Menschenrechte in der Wirtschaft
24. August 20122011 hat der UN-Menschenrechtsrat das neue Regelwerk verabschiedet. Doch weiterhin müssen Arbeiter in China 13 Stunden und mehr schuften um Mobilfunktelefone zusammenzubauen. Frauen in Bangladesch nähen Kleidung für geringste Löhne und in Kolumbien werden Menschen von ihrem Land vertrieben, weil Großunternehmen dort Kohlevorkommen abbauen. Der Politikwissenschaftler und UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte und Unternehmen, John Ruggie, hat die Empfehlungen für den Umgang der transnationalen Unternehmen mit Menschenrechten erarbeitet.
DW: Herr Ruggie, wer ist für die anhaltende Verletzung von Menschenrechten durch globale Konzerne verantwortlich?
John Ruggie: Staaten und Unternehmen sind gleichermaßen dafür verantwortlich. Was uns bislang gefehlt hat ist eine klare Definition davon, was genau die Staaten tun sollten und was die Unternehmen. Die Unternehmen sagen normalerweise, wir halten uns an nationales Recht. Aber wenn das nationale Recht Lücken hat, ist das ein Problem. Und dieses Problem muss auf zwei Ebenen gelöst werden. Zum einen muss der Staat entsprechende Gesetze verabschieden und diese auch durchsetzen. Zum anderen sind die Unternehmen selbst auch für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich. Es gibt also eine doppelte Verantwortung beim Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Unternehmen.
In Europa fürchten die Menschen ihren Job zu verlieren, wenn sie gegen schlechte Bezahlung oder schlechte Arbeitsbedingungen protestieren. In Deutschland zum Beispiel verlieren Gewerkschaften gleichzeitig Mitglieder und Macht – ist das nicht widersprüchlich?
Überall auf der Welt verlieren Gewerkschaften Macht. Das ist eine Folge der Globalisierung, der Verlagerung von Jobs ins Ausland und der damit einhergehenden Angst vor Arbeitslosigkeit. Auch das ist ein Feld auf dem wir handeln müssen. Natürlich kann man nicht erwarten, dass in Bangladesch der gleiche Mindestlohn gezahlt wird wie in Deutschland oder den Vereinigten Staaten, weil die Volkswirtschaften sehr unterschiedlich sind. Aber es gibt doch Mindestanforderungen in Bezug auf Menschenrechte, Gesundheit und Sicherheitsstandards. Da sollte es zukünftig mehr Übereinstimmungen geben.
Die Regierungen sind dafür verantwortlich ihre Bürger vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Sie müssen sicherstellen, dass Unternehmen diese Rechte respektieren, was aber oft nicht geschieht. Welche neuen Probleme sind durch die Globalisierung entstanden?
Ein Problem ist die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Das betrifft vor allem gering qualifizierte Jobs, für die woanders niedrigere Löhne gezahlt werden. Auf der anderen Seite ist gerade das ein wichtiges Mittel zur Armutsbekämpfung und zur Entwicklungsförderung in ärmeren Ländern. Deshalb sollte man diese Schaffung neuer Arbeitsplätze auch nicht verhindern. Aber sie muss in Zukunft besser geregelt werden. Eine andere Folge der Globalisierung ist die Tatsache, dass international operierende Konzerne sich vor Ort nur nach den jeweiligen Landesgesetzen richten. Dadurch haben sie oft einen größeren Handlungsspielraum als wenn sie global verbindlichen Regeln unterliegen würden.
Sie haben ein Konzept zur Lösung dieser Probleme entwickelt – die Guiding Principles, die UN Richtlinien für Wirtschaft und Menschenrechte - wie sehen sie aus?
Die guiding principles – grundlegende Leitsätze – sind ein Leitfaden für Unternehmen und für Staaten um die Wahrung der Menschenrechte durch Konzerne zu erreichen. Für die Staaten ist klar definiert, welche rechtlichen Verspflichtung sie innerhalb ihrer Gerichtsbarkeit zum Schutz der Menschenrechte haben.
Unternehmen, die in Konfliktregionen tätig sind, sollten einer extra-territorialen Gerichtsbarkeit unterliegen. Staatliche Unterstützung für Auslandsinvestitionen sollte an Bedingungen zum Menschenrechtsschutz geknüpft sein. Für die Unternehmen führen wir das Konzept der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ein. Danach müssen die Auswirkungen unternehmerischer Aktivitäten auf die Menschenrechte untersucht werden. Die betroffene Bevölkerung vor Ort muss ein Recht auf Beteiligung haben. Außerdem muss es die Möglichkeit geben, Beschwerden auch außerhalb von Gerichtsverfahren zu erheben, es muss also Anlaufstellen für Beschwerden geben. Insgesamt haben wir an die dreißig Maßnahmen formuliert, die sowohl für Staaten als auch für Unternehmen gelten.
Es gibt bereits Initiativen für soziale Standards in transnationalen Unternehmen, wie zum Beispiel den "Global Compact" der Vereinten Nationen oder den "Code of Conduct", den Verhaltencodex der OECD für Multinationale Unternehmen. Was ist jetzt neu ?
Die guiding principles sind im Auftrag der Staatengemeinschaft vom UN-Menschenrechtsrat erarbeitet worden. Der Global Compact war hingegen eine Initiative des UN-Generalsekretärs. Das ist ein bedeutender Unterschied. Zum zweiten betrifft das Mandat sowohl die Rolle von Staaten als auch die der Unternehmen. Unser Regelwerk beinhaltet sowohl Abhilfe als auch Prävention und ist deshalb breiter angelegt als der Global Compact. Zum ersten Mal überhaupt haben die Vereinten Nationen mit den guiding principles Menschenrechtsstandards für die Wirtschaft festgelegt. Und Drittens sind die gleichen Standards in verschiedenen Formen schon von anderen Institutionen aufgeschrieben worden, einschließlich der OECD und der "International Finance Corporation" (IFC, Mitglied der Weltbank) und sie sind auch in die ISO 26.000, eine Norm der Internationalen Standardisierungsorganisation über Sozialstandards, eingeflossen. Die Guiding Principles beruhen also auf einer großen internationalen Übereinstimmung. Das ist zukünftig der einzig autorisierte Standard in Sachen Menschenrechte
Wird es weiterhin ein Mandat als "Sonderbeauftragter für Menschenrechte und Unternehmen" geben?
Zum ersten Mal haben wir ein verlässliches Regelwerk für Menschenrechts-Standards in der Wirtschaft, auf das wir aufbauen können. Das gab es in der Vergangenheit nicht, es gab hier und da Fragmente, einige haben diese gebilligt andere nicht. Aber jetzt haben wir eine einheitliche Grundlage auf der wir weiter vorangehen müssen. Das ist ein sehr wichtiger Schritt. Geschichte entwickelt sich in kleinen Schritten, aber die Grundlage für zukünftige Entwicklungen zu legen – das ist glaube ich ein wichtiger, erster Schritt.
Das Interview führte Ulrike Mast-Kirschning
Redaktion: Helle Jeppesen