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Merkel: Europa meistert Füchtlingskrise

Bernd Riegert22. Oktober 2015

Die Flüchtlingskrise spaltet die konservativen Parteien in Europa. Die deutsche Kanzlerin will alles schaffen. Der ungarische Premier fordert hartes Durchgreifen. Vom Parteitag in Madrid Bernd Riegert.

Europäische Volkspartei Madrid Angela Merkel und Viktor Orban
Handkuss für die Gegnerin: Ungarns Premier Orban und Bundeskanzlerin Merkel in MadridBild: Reuters/A. Comas

Der Parteitag der Konservativen Europas war in Madrid wie üblich als harmonisches Familienfest und als ein wenig Wahlkampfhilfe für den spanischen Premier Mariano Rajoy gedacht, der sich am 20. Dezember zur Wiederwahl stellt. Doch wegen der anhaltenden Flüchtlingskrise mutierte der Parteikonvent im fensterlosen Betonklotz neben dem Flughafen zu einem spontanen Flüchtlingsgipfel der konservativen Regierungschefs, die in großer Zahl nach Madrid gereist waren.

Man traf sich in kleinem Kreis, bevor die Premiers den Delegierten der Europäischen Volkspartei ihre Standpunkte klarmachten. Im kleinen Kreis, so berichten Teilnehmer, gab es hinter verschlossenen Türen Streit. Im Saal auf der Bühne war dann wieder etwas mehr Harmonie angesagt. Große blaue Plakate mit dem schlichten Wort "Gemeinsam" zeigten an, wonach die Konservativen, die knapp die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten regieren, suchen.

Merkel: "Jeder muss menschlich behandelt werden"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) blieb bei ihrer Haltung, dass die Grenzen grundsätzlich offen seien und es keine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern gebe. "Jeder, der Europa betritt, hat das Recht darauf, wie ein Mensch behandelt zu werden! Wr haben die Grundrechte-Charta nicht dafür erfunden, dass wir Menschen von anderswo nicht menschlich behandeln", rief Merkel den Vertretern von 75 Parteien aus 40 Ländern zu.

Sie wiederholte ihren Leitsatz: "Wir werden das hinkriegen!" Man müsse mit der Türkei zusammenarbeiten und die Grenze zwischen den NATO-Partnern Türkei und Griechenland wieder in einen "legalen" Zustand bringen. Auf den griechischen Inseln kommen täglich Tausende Flüchtlinge auf Booten an.

Zu den chaotischen Zuständen auf der Balkanroute sagte Merkel nichts. Sie appellierte leidenschaftlich an den Gemeinsinn ihrer Kollegen, die neben ihr auf der Bühne saßen. "Wir müssen uns die Last und die Aufgabe fair untereinander teilen. Jeder nach seinen Fähigkeiten und nach seinen Möglichkeiten und nach dem, was er einbringen kann. Das ist Europa immer gewesen und das ist das Erfolgsrezept. Deshalb werde ich nicht aufhören, dafür zu kämpfen, dass wir auch diese vielleicht größte Herausforderung der letzten Jahrzehnte solidarisch meistern werden".

Orban: "Europa ist schwach"

Der ungarische Premierminister Viktor Orban hält diese Politik für falsch und machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. Orban verlangt vor allem eine bessere Sicherung der europäischen Außengrenzen, um den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Wenn das in Griechenland nicht funktioniere, müssten es eben Ungarn und Slowenien selbst übernehmen. "Europa ist heute reich und schwach. Das ist die gefährlichste aller Mischungen", rief Orban den Delegierten zu.

Schützenhilfe für den Gastgeber: Rajoy und MerkelBild: Reuters/S. Vera

Er habe nichts gegen Muslime, aber "wir haben nicht das Mandat, die europäische Gesellschaft grundlegend zu ändern." An die Adresse der Bundeskanzlerin gewandt, meinte der ungarische Premier, man solle den Flüchtlingen keine Versprechen machen, die man nicht halten könne. Viele der Migranten seine keine Bürgerkriegsflüchtlinge, sondern "junge Männer, die wie eine Armee aussehen."

Der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), gesteht zu, dass es heftige Spannungen in seiner Parteienfamilie gibt. "Das ist in der EVP nicht anders als in ganz Europa. Wir erleben ein Spannungsverhältnis", sagte Weber der Deutschen Welle in Madrid.

Europa müsse Flüchltingen helfen, verlangte Weber. "Wenn Jordanien und der Libanon als bitterarme Länder vielen Syrern Obdach bieten können, dann - Mensch, Meier! - muss Europa das auch schaffen. Das ist unsere erste Aufgabe, Hilfe anzubieten." Auf der anderen Seite könne es nicht sein, dass Hunderttausende in Europa unkontrolliert herumwanderten, so der CSU-Politiker. "Wir müssen dem Staat wieder die Kraft geben, dass er kontrolliert. Die Außengrenzen Europas müssen gesichert werden." Es gehe aber nicht darum, innerhalb Europas mehr Zäune oder Grenzen zu errichten, so Weber.

"Keine multikulturellen Gesellschaften"

Genau das tut aber Ungarn, um den Strom der Flüchtlinge vom eigenen Land zunächst nach Kroatien und jetzt nach Slowenien umzulenken. Der ungarische Europaabgeordnete György Schöpflin von der regierenden Fidesz-Partei findet das richtig. Ungarn halte sich nur an geltendes europäisches Recht. Ungarn habe seine Grenze auch nicht geschlossen, sondern zwinge die Migranten nur, die Registrierungszentren zu passieren. Wer in Ungarn Asyl beantragen wolle, könne das tun. Die Politik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel hält György Schöpflin für falsch. "Deutschland muss sich entscheiden. Ich kann bis zu einem gewissen Punkt verstehen, warum sich Deutschland großzügig gezeigt hat. Ich bin nicht sicher, ob Deutschland diese enorme Zahl von Menschen wirklich verkraften kann."

György Schöpflin von der Fidesz-Partei im DW-Gespräch

03:23

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Im Gespräch mit der DW ließ Schöpflin keinen Zweifel daran, dass die Asylsuchenden, soweit sie keine syrischen Kriegsflüchtlinge sind, in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden sollten. Von Deutschland lasse sich Ungarn seine Flüchtlingspolitik nicht vorschreiben. "Ich glaube, es gibt einen großen Unterschied zwischen den Staaten in Osteuropa und den westlichen Staaten. Wenn der Westen beschließt, er will multikulturelle Gesellschaften, dann kann er das machen. Wir wollen das nicht, und das ist unsere Entscheidung."

Die europäischen Konservativen legten in einer Resolution fest, dass Europa nicht weitere Millionen von Menschen aufnehmen könne. "Wir haben eine Verpflichtung zu helfen", sagte der wiedergewählte Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Joseph Daul. "Aber wir haben auch die Pflicht, unsere eigenen Bürger zu schützen. Wir können nicht die Türen für alle Flüchtlinge öffnen."

Interview mit Manfred Weber, CSU

03:30

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Um die widerstrebenden Ansichten unter einen Hut zu bringen, plädiert die EVP dafür, syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in großzügigen Kontingenten aus dem Libanon, Jordanien oder der Türkei nach Europa umzusiedeln. Menschen ohne Aussicht auf Asyl sollten schneller und konsequenter abgeschoben werden. Das Asylrecht als solches solle aber nicht angetastet werden, schränkte der deutsche Europaabgeordnete Manfred Weber ein. "Das ist eine europäische Errungenschaft", die verteidigt werden müsse.

Druck von rechts

In vielen Staaten der EU stehen konservative Regierungsparteien unter Druck, weil am rechten Rand des politischen Spektrums in der Flüchtlingskrise populistische Bewegungen erstarken: Pegida und AfD in Deutschland, Front National in Frankreich, UKIP in Großbritannien und FPÖ in Österreich, um nur einige zu nennen. Gegen diese Populisten und ihre "einfachen Antworten" will sich der Europapolitiker Manfred Weber abgrenzen. Die konservativen Regierungen müssten in der Flüchtlingskrise jetzt handeln und ihrer Verantwortung gerecht werden. "Wir täten gut daran, wenn wir jetzt nicht auf Umfragewerte blicken, sondern einfach das tun, was notwendig ist."

Spanien als Vorbild?

Als leuchtendes Beispiel in der Flüchtlingspolitik gilt den konservativen Delegierten Spanien. Das Land hat vor Jahren Abkommen mit Marokko, Westsahara und dem Senegal abgeschlossen. Diese Länder erhalten Geld und logistische Hilfe dafür, dass sie Migranten an der Überfahrt nach Spanien hindern. Um die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla wurden hohen Zäune gebaut. So hält sich Spanien Migranten vom Hals, die über andere Routen ausweichen. Ausgerechnet Viktor Orban warnte davor, sich in der Flüchtlingsfrage von anderen Staaten abhängig zu machen. Wenn man jetzt der Türkei die Verantwortung für die Flüchtlinge übergeben wolle, mache man sich erst recht angreifbar, warnte Orban.

Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, forderte die Regierungschefs unverblümt auf, den "beschämenden Streit" über Verteilungsquoten für Asylsuchende in Europa zu beenden. Nächste Gelegenheit: das Sondertreffen der Staaten an der Balkanroute am kommenden Sonntag in Brüssel.

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