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Menschenrechte im Kino

8. Oktober 2009

Mit den Augen der Regisseure in sonst verborgene Weltregionen blicken - diese einmalige Chance bietet die "6. Perspektive", das Festival der Menschenrechte in Nürnberg. Im Mittelpunkt in diesem Jahr: der Iran.

Der iranische Präsident Ahmadenidschad inmitten einer jubelnden Menge (aus 'Letters to the President', Festival der Menschenrechte Nürnberg)
Unterwegs mit Präsident Ahmadinedschad: "Letters to the president"Bild: Filmfestival der Menschenrechte

Die Kameras der Regisseure können manchmal zu Waffen werden - Waffen, die allerdings für friedliche Zwecke eingesetzt werden. Aber: in vielen Staaten der Welt werden diese Kameras von den Herrschenden tatsächlich als Waffen interpretiert, Journalisten und Regisseure an ihrer Arbeit massiv behindert. Ein eindrucksvolles Beispiel für diese Repressionen lieferte der Film "Unwanted Witness", eine Schweizer Produktion, die die Zustände im südamerikanischen Land Kolumbien untersucht.

Im Mittelpunkt steht der kolumbianische Fernsehjournalist Hollman Morris, einer der wenigen Pressevertreter, der das seit Jahren von Bürgerkrieg, Korruption und schweren Menschenrechtsverletzungen gezeichnete Land als Journalist beobachtet. Morris, der in Kolumbien nur mit schwerbewaffnetem Sicherheitspersonal recherchieren und filmen kann, war für ein paar Stunden nach Nürnberg gekommen, um seine Arbeit vorzustellen: "Natürlich ist es unmöglich, den Konflikt in Kolumbien in 30 Sekunden zusammenzufassen. Was dort geschieht, ist ein humanitäres Drama größten Ausmaßes. Kein Kolumbianer hat in den letzten Jahren einen Tag des Friedens erlebt", sagt Morris. "Das ist ein Drama, an dem viele Akteure beteiligt sind: Rauschgifthändler, paramilitärische Einheiten, die Guerilla, der Staat. Alles ist miteinander verwoben, schwer zu durchschauen."

Vielfach ausgezeichneter Journalist: der Kolumbianer Hollman Morris in "Unwanted Witness"Bild: Filmfestival der Menschenrechte

Mehr als nur Nachrichtenbilder

"Unwanted Witness" war ein typisches Beispiel für die in Nürnberg gezeigten Arbeiten, weil er auch über den Entstehungsprozess solch kritischer Filme berichtete. Der Anspruch der Festivalleitung in Nürnberg ist es, nicht nur auf Missstände in vielen Ländern der Erde aufmerksam zu machen, sondern auch den Umgang der Menschen mit diesen Missständen zu thematisieren. Man will mehr als die üblichen Bilder der Fernsehnachrichten zeigen.

Andrea Kuhn mit Festivalgast Iris BerbenBild: Filmfestival der Menschenrechte

Festivaldirektorin Andrea Kuhn macht das am Beispiel Afrika und an den Filmen über und aus Afrika deutlich: "Es geht darum, ein anderes Bild von Afrika zu zeigen, nämlich nicht nur den dunklen Kontinent, der von Genozid bis Kindersoldaten alles zu bieten hat." Man will in Nürnberg auch starke Vorbilder aus Afrika präsentieren, Menschen, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen wehren. "Wir zeigen, wie sich Menschen zur Wehr setzen, wie sie aktiv werden, wie sie - obwohl die Chancen eigentlich nicht für sie sprechen - trotzdem etwas machen, und wie sie eben auch Erfolge feiern."

Fokus Iran

In diesem Jahr waren vor allem viele Filme über den Mittleren Osten im Programm. Der Iran stand dabei im Mittelpunkt. Die Schirmherrschaft der "6. Perspektive" hatte der international anerkannte Filmregisseur Mohsen Makhmalbaf übernommen. Dem gebürtigen Tschechen Petr Lom, der seit langem in Kanada lebt, war es als einzigem Ausländer im vergangenen Jahr gestattet, den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad auf seinen Reisen durch die Provinz des Landes zu begleiten. Lom hat das in seinem eindrucksvollen Film "Letters to the President" dokumentiert.

Rund zehn Millionen Briefe sollen die Iraner ihrem Präsidenten geschickt haben, in denen sie von ihren Nöten erzählen, ihn um Hilfe bitten. Briefe, die in Teheran von ganzen Beamtenstäben gelesen und zum Teil beantwortet werden. Lom hat dieses System des unmittelbaren Kontaktes, mit dem sich Ahmadinedschad als Mann des Volkes gibt, untersucht. Was schreiben die Menschen ihrem Präsidenten?

Bitten um Geld

"Bei zehn Millionen Briefen ist es schwierig, das genau zu sagen", meint Lom, "die Frage ist ja auch, inwiefern man das alles glauben soll. Aber der überwiegende Teil der Briefe handelt von ökonomischen Problemen, die Leute können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen oder sich alltägliche Dinge nicht leisten. Manche fragen auch direkt nach Geld." Auch wenn Lom sich nicht völlig frei bewegen konnte bei seiner Reise in die tiefste Provinz des Landes, so zeigt sein offener Blick auf die Menschen doch ein Stück Lebensrealität im Iran. Von vielen Landsleuten wird Ahmadinedschad fast vergöttert, insbesondere die arme Landbevölkerung setzt ihre ganze Hoffnung auf den Präsidenten, der diese Nähe zu den Menschen für seine Politik zu nutzen weiß.

Kritische Stadtbevölkerung

Doch in dem Film wird auch immer wieder eine andere Seite sichtbar. In vielen fast nebensächlichen Szenen wird die Verunsicherung der Menschen deutlich, die Angst vor der Kamera aus dem Westen, die Arroganz der Staatsbeamten im Umgang mit diesen Briefen an den Präsidenten. Wenn sich der Regisseur mit seiner Kamera in die Städte bewegt, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Die Stadtbevölkerung ist wesentlich kritischer eingestellt, ist oft enttäuscht von der Politik und den strengen Sittenvorschriften.

"Korankinder": hartes Lernen für den IslamBild: Filmfestival der Menschenrechte



Das Thema Islam und Fanatismus in der muslimischen Welt beherrschte auch andere Beiträge im Programm. Einen faszinierenden Einblick in eine im Westen weitgehend fremde Welt bot der aus Bangladesh stammende Regisseur Shaheen Dill-Riaz. Sein Film "Korankinder" ermöglichte einen Blick in die ansonsten für Kameras verschlossenen Koranschulen.

Zunehmende Islamisierung

Diese Schulen sind nach Meinung des Regisseurs Teil einer sich verändernden Gesellschaft: "Im täglichen Leben der Menschen ist zu beobachten, dass man immer mehr Religion zelebriert, auch wenn man nicht unbedingt sehr ernsthaft am Glauben festhält." Aber diese Manifestation der Religion und der religiösen Praxis sei sehr sichtbar, so Dill-Riaz. "Das hat zugenommen. Das hat mich dazu bewegt die Frage zu stellen, was haben wir Bengalen für eine Beziehung zu dieser Religion?"

Regisseur Shaheen Dill-RiazBild: DW

Der Regisseur sieht ein ganzes Bündel an Gründen für diese Veränderung. In den Städten sei das Leben immer schneller geworden, sagt Dill-Riaz, hektischer und unpersönlicher, das sei eine Folge der Globalisierung. Der Stadtbevölkerung sei ein "normaler" Umgang mit der Religion kaum noch möglich. Diesen Freiraum würden religiöse Eiferer nutzen.

Armut und Religionskriege

Hinzu kommen Ursachen wie die wachsende Armut und andere gesellschaftliche Entwicklungen. Der Staat könne grundlegende Hilfe oft nicht mehr leisten. Bildungseinrichtungen wie Schulen oder Waisenhäuser würden von islamischen Organisationen übernommen. Auch die chauvinistische Gesellschaft trage zur Radikalisierung bei. Politische Entwicklungen wie Konflikte mit anderen Volksgruppen und Religionen vervollständigten diese Radikalisierung. Das sei im Übrigen auch in anderen Ländern zu beobachten, meint Dill-Riaz, der schon seit längerem in Deutschland lebt.

Es sind aufregende und aufschlussreiche Dokumentationen wie "Korankinder", die ihren Blick auf die Situation eines einzelnen Landes richten, dabei aber zu allgemeingültigen Aussagen kommen. Das macht das Nürnberger Menschenrechtsfilmfestival so spannend.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Manfred Götzke