Menschenrechtler weltweit bedroht
10. Dezember 2017"Wie soll ich den Kindern oder meiner Mutter erzählen, dass alles gut wird? Sie wissen, dass ich lüge", fragt ein sichtlich angespannter Mohamed Saree im Video-Interview am 23. Mai 2017, dem Tag vor seinem Gerichtstermin in Kairo. Dem ägyptischen Menschenrechtsanwalt wird vorgeworfen, er habe den Ruf des Landes geschädigt und stelle ein Sicherheitsrisiko dar.
"Das sind Anklagepunkte, die mich für 25 Jahre ins Gefängnis bringen könnten", erzählt Saree im Interview. "Meine Kinder werden aufwachsen, ohne dass ich dabei sein kann. Ich mache mir Sorgen und so vieles geht gerade durch meinen Kopf".
Am nächsten Tag wurde Mohamed Saree bis auf weiteres gegen Kaution freigelassen, doch die Anklage bleibt bestehen. Als Büroleiter des Kairoer Instituts für Menschenrechtsstudien hatte er 2014 an dem nationalen Bericht über die Menschenrechtslage in Ägypten mitgewirkt. Der sogenannte "Universal Periodic Review" soll von allen UN-Mitgliedsstaaten regelmäßig erstellt und dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt werden. Es ist eine Art Überprüfungsverfahren.
Menschenrechtspreise als Schutzschild
In diesem Jahr wurde Mohamed Saree derMartin-Ennals-Preis verliehen – ein Preis der auch als "Nobel-Preis der Menschenrechte" bekannt ist.
"Wir hoffen, dass die öffentliche Anerkennung seiner Arbeit und die Öffentlichkeit in den Medien dazu beitragen können, dass die Anklage gegen Mohamed Saree aufgegeben wird", sagt Michael Khambatta, Direktor der Martin Ennals Stiftung. Die Jury der Stiftung besteht aus Mitgliedern von zehn internationalen Menschenrechtsorganisationen. Ihr wichtigstes Anliegen ist es, verfolgte Menschenrechtler vor den Regierungen ihrer Heimatländer zu schützen.
Bühne der Abwesenden
Bei der Preisverleihung im Oktober in Genf war Mohamed Saree nicht dabei. Für ihn besteht seit Mai 2016 ein Ausreiseverbot.
"Seit 2012 haben wir immer drei Finalisten bei der Ehrung gekürt. Nur 2013 konnten alle drei Finalisten kommen, sonst hatte mindestens ein Finalist entweder Ausreiseverbot, saß im Gefängnis oder war in schlimmeren Fällen verschwunden oder gestorben", berichtet Khambatta. Ähnliche Erfahrungen machen auch andere Menschenrechtsorganisationen. Bei der Vergabe des Right Livelihood Awards, des "Alternativen Nobelpreises", am ersten Dezember in Stockholm war die aserbaidschanische Journalistin Khadija Ismayilova nicht dabei. Auch sie darf ihr Land nicht verlassen.
Arbeit wird immer schwieriger
"Generell scheint sich die Situation für Menschenrechtsverteidiger zu verschlimmern", meint Khambatta im DW-Interview. In einem neuen Bericht warnt Amnesty International, dass die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern/innen seit Jahren immer gefährlicher wird. Viele verschwinden oder werden umgebracht - nicht selten von ihren Regierungen, die verpflichtet wären, ihre Bürger/innen zu schützen. Für den Bericht hat Amnesty mit Angehörigen der getöteten und verschwundenen Menschenrechtler/innen gesprochen. Oft, so der Bericht, wussten die späteren Opfer, dass sie mit ihrem Engagement ihr Leben riskieren.
Ob Umweltschützer, Menschenrechtsaktivisten, Anwälte, Journalisten oder engagierte Ehrenamtler: Der Preis dafür, gegen Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen, ist erschreckend hoch. Die Organisation Front Line Defenders schätzt die Zahl der 2016 weltweit getöteten Menschenrechtler auf 281. Das sind fast doppelt so viele wie 2015. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein, nicht zuletzt weil das Schicksal vieler Verschwundener für immer ungewiss bleibt. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Zahl in diesem Jahr geringer ausfallen könnte.
Gefährliche Populisten
Der Aufstieg populistischer Politiker in vielen Ländern der Welt trage zur Verschlechterung der allgemeinen Situation bei, so Kenneth Roth, Geschäftsführer von Human Rights Watch.
"Alle behaupten, für die Mehrheit zu sprechen. Sie behaupten, dass die Mehrheit der Bevölkerung Menschenrechte einschränken wolle, um Jobs zu sichern, um kulturelle Veränderungen zu verhindern oder um vor Terrorismus zu schützen", so Roth in einer Videoansprache zur Präsentation des Jahresberichts 2017. "Das haben wir schon einmal gesehen: Im vergangenen Jahrhundert gab es mehrere kommunistische und faschistische Regimes, die behaupteten, für die Mehrheit zu sprechen, um dann mit brutalsten Mitteln ihre Bevölkerung zu unterdrücken."
Mit großer Sorge betrachten Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International oder der UN-Menschenrechtsrat die aktuelle politische Entwicklung in vielen Ländern. Gegen die Repressalien der Populisten, Autokraten und Diktatoren gebe es jedoch eine Antwort: "Wir brauchen eine echte, energische Bestätigung der Menschenrechte", so Roth von Human Rights Watch. "Wir müssen klar machen, dass Menschenrechte das beste Mittel gegen korrupte und tyrannische Herrscher sind."