Merkel: "Keine Angst vor Digitalisierung"
15. Mai 2018Mit strahlendem Lächeln betritt die Kanzlerin das Estrel Hotel in Berlin-Neukölln, in dem der Kongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) stattfindet. Sie ignoriert höflich das Transparent, das Demonstranten ihr entgegenhalten. "Gesundheit braucht genug Personal", heißt es darauf. Damit wird Merkel schon mal mit einem der wichtigsten Themen konfrontiert, das die Gewerkschaften in Deutschland derzeit umtreibt: Die teils sehr geringen Gehälter in wichtigen Branchen, wie etwa in der Pflege.
Ein eher durchwachsenes Ergebnis
Die Kanzlerin beginnt ihre Rede mit einem artigen Glückwunsch an Reiner Hofmann, den alten und neuen Chef der Gewerkschaften. Dem tut das sichtlich gut. Am Montag war er auf dem Treffen, das in der Gewerkschaft "Parlament der Arbeit" heißt, zwar wiedergewählt worden, allerdings mit einem denkbar schlechten Ergebnis. 76, 3 Prozent sind für den Führer der mächtigen Arbeitgebervertretung eigentlich zu wenig. Über den Grund dafür waren sich die meisten Beobachter schnell einig: Hoffmann hatte im vergangenen Herbst offen seine Sympathie für eine Fortsetzung der Koalition von Angela Merkels Konservativen und den Sozialdemokraten geäußert. Hoffmann ist selbst Mitglied der SPD. Sich so klar für eine konkrete Regierungsbildung auszusprechen, war dann doch einigen Gewerkschaftern zu forsch, denn sie finden, dass die Arbeitnehmervertretung sich parteipolitisch zurückhalten sollte.
"Vielen Dank für Ihre Unterstützung!"
Merkel weiß das und sagt: "Sie haben sich früh dafür ausgesprochen, dass Deutschland eine stabile Regierung bekommt. Danke dafür!" Eine Minderheitsregierung, fügt die Kanzlerin hinzu, die vielleicht gedroht hätte, wenn CDU, CSU und SPD nicht zusammen gefunden hätten, wäre sehr schwierig geworden: "Wissen Sie, wieviel Zeit das erfordert hätte? Ganze Tage und Nächte nur mit der Mehrheitsbeschaffung zu verbringen?"
Denn die Probleme sind groß, so Merkel: Sie erwähnt die Krise um das durch die USA aufgekündigte Iran-Atom-Abkommen, überhaupt das schwierige Verhältnis zu US-Präsident Donald Trump, den Krieg in Syrien, die Probleme im Verhältnis zu Russland. Und warum das alles? Weil es dann besser klingt, was sie zur Situation in Deutschland sagt: "Wir haben hier ja immer noch eine vergleichsweise gute Situation", sagt Merkel. Das sehen nicht alle Gewerkschafter so, auch wenn Angela Merkel auf den Rekordstand von Erwerbstätigen und auf die geringe Arbeitslosigkeit verweist.
Gewerkschaften am Scheideweg
Sechs Millionen Mitglieder hat die Arbeitnehmerorganisation noch, aber es waren einmal viel mehr. Noch in den Jahren nach der Deutschen Einheit 1990 gab es fast 12 Millionen DGB-Mitglieder. Und derzeit treten mehr Menschen aus als ein. Seit Langem schon steigt die Anzahl von festen Arbeitsverhältnissen, wofür die Menschen auch Sozialabgaben wie Renten oder Arbeitslosenversicherungen zahlen. Das stärkt normalerweise die Gewerkschaften, die stets für solche sicheren Arbeitsverhältnisse werben. Normalerweise, aber jetzt nicht. Denn viele der neuen Stellen werden gar nicht von der Tarifbindung erfasst. Und durch die Digitalisierung droht in Zukunft der weitere Wegfall vor allem leichterer Jobs.
Digitale Zukunft nicht verpassen
Auch diese Problem kennt Merkel, und auch, was die Arbeitnehmervertreter sonst noch umtreibt: Die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, die Sicherung des sozialen Netzes und der Renten. Und vor allem: Eben die Angst vor der Digitalisierung. Aber an dieser Stelle spricht die Regierungschefin dann Klartext: Die künstliche Intelligenz werde die Arbeitswelt stark verändern, so der so. Angst vor dem Umgang mit Daten dürfe es dann nicht mehr geben, warnt Merkel. "Künstliche Intelligenz ohne Daten ist so wie Kühe ohne Futter - sie kriegen keinen Zuchterfolg." Digitale Tagelöhner, wie sie die Gewerkschaft befürchte, wolle auch sie nicht, so Merkel. Aber am Ende sei nichts gewonnen, wenn Start-ups auf lauter Scheinselbständige setzen, um so Arbeitszeitkontrollen zu umgehen. Und dann bemühte die Kanzlerin doch noch mal einen internationalen Vergleich: "China will bis 2030 Weltführer bei der digitalen Intelligenz sein", ruft Merkel in den Saal. Sie scheint nicht daran zu zweifeln, dass das auch klappt. Daran sollte sich die Gewerkschaft schlicht gewöhnen, lautet wohl diese Botschaft. Matter Beifall an dieser Stelle: Bei der glitzernden neuen Arbeitswelt vor dem Computer kommen sie wohl nicht mehr zusammen, diese Kanzlerin und die deutschen Gewerkschaften.