Menschenrechtsverletzungen in Zentralasien
14. Juni 2006
Aus Angst vor demokratischen Veränderungen ergreifen die Führungen der zentralasiatischen Republiken Repressivmaßnahmen gegen Opposition, Massenmedien und Aktivisten der bürgerlichen Gesellschaft. Die Behauptung, damit Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten, dient dabei als Vorwand. Dies ist die wichtigste Schlussfolgerung des jährlichen Berichts, den das Internationale Helsinki-Komitee am 12. Juni veröffentlicht hat.
In dem Bericht mit dem Titel «Die Verfolgung demokratischer Kräfte unter dem Vorwand der Sicherheits- und Stabilitätswahrung in Zentralasien» werden die Ereignisse untersucht, die im Jahr 2005 Jahr stattgefunden haben. Der Exekutivdirektor des Komitees, Aaron Roads, betont, dass nach der „Tulpenrevolution“ in Kirgisistan die Regierungen der benachbarten Staaten versuchten, eine ähnliche Entwicklung in ihren Ländern zu verhindern. DW-RADIO sprach mit der Mitarbeiterin des Internationalen Helsinki-Komitees, Julija Wasiljewa, über die Unterdrückung der Menschenrechte in Zentralasien.
DW-RADIO/Russisch: Frau Wasiljewa, haben die Ereignisse im usbekischen Andischan auf das Problem der Menschenrechte in Zentralasien eingewirkt?
Julija Wasiljewa: Sofort nach den Ereignissen in Andischan gab es eine Welle der Repressivmaßnahmen gegen die Oppositionellen und bürgerlichen Aktivisten. Die Gesetzgebung ist härter geworden, die Protesteswelle gegen den Extremismus in Kasachstan und insgesamt in Zentralasien ist auch gestiegen.
Ist die Bedrohung durch Extremismus in Zentralasien wirklich so groß,
oder nutzen die politischen Führungen dieses Argument nur, um den Kampf gegen oppositionelle Bewegungen fortzusetzen?
Meiner Meinung nach ist es ein vorgeschobener Grund. Ich traf mich im November 2004 mit usbekischen Menschenrechtlern, und keiner von ihnen berichtete von irgendwelchen Erscheinungsformen des Extremismus. Die vermeintlichen Fälle benutzt die Regierung, um ihre Handlungen vor der Weltgemeinschaft zu rechtfertigen und finanzielle Unterstützung für den Kampf gegen den Terrorismus zu erhalten.
Das Helsinki-Komitee kritisiert vor allem Turkmenistan heftig. Derzeit führt Westeuropa Verhandlungen mit Aschgabad über die Zusammenarbeit im Energiewirtschaftsbereich. Kann man behaupten, dass die EU auf Grund der wirtschaftlichen Interessen keine Rücksicht auf die Menschenrechte in Zentralasien nimmt?
Natürlich wissen die europäischen Staaten von Menschenrechtsverletzungen und Verfolgungen demokratischer Kräfte und politischer Oppositioneller, die auch zurzeit gezwungen werden, Turkmenistan zu verlassen. Ich denke nicht, dass Europa die Augen davor verschließt. Das Europarlament und die OSZE geben Erklärung darüber ab. Aber der wirtschaftliche Aspekt spielt eine dominantere Rolle als Demokratie und Menschenrechte. Das gleiche gilt auch für Situation in Kasachstan: zunächst die Wirtschaft, dann - die Menschenrechte.
Das Interview führte Gleb Gavrik
DW-RADIO/Russisch, 12.6.2006, Fokus Ost-Südost