In ihrer Rede beim Festakt zum Einheitstag warnte die Bundeskanzlerin eindringlich vor den Gefahren für die demokratische Ordnung. Alle Bürger müssten sich gegen Hass, Verrohung und Radikalisierung zur Wehr setzen.
Anzeige
Angela Merkel: Diese Freiheit brach nicht einfach über uns herein
01:05
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 31 Jahre nach der deutschen Vereinigung zum andauernden Einsatz für die Demokratie aufgerufen. "Demokratie ist nicht einfach da. Sondern wir müssen immer wieder für sie miteinander arbeiten, jeden Tag", sagte die CDU-Politikerin beim Festakt zum 31. Tag der Deutschen Einheit in der Händelhalle in Halle an der Saale. Manchmal, so fürchte sie, werde mit den demokratischen Errungenschaften etwas zu leichtfertig umgegangen.
Feuerwehrleute und Kommunalpolitiker als Opfer
In dieser Zeit seien zusehends Angriffe auf so hohe Güter wie die Pressefreiheit zu sehen. Zu erleben sei eine Öffentlichkeit, in der mit Lügen und Desinformation Ressentiments und Hass geschürt würden. "Da wird die Demokratie angegriffen", sagte Merkel. Daher stehe nicht weniger als der gesellschaftliche Zusammenhalt auf dem Prüfstand.
Die Kanzlerin verwies auch auf Angriffe auf Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzten wie Feuerwehrleute und Kommunalpolitiker. "Die verbale Verrohung und Radikalisierung, die da zu erleben sind, dürfen nicht nur von denen beantwortet werden, die ihr zum Opfer fallen, sondern müssen von allen zurückgewiesen werden." Denn allzu schnell mündeten verbale Attacken in Gewalt.
Merkel nannte in diesem Zusammenhang konkret die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die Anschläge von Halle und Hanau wie auch den Mord an dem 20-jährigen Tankstellen-Mitarbeiter in Idar-Oberstein, bei dem der mutmaßliche Täter seine Ablehnung der Corona-Maßnahmen als Motiv genannt hatte.
Leben in der DDR ein biografischer "Ballast"?
Die Kanzlerin erinnerte zudem an den mutigen Einsatz vieler Menschen in der DDR bei der friedlichen Revolution 1989/90. Man dürfe nie vergessen, dass es auch anders hätte ausgehen können. Mit sehr persönlichen Beispielen wies Merkel auch auf anhaltende Missverständnisse in der gegenseitigen Wahrnehmung von Ost und West hin. Noch heute müssten sich etwa Ostdeutsche ihrer Generation für ein Leben in der DDR als biografischer "Ballast" rechtfertigen. Die Gestaltung der Einheit des Landes sei aber kein abgeschlossener Prozess, die Zukunft müsse gemeinsam gestaltet werden, so Merkel. "Wir brauchen Respekt vor den jeweiligen Biografien und Erfahrungen und auch vor der Demokratie."
Merkels letzte Rede als Kanzlerin zum Tag der deutschen Einheit quittierten die Zuhörer - darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Vertreter anderer Verfassungsorgane - mit lang anhaltendem Applaus. Die Gäste erhoben sich dabei von ihren Stühlen.
"Nicht gegeneinander ausspielen lassen"
Zuvor hatte Bundesratspräsident Reiner Haseloff für gemeinsame Ideen und Projekte geworben, um Ost und West zusammenzuführen. "Mental und strukturell ist die Einheit noch nicht vollendet", sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt in Halle. "Es bestehen nach wie vor zum Teil große politische Unterschiede zwischen Ost und West." Dies habe sich zuletzt im Wahlverhalten bei der Bundestagswahl gezeigt. "Keinesfalls dürfen wir uns in diesen schwierigen Zeiten gegeneinander ausspielen lassen", so der CDU-Politiker.
Haseloff erinnerte auch an die Brüche, die viele ehemalige Bürger der DDR nach der Vereinigung zu verkraften hatten, vor allem den Verlust von Arbeitsplätzen. Zugleich merkte er an, die Erfolgsgeschichte der friedlichen Revolution in der DDR werde nicht genug gewürdigt. Sie tauge durchaus zum "Gründungsmythos des vereinigten Deutschlands".
"Für eine Kultur des berechtigten Widerspruchs"
In einem ökumenischen Gottesdienst hatten zuvor auch die Kirchen zur Wachsamkeit mit Blick auf Gefährdungen der Demokratie aufgerufen. Der katholische Magdeburger Bischof Gerhard Feige forderte, angesichts fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Tendenzen seien "konsequentere politische Bemühungen und eine mutige Zivilgesellschaft" notwendig. Er plädierte für "eine Kultur der Wachsamkeit und des berechtigten Widerspruchs, damit unsere Gesellschaft nicht aus dem Lot gerät". An dem Gottesdienst wirkten auch Spitzenvertreter der evangelischen Kirchen in Sachsen-Anhalt sowie der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland, Andreas Nachama, und der Vizevorsitzende des Dachverbandes Islamischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Djamel Amelal, mit.
Anzeige
Kein großes Bürgerfest in Halle
Für die Bevölkerung bleibt wegen der Corona-Pandemie das bis 2019 übliche große Bürgerfest aus, ähnlich wie schon 2020 in Potsdam. Jedoch sind in Halle mehrere Demonstrationen angemeldet. Die Polizei ist mit rund 2600 Beamten im Einsatz. Ein Bündnis gegen Rechts hatte darauf hingewiesen, dass rechte Gruppierungen ihre Anhänger mobilisieren würden.
Deutsche Einheitskunst: Neuer Blick auf Willi Sitte
In der DDR bediente er die Hebel der Macht. Das machte auch die Kunst Willi Sittes umstritten. Ein Museum in Halle versucht nun seine Rehabilitierung.
Bild: Jürgen Domes/Kulturstiftung Sachsen-Anhalt
Der Staatskünstler - Sittes Welt
Als Maler und Kulturpolitiker gehörte Willi Sitte (1921 - 2013) zu den international bekannten Kunstschaffenden der DDR. Sein Wirken aber ist bis heute umstritten: Als Präsident des Verbandes Bildender Künstler und als Abgeordneter der Volkskammer der DDR repräsentierte er den sozialistischen Machtapparat. Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle zeigt jetzt einen neuen Blick auf den Künstler Sitte.
Bild: Jürgen Domes/Kulturstiftung Sachsen-Anhalt
"Raub der Sabinerinnen" (1953)
Anlass für die Rückschau ist der 100. Geburtstag des Künstlers. Als Autodidakt entdeckte das Bauernkind früh sein zeichnerisches Talent. Das Bild "Der Raub der Sabinerinnen" malte Sitte 1951, nur wenige Jahre nachdem er vom Fronteinsatz in Italien zurückgekehrt war. Er trat 1947 in die SED ein. Doch sein abstrahierender Malstil missfiel dem sozialistischen Parteikader.
Bild: Jörg P. Anders/Nationalgalerie/VG Bild-Kunst Bonn
"Die Katastrophe" (1949)
Berge von Menschenleibern werden an den Strand gespült: 1949 malte Sitte diese apokalyptische Vision, die an das Schicksal deutscher Kriegsflüchtlinge erinnert - vermutlich unter dem Eindruck eigener Kriegserlebnisse. Sitte, das sudetendeutsche Bauernkind, musste die Heimat infolge der Vertreibung der Deutschen aus der damaligen Tschechoslowakei verlassen und kam nach Halle an der Saale.
Anfangs malte Sitte noch abstrakt. Dieses Werk entstand 1951 in Halle, wo er einen Lehrauftrag an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule erhielt und ab 1959 zum Professor berufen wurde. Als Teil der aufmüpfigen Kunstszene in Halle, die unabhängig sein wollte, handelte er sich Ärger mit seiner Partei ein. Die Kritik an ihm wuchs, bis Sitte sich um 1960 doch anpasste - an Staat und Partei.
Bild: Peter Adamik/Kunstsammlung der Berliner Volksbank Berlin/VG Bild-Kunst
"Memento Stalingrad 1" (1961)
"Memento Stalingrad" nannte Sitte dieses Gemälde von 1961. Es ist Teil eines Diptychons; das dazu gehörende Bild zeigt zwei im Schnee liegende getötete deutsche Soldaten. Sitte bezieht sich auf die Kriegserfahrungen der Deutschen, insbesondere auf die Schlacht von Stalingrad, die zu einem psychologischen Wendepunkt im - von Deutschland entfachten - deutsch-russischen Krieg wurde.
Bild: Ilona Ripke/VG Bild- Kunst Bonn
"Arbeiter-Triptychon" (1960)
Die Kunst der DDR sollte dem Stil des Sozialistischen Realismus folgen. Volkstümlich und parteilich "im Dienst der Arbeiterklasse" sollte sie dabei helfen, die "sozialistische Gesellschaft aufzubauen und zu festigen". Bis Mitte der 1960er malte Sitte dagegen an. Erst als er sich 1963 der öffentlichen Selbstkritik stellte, erhielt Sitte noch im gleichen Jahr seine erste Einzelausstellung.
Bild: Bertram Kober/Punctum/VG Bild-Kunst Bonn
"Leuna 1969" (1967 - 1969)
Nach seinem Bekenntnis zur Einheitspartei stand der "sozialistische Mensch" im Mittelpunkt seiner expressiven, farbintensiven Bilder. Das Bild "Leuna 1969" zeigt Arbeiter in der anhaltinischen Chemieindustrie. Als Kulturfunktionär überwarf sich Sitte wegen des Prager Frühlings und dem Einmarsch der Sowjetarmee mit seinen Freunden Christa Wolf und Wolf Biermann.
Bild: Klaus Göken/bpk/Nationalgalerie/SMB/ VG Bild-Kunst Bonn
"Freundschaft" (1970)
Als Vertreter des "sozialistischen Realismus" erfuhr er wachsenden Zuspruch. Sitte wurde in die Akademie der Künste gewählt. Er fungierte von 1974 bis 1988 als Präsident des DDR-Künstlerverbandes und saß von 1986 an als Kulturfunktionär im ZK, dem engsten Machtzirkel der SED. Kritiker kreiden Sitte an, dass er aus politischen Gründen Künstlerkarrieren förderte - oder zerstörte.
Bild: Bertram Kober/Punctum/VG Bild-Kunst Bonn
"Stilleben mit Brille" (1963)
Seine Position als mächtigster Kunstfunktionär der DDR nutzte Sitte für verschiedenerlei Zwecke: Zum einen setzte er sich massiv für die Burg Giebichenstein Kunsthochschule in Halle ein, an der er selbst lehrte. Zugleich versuchte er, Künstlerkarrieren wie die des Dresdner Malers A.R. Penck aktiv zu verhindern. Nach seiner Ausbürgerung in den Westen wurde Penck Kunstprofessor in Düsseldorf.
Bild: Bertram Kober/Punctum/VG Bild-Kunst Bonn
"Selbstbildnis" (1989)
Die Retrospektive "Sittes Welt" lenkt den Blick auf den Künstler Sitte. Seine Kunst dürfe nicht ausschließlich als DDR-Staatskunst betrachtet werden, sagen die Kuratoren. Gleichzeitig hinterfragt die Schau dessen Verflechtung mit dem DDR-Unrechtsregime. Lassen sich Werk und Leben Sittes, der 2013 mit 92 Jahren starb, trennen? Die Schau in Halle öffnet pünktlich zum 31. Tag der Deutschen Einheit.