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Politik

"Leben, wie wir es kannten, wird zurückkehren"

30. September 2020

Die Bundeskanzlerin widmet den Großteil ihrer Bundestags-Rede der Pandemie. Und wendet sich direkt ans Volk. Deutlich wird: Für die Opposition sind Generaldebatten in der Corona-Krise schwierig.

Deutschland Bundestag Bundeshaushalt Angela Merkel
Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture-alliance

Die Generaldebatte des Bundestages während der Haushaltswoche: Das ist traditionell ein Ritt durch alle Themen, die die aktuelle Politik beschäftigt. Es geht dabei nicht um Zahlen und Finanztabellen, sondern um die großen Linien der Politik. Es ist auch immer die Stunde der Opposition, die die Debatte eröffnen darf und die Regierungspolitik dann zumeist in Grund und Boden tritt. Und immer auch die Möglichkeit für die Bundeskanzlerin zu sagen, wo das Land steht und wie es weitergehen soll.

Ein nur halb gefülltes Parlament

Das alles ist auch an diesem Mittwoch in Berlin so, und doch ist es so ganz anders als sonst. Die Reihen der Abgeordneten sind wegen der Corona-Pandemie stark gelichtet, deshalb kommt keine rechte Aussprache-Stimmung auf. Als etwa die Bundeskanzlerin um 9.15 Uhr ans Rednerpult tritt, lesen einige Minister auf der Regierungsbank ungerührt weiter in ihren Akten oder tippen versonnen in ihre Mobiltelefone. Was Merkel sagen wird, ist doch eh allen klar: Es geht um Corona, was sonst.

Merkel: "Geben wir wieder mehr aufeinander Acht"

Fast die Hälfte ihrer Redezeit widmet Merkel der Pandemie und ihrer Bekämpfung. Die Kanzlerin ist merkwürdig unkonzentriert, verhaspelt sich öfter als sonst. Aber nicht zum Ende ihrer Rede, denn da wendet sie sich weniger an das Parlament, sondern direkt ans Volk: Das Land sei bisland gut durch die Pandemie gekommen, nochmal dankt Merkel Ärzten, Pflegern, Behörden und  Polizisten. Aber jetzt, so Merkel, mache sie sich tiefe Sorgen. Die Infektionszahlen gingen wieder nach oben. Sorglosigkeit mache sich breit, bei privaten Feiern, in der Öffentlichkeit. Merkel ruft in den Saal: "Halten Sie sich an die Regeln. Geben wir wieder mehr aufeinander Acht. Ich bin sicher: Das Leben, wie wir es kannten, wird wieder zurückkehren. Aber jetzt müssen wir geduldig handeln. Darum bitte ich Sie."

Ein schneller Ritt durch alle Baustellen der Welt

Begonnen hat Merkel ihre Rede mit der Deutschen Einheit, der 30. Jahrestag steht am Wochenende bevor. Ein Grund zur Freude sei das, bei allen noch bestehenden Unterschieden. Und dann sprintet die Kanzlerin durch alle internationalen Baustellen. Kritisiert China wegen der Verletzung von Menschenrechten, kritisiert Russland wegen der Vergiftung des Oppositionellen Alexej Nawalny, der in Berlin erfolgreich behandelt worden ist und den Merkel ohne Öffentlichkeit, quasi privat, im Krankenhaus besucht hat. Die Verfolgung von Nawalny sei keine innerrussische Angelegenheit, meint Merkel. Aber sie erwähnt den Konflikt, ob wegen der Vergiftung Nawalnys das umstrittene Gaspipeline- Projekt Nord Stream 2 auf Eis gelegt werden sollte, mit keinem Wort. Sie betont, Deutschland erkenne die Wiederwahl von Präsident Lukaschenko in Weißrussland nicht an, die so heftige Proteste in Minsk zur Folge hatte. Und Merkel verkündet, sie wolle Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja demnächst treffen, die nach Litauen geflohen ist. Auffällig ist, dass Merkel den wachsenden Rechtsextremismus und Antisemitismus im eigenen Land nur am Rande streift.

Weidel versucht sich vergebens in Aggressivität

Vor der Bundeskanzlerin hat, wie es die Tradition des Bundestages vorsieht, die stärkste Oppositionspartei die Debatte eröffnet. Keine leichte Aufgabe für die Fraktionsvorsitzende der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD), für Alice Weidel. Die bemüht sich um die von ihr gewohnte Aggressivität, aber es will nicht gelingen vor fast leeren Rängen. Weidel nennt das von Merkel regierte Deutschland einen "gefühlsgeleiteten Hippie-Staat", der "Spitzenplätze bei Steuern und Abgaben belegt und bei der Aufnahme von Asylbewerbern aus allen Herren Länder". In der Corona-Pandemie habe die Regierung die Wirtschaft zu Grunde gerichtet. Es klingt, als habe Merkel persönlich das Virus erfunden. Applaus bei der AfD, der Rest des Parlaments scheint nicht richtig zuzuhören.

"Olaf Scholz ist der richtige Kanzler für Deutschland"

Danach schleppt sich die Debatte so dahin, Aufregung gibt es allerhöchstes noch, als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich den Finanzminister von der eigenen Partei für sein Handeln in den letzten Monaten lobt und dann in der Saal ruft: "Olaf Scholz ist der richtige Kanzler für Deutschland." Da kommt dann ein bisschen von der Stimmung auf, die sonst in Generaldebatten herrscht.

Oberster Haushälter und aus Sicht der SPD ein guter Kanzler: Finanzminister Olaf ScholzBild: Maja Hitij/Getty Images

Aber dann sind alle Redner wieder bei dem einen Thema, der Pandemie. Keiner vergisst, die große Leistung und Disziplin der Bürger zu loben: Das sei der wahre Grund dafür, dass das Land bislang so gut durch die Krise gekommen sei. Dietmar Bartsch von der Linkspartei weist dann auf etwas hin, was fast untergegangen ist in der Debatte: Der Haushalt, der hier gerade diskutiert wird, ist der letzte, den die Bundeskanzlerin Merkel verantworten wird. Bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr tritt Angela Merkel nicht mehr an, eine Ära wird dann zu Ende gehen. Aber wen interessiert das schon in Corona-Zeiten.

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