Alles außer Menschenrechte
24. September 2015Als Chinas Präsident Xi Jingping zum Auftakt seines US-Besuch in Seattle ankam, waren sie schon längst da: Hunderte Demonstranten protestierten mit Plakaten gegen die chinesische Politik in Tibet, gegen Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen. Und auch in Washington sind die Proteste nicht zu übersehen: Rot und riesig hängen sie am Journalismus-Museum Newseum zwischen Kapitol und Weißem Haus. "Lang lebe die Freiheit, lang lebe die Demokratie" steht auf den Bannern. "Die chinesische Regierung sollte die Menschenrechte respektieren". Und: "Menschenrechtsanwälte in China freilassen".
Seit Anfang Juli hat die chinesische Regierung nach Angaben von Amnesty International fast alle der mehr als 200 Menschenrechtsanwälte im Land festnehmen lassen. 30 sind noch immer in Haft oder verschwunden. Außerdem plant die Regierung ein neues Gesetz zur genaueren Überwachung von ausländischen Nichtregierungsorganisationen, die in China tätig sind. So massiv wie im Moment sind die Behörden lange nicht gegen Menschenrechtsaktivisten vorgegangen.
Klare Worte von Obama eher unwahrscheinlich
"Eigentlich wäre das jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um mit China sowohl über das Handelsdefizit zu sprechen als auch über die Bürgerrechte", sagt der bekannte Dissident Wei Jingsheng, der seit 1997 im amerikanischen Exil lebt, der DW. Trotzdem hat er Zweifel, dass beim Treffen von Xi und Obama die Lage der Menschenrechte Thema sein wird. "Obama wird es nicht tun, weil er Sorge hat, dass er damit die Wirtschaft vor den Kopf stoßen könnte."
Handel, Cybersicherheit und Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer stehen ganz oben auf der Agenda des Treffens. Aber natürlich werde der Präsident auch andere strittige Themen ansprechen, verkündete Obamas Sicherheitsberaterin Susan Rice.
Für den republikanischen Kongressabgeordneten und Vorsitzenden des Menschenrechts-Unterausschusses, Chris Smith, ist das nicht mehr als ein leeres Versprechen. "Obama hat kläglich versagt. Er hat nichts getan, um die Menschenrechte zu verbessern. Er erwähnt das Thema kaum", kritisiert Smith im Interview mit der DW. Das sei schon beim Treffen mit Xis Amtsvorgänger Hu Jintao deutlich geworden: "Obama ist Friedensnobelpreisträger und trifft den Mann, der seinen Mit-Nobelpreisträger gefangen hält, und erwähnt Liu Xiaobo nicht einmal."
Der Schriftsteller und Mit-Autor des Bürgerrechtsmanifests "Charta 08" Liu Xiabo sitzt seit Dezember 2009 in China im Gefängnis und erhielt 2010 in Abwesenheit den Friedensnobelpreis.
US-Autoren fordern Freiheit für chinesische Kollegen
Schon vor Xis Abreise hatten mehr als 40 amerikanische Intellektuelle - darunter prominente Autoren wie Paul Auster, Jeffrey Eugenides, Jonathan Franzen - einen offenen Brief an den chinesischen Präsidenten verfasst. Darin fordern sie die Freilassung von chinesischen Autoren, die "im Gefängnis dahinsiechen für das Verbrechen, dass sie ihre Meinung gesagt haben".
Beispielhaft nennen die Unterzeichner im Brief vier Fälle: den von Liu Xiaobo und seiner unter Hausarrest stehenden Frau sowie des uighurischen Wissenschaftlers Ilham Tohti, der vor einem Jahr zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Und sie kritisieren, dass die investigative Journalistin und frühere DW-Mitarbeiterin Gao Yu im Gefängnis nicht die benötigte medizinische Hilfe bekommt.
"Die Inhaftierung von Autoren und Journalisten beschädigt das Bild Chinas im Ausland und untergräbt seinen Anspruch, international ein starker und respektierter Partner zu sein", heißt es in dem Brief. Xi solle "umgehend" etwas unternehmen, um die Rechte aller Chinesen auf Meinungs- und Informationsfreiheit zu gewährleisten.
"Washington bezieht gegenüber Peking nur undeutlich Position"
Einsperrte Anwälte und Autoren, anhaltende Konflikte in Tibet und in der Uighuren-Provinz Xinjiang, Angriffe auf Kirchen im Osten des Landes, der Gesetzentwurf zur Kontrolle von NGOs: Anknüpfungspunkte, um Menschenrechts-Fragen anzusprechen, hätten die USA genug, sagt auch die China-Direktorin von Human Rights Watch, Sophie Richardson.
Zwar hätten die USA bei verschiedenen Anlässen gegenüber führenden chinesischen Funktionären ihre Sorge über die Lage in China ausgedrückt, aber eine angemessene Reaktion des Weißen Hauses auf den "alarmierenden Zerfall der Menschenrechte" habe es nicht gegeben, schreibt Richardson. Die US-Regierung habe sich "nur widerwillig hinter Chinas bedrängte Aktivisten gestellt." Einzige Ausnahme seien der Empfang des Dalai Lama 2014 gewesen und der oberflächliche Glückwunsch an Liu Xiaobo zum Friedensnobelpreis 2010.
Auch andere Regierungen seien in ihrer China-Kritik zurückhaltender geworden, je wirtschaftlich mächtiger China wurde. "Es gibt diesen Trend seit mehr als zehn Jahren", konstatiert Wei Jingsheng. "Und es wird immer schlimmer."
Proteste trotz Park-Sperre
Vor einigen Wochen waren die chinesischen Chefprotokollanten bereits zu einem Vor-Besuch in Washington. Eine ihrer Forderungen: Die Sicherheitsbeamten sollten garantieren, dass Demonstranten außer Sicht- und Hörweite von Präsident Xi bleiben. Der Lafayette-Park vor dem Weißen Haus ist daher gesperrt.
Durch die vielen Aktionen der Zivilgesellschaft wird Chinas Staatschef den Protesten trotzdem nicht entgehen können. Der politischen Diskussion über die Menschenrechte in seinem Land wohl schon.