oder ob ich über jemanden berichte, der ein Leben und eine Geschichte hat und der gerade all das verliert.

Volker Schwenck studierte in Konstanz und arbeitete zuerst beim damaligen SWF Regionalstudio Konstanz. 2002 wechselte er zum SWR nach Stuttgart. Fünf Jahre später zog es ihn ins Ausland nach Genf. Seit 2013 ist er Leiter des ARD-Fernsehstudios Kairo.


Das Gespräch führte Diana Hodali.

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