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"Mentalität schlägt Qualität"

Mathias Liebing17. September 2015

Mit dem Karlsruher SC hat Dirk Schuster in den 1990er Jahren in Europa für Furore gesorgt. Als Trainer von Darmstadt 98 mischt er nun die Bundesliga auf - und freut sich auf die Bayern.

Dirk Schuster, Trainer des SV Darmstadt 98. Foto: Getty Images
Bild: Getty Images/Bongarts/S. Hofmann

Darmstadt 98 - kleiner großer Klub

08:05

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Waldlauf?! Die Spieler des SV Darmstadt 98 staunten nicht schlecht, als im vergangenen Frühjahr auf einmal dieser Begriff auf dem Trainingsplan auftauchte. Denn zum einen steht Trainer Dirk Schuster nicht auf gemeinsame Waldrunden, zum anderen lief es für den Aufsteiger in der Zweiten Liga ja bombastisch. Vom ersten Spieltag an war der Außenseiter oben mit dabei. "Ich ließ sie also eine Runde rennen", erinnert sich Schuster, "um ihnen dann klarzumachen, wie unzufrieden ich mit ihrer Einstellung zu dem Lauf war." Vollspeed wollte er daraufhin sehen. Und zwar von allen.

Während das Team an diesem frühen Morgen gehorchte und jeder Einzelne im Waldgebiet nahe dem heimischen Stadion am Böllenfalltor die entsprechende Leistung abrief, machte sich das Trainerteam um Schuster vor Lachen schier in die Hosen. Und dann auf die Socken. Denn was die Mannschaft nicht wusste: In einem Ausflugslokal am Ende der Strecke hatte die sportliche Leitung für die gesamte Mannschaft ein fürstliches Frühstück auftischen lassen. Dort wurde der Klamauk dann aufgeklärt, und Schuster sprach jedem seiner Spieler ins Gewissen, dass niemand trotz der Erfolge der "Lilien" Grund zur Selbstzufriedenheit haben dürfe.

Darmstädter Fußballmärchen

Dass die Saison ein paar Wochen später mit dem Aufstieg in die Bundesliga endete, ist eines der klassischen Fußballmärchen. Diese werden allerdings immer seltener, gehören doch die meisten dauerhaften Erfolgsgeschichten, wie sie in Wolfsburg, Hoffenheim oder Leipzig geschreiben werden, in die Kategorie "Am Reißbrett entworfen". In Darmstadt klingt die Geschichte viel romantischer: Als Dirk Schuster im Dezember 2012 geholt wurde, befand sich der Verein auf dem 20. und damit letzten Platz der Dritten Liga. Dem früheren Profi gelangen keine Wunderdinge, aber er hielt die Südhessen bis zum letzten Spieltag im Rennen. Ein Sieg gegen seinen Ex-Klub Stuttgarter Kickers hätte zum Klassenerhalt gereicht. Da es aber nur ein Unentschieden wurde, stieg Darmstadt ab. Zumindest sportlich. Denn durch den Lizenzentzug von Kickers Offenbach durfte Schusters Team doch noch in der Liga bleiben. Es folgten zwei Aufstiege, die den Fast-Regionalligisten märchenhaft in die erste Bundesliga führten.

Der Märchenmacher: Trainer Dirk Schuster bejubelt den Aufsteig seiner DarmstädterBild: Getty Images/Bongarts/A. Grimm

Nun kommt am Samstag der FC Bayern. Gegen diei Münchener, sagt Schuster, mit vollem Respekt und ganz ohne Übertreibung, habe man keine Chance, sofern sie "normal" Fußball spielten. An dieser Einschätzung ändern auch die wundersam anmutenden Erfolge der Darmstädter nichts, die sie seit Saisonbeginn eingefahren haben. Nach Unentschieden zu Hause gegen Hannover 96 und 1899 Hoffenheim sowie auswärts beim FC Schalke 04 überraschten die "Lilien" am vergangenen Samstag mit ihrem ersten Sieg: auswärts bei Champions-League-Teilnehmer Bayer Leverkusen.

Gier und Verbissenheit

Alle bisherigen Erfolge basieren auf einer einfachen Logik: Darmstadt will gieriger und verbissener sein als der Gegner. "In meiner Zeit hier gab es nur zwei Spiele, in denen es anders war. Allerdings war das in der Drittliga-Saison", so Schuster, dessen Lieblingswort in diesem Zusammenhang Mentalität lautet. "Mentalität schlägt Qualität", sagt er gern, um zu erklären, dass seine technisch und taktisch limitierte Truppe Mannschaften schlagen kann, in der jeder Einzelspieler seinem Gegenüber aus Darmstadt individuell überlegen ist.

Natürlich haben auch die Darmstädter Spieler ihre Stärken. Marcel Heller, zweifacher Torschütze zum Auftakt gegen Hannover und ständiger Unruhepol in der Darmstädter Offensive, ist zweifelsohne einer der schnellsten Kicker der Bundesliga. Nur war der 29-Jährige trotz dieser Fähigkeit schon in den Tiefen der Dritten Liga versumpft. 2013 zogen sich die Darmstädter ihn aus der Insolvenzmasse von Alemannia Aachen an Land. Warum es nun so viel besser läuft, erklärt Heller so: "Ich habe hier das Vertrauen vom Trainer. Und wenn ich das Vertrauen habe, lässt sich leichter spielen. Woanders machst du einen Fehler und du bist sofort wieder raus."

Alle machen alles

Die Liste der Kicker mit Karriereknick, die in Darmstadt neu durchstarten, ließe sich ohne weiteres fortführen: Konstantin "Koka" Rausch, Jan Rosenthal, Peter Niemeyer oder Sandro Wagner. Aber lässt sich mit diesem Personal am Ende tatsächlich die Klasse halten? In Darmstadt glauben sie daran. "Die Mannschaft hat ein unheimlich großes Herz und eine unheimlich große Leidenschaft. Das wird ausschlaggebend sein, dass am Ende zwei oder vielleicht sogar drei Teams hinter uns stehen werden", sagt Sascha Franz. Der Co-Trainer gehört wie der Ex-Bundesliga-Torwart Dimo Wache zum Trainerkollektiv, welches Schuster mit reichlich Entscheidungskompetenz ausgestattet hat. Der Teamgedanke wird nämlich auch zwischen Coaching-Zone und Trainerbank gelebt. "In unserem Trainerteam gibt es nicht den Taktiker oder den Sportpsychologen", erklärt Franz. "Wir machen alle alles."

Starkes Team an der Linie: Frank Steinmetz, Dirk Schuster, Sascha Franz und Dimo Wache (v.l.)Bild: Getty Images/Bongarts/A. Grimm

Trainer Schuster ist dennoch der zentrale Kopf der Darmstädter Erfolgsgeschichte. Schuster durchlief in der DDR die klassische Kaderschmiede, absolvierte sogar ein paar Länderspiele für beide deutschen Nationalteams und fand kurz nach der Wende über Braunschweig den Weg nach Karlsruhe in die Bundesliga. Der 47-Jährige war schon als Spieler einer, der nicht durch technischen Firlefanz auffiel, sondern mit einfachen Mitteln agierte. Seine größten Erfolge feierte er Mitte der 1990er Jahre. In Erinnerung ist vor allem der 7:0-Heimsieg gegen den FC Valencia geblieben, obwohl die UEFA-Cup-Saison 2003/2004 für den KSC sogar bis ins Halbfinale führte. "Wir waren damals eine genauso verschworene Einheit wie jetzt hier in Darmstadt", sagt Schuster. "Wir konnten damit etablierten Mannschaften in der Bundesliga das Leben schwer machen und sogar europäische Spitzenklubs in die Knie zwingen. Da haben wir schon gesehen, dass teilweise Mentalität Qualität schlagen kann."

Bowling statt Training?

Mentalität allein wird am Samstag gegen Bayern München nicht reichen. Beim mittlerweile schon traditionellen 10-Kilometer-Lauf, den Chef Schuster und Co-Trainer Franz vor jedem Heimspiel im Wald rund um das Böllenfalltor absolvieren, wird es vor allem um ein Thema gehen: Wie können die Darmstädter Handwerker die Ballkünstler aus München daran hindern, "normal" Fußball zu spielen? Wenn es gelingt, verlegt Schuster am Montag die Trainingseinheit vielleicht ins Bowling-Center. Wenn nicht, möglicherweise auch. Das wäre typisch Schuster.

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