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Politik

Mehr Druck auf China gefordert

Hans Spross
25. September 2019

Dass China in Xinjiang die muslimische Bevölkerung systematisch kontrolliert und umerzieht, ist inzwischen gut dokumentiert. Ein neues Video befeuert nun die Diskussion um den richtigen internationalen Umgang mit Peking.

China Kashgarin Patrouillie uigurischer Sicherheitskräfte in der Nähe der Id Kah-Moschee Region Xinjiang
Bild: picture-alliance/AP/Ng Han Guan

Ein vor wenigen Tagen im Internet aufgetauchtes, aber bereits im August 2018 aufgenommenes Video belegt einmal mehr die Repression der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung durch die chinesischen Behörden in der Autonomen Region Xinjiang. Zu sehen sind Hunderte von Gefangenen, die mit verbundenen Augen neben einem stehenden Zug auf dem Boden sitzen und später von einem massiven Aufgebot chinesischer Sicherheitskräfte abgeführt werden. Die Echtheit dieses Videos wurde mittlerweile von mehreren Experten bestätigt, unter anderem auch von Nathan Ruser vom Australian Strategic Policy Institute in Canberra.

Die auf Menschenrechtsfragen spezialisierte Bundestagsabgeordnete Margarete Bause sagte gegenüber der DW: "Von den Fakten her ist das Video nichts Neues, aber von der bildlichen Dokumentation her natürlich schon. Das kann man nicht so einfach zur Seite wischen wie lange schriftliche Berichte." Die Grünen-Politikerin erwartet, "dass auch die Bundesregierung die Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren bei Gesprächen mit Peking noch deutlicher thematisiert". Auch hält sie ein "Vorgehen auf UN- und vor allem auf EU-Ebene für angebracht"; so sollte sich die Bundesregierung im Europäischen Rat für individuelle Sanktionen gegen verantwortliche Personen einsetzen. 

Mahnung an UN-Generalsekretär

Gerade erst musste sich UN-Generalsekretär Antonio Guterres gegen den indirekten Vorwurf wehren, er trete gegenüber China beim Thema Uiguren nicht konsequent genug auf. Mehrere NGOs hatten Guterres in einem Brief aufgefordert, deutlich zu einer der "drängendsten Menschenrechtsfragen unserer Zeit" Stellung zu nehmen. Er glaube nicht, dass "irgendjemand sich konsequenter und klarer gegenüber den Chinesen dazu geäußert" habe als er selber, sagte Guterres am Rande der UN-Vollversammlung.

Auf die Frage, ob dazu auch die Forderung nach Schließung der Internierungslager gehöre, blieb Guterres eine konkrete Antwort jedoch schuldig. Die NGOs, darunter Amnesty International, appellieren in ihrem Brief an Guterres, allem entschieden entgegenzutreten, was der chinesischen Darstellung Glaubwürdigkeit verleihen könnte, dass die "illegale Internierung von über einer Million Uiguren und anderen Muslimen eine notwendige Maßnahme gegen den Terrorismus" sei.

Der Gebrauch des Begriffs "Ost-Turkestan" wie hier in der Türkei ist für Peking eine Provokation Bild: Reuters/Murad Sezer

Widerstand gegen Chinas Herrschaft 

Der ethnische Konflikt im äußersten Westen Chinas reicht lange zurück. Schon vor der Gründung der Volksrepublik China 1949 sahen sich die chinesischen Herrscher mit dem Widerstand der ansässigen Bevölkerung in Xinjiang konfrontiert. Zwischenzeitlich kam es zu kurzlebigen autonomen Staatsgründungen unter dem Namen Ost-Turkestan. Die dortigen Turkvölker, in der Hauptsache Uiguren, gehören kulturell zu Zentralasien und dem Mittleren Osten, was sich unter anderem im islamischen Glauben und der auf dem Arabischen beruhenden Schrift zeigt. Der Zuzug von Han-Chinesen, die mittlerweile über 40 Prozent der rund 24 Millionen Einwohner des riesigen Gebiets ausmachen, hat zu den Spannungen – ähnlich wie im benachbarten Tibet – beigetragen.

Nach blutigen Unruhen in der Hauptstadt Ürümqi im Jahr 2009, bei denen rund 200 Menschen, zumeist Han-Chinesen, ums Leben kamen, verschärfte Peking die Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen in Xinjiang massiv. Zu weiteren Angriffen, die auf das Konto von uigurischen Extremisten gehen, zählt insbesondere ein Messer-Attentat auf dem Bahnhof von Kunming im März 2014 mit 31 Todesopfern.

Der Gouverneur der Autonomen Region Xinjiang, Shorat Zakir (r), mit dem über die eigentliche Macht verfügenden Parteisekretär Chen QuanguoBild: Reuters/J. Lee

Ganzes Volk als potentiell terroristisch gebrandmarkt

Nach Ansicht vieler Beobachtern hat sich Chinas Politik in Xinjiang allerdings seit etwa 2016 geändert: Ging es vorher um Abwehrmaßnahmen gegen die "drei Übel" Terrorismus, Fundamentalismus, Separatismus – außenpolitisch im Rahmen der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SOC) – so steht inzwischen die Umerziehung der gesamten uigurischen Bevölkerung auf dem Programm. Peking sieht potentiell alle Uiguren als anfällig für extremistisches und separatistisches Gedankengut. Deshalb ist jeder Uigure, der sich in "auffälliger Weise" für seine Sprache, Religion oder sonstige kulturelle Traditionen interessiert oder engagiert, potentiell ein Kandidat für ein Umerziehungslager. Deren zentrale Rolle innerhalb der Kampagne wurde im Frühjahr 2018 durch die  detaillierten Recherchen des Sozialwissenschaftlers Adrian Zenz offenbar.

Der deutsche Forscher Adrian Zenz hat das System der Lager in Xinjiang dokumentiertBild: picture-alliance/dpa/Keystone/M. Trezzini

Nach Ende der Lagerhaft weiter unfrei

Mehr als eine Million Uiguren sollen sich Schätzungen zufolge, die auf Zenz‘ Recherchen und anderen Informationen aus der Region beruhen, in diesen Lagern befinden. Deren Verweildauer ist unterschiedlich, sie kann offenbar bis zu mehreren Jahren betragen, wie der Xinjiang-Kenner Rian Thum in einem Aufsatz für "Foreign Policy" schreibt. "Immer wieder werden Insassen in die Unfreiheit entlassen, in den Hausarrest oder verschiedene Stufen der Zwangsarbeit", so Zenz. Dabei würden besondere Überwachungsmaßnahmen angeordnet. Diejenigen im Hausarrest müssen sich oft morgens und abends bei der Polizei melden. Diejenigen in Zwangsarbeit unterliegen weiterhin starken Einschränkungen und können nur selten freinehmen, um ihre Familien oder Kinder zu besuchen."

Ein sogenanntes Berufsbildungszentrum in Xinjiang von außenBild: Reuters/T. Peter

Neue gesetzliche Grundlage 

Aufgrund der wachsenden internationalen Kritik an dem Aufbau eines Internierungssystems in Xinjiang – was China zunächst rundweg bestritt – verteidigte sich Peking erstmals im August 2018 vor dem UN-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung. Dort erklärte der chinesische Vertreter Hu Lianhe, es gäbe keine "Umerziehungslager" in Xinjing. Vielmehr habe China Maßnahmen gegen "Terrorismus" ergriffen, dazu gehöre einerseits die Festnahme von Kriminellen, andererseits die "Rehabilitierung" von denjenigen, die sich nur leichter Vergehen schuldig gemacht hätten, durch "berufliche Bildungsmaßnahmen." Im Oktober trat ein neues Gesetz in Xinjiang in Kraft, das jede Lokalregierung ermächtigt, sogenannte Berufsbildungszentren einzurichten, um "Extremisten umzuerziehen".

Die Grünen-Politikerin Margarete Bause fordert: Die Bundesregierung muss gegenüber Peking deutlicher werden Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Rhetorik anders, Unterdrückung verstärkt

Die Rhetorik der chinesischen Seite hat sich also, wie Margarate Bause sagt, verändert: weg von der Leugnung der Lager hin zu ihrer Rechtfertigung als "Ausbildungsstätten". Faktisch habe sich die Unterdrückung jedoch verschlimmert, sagt die Menschenrechtsexpertin: "Dazu gibt es UN-Berichte, den umfangreichen Bericht von Human Rights Watch, wissenschaftliche Recherchen, aber auch von Augenzeugen wie einem kasachischen Uiguren, der vor einigen Monaten über die brutale Folter in einem Internierungslager in Xinjiang berichtet hat und inzwischen in der Türkei lebt." Wie dramatisch die Situation ist, zeigen laut Bause auch Berichte, dass Kinder von ihren Familien getrennt und massiv indoktriniert werden, eine Praxis, die im letzten Jahr noch einmal zugenommen habe.  

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