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Große Koalition plant Großes

Richard Fuchs 29. Januar 2014

In ihrer Regierungserklärung lobt die Bundeskanzlerin ihre alte und neue Politik. Wirtschaftlich angeschlagenen Ländern empfiehlt Merkel das deutsche Modell. Die Oppositionsparteien warnen davor.

Angela Merkel im Bundestag (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Merkel: Der Mensch steht im Mittelpunkt

01:56

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Die erste Regierungserklärung der Bundeskanzlerin begann mit einem Rückblick. Angela Merkel erinnerte am Mittwoch (29.01.2014) im Deutschen Bundestag an den Beginn dieses Jahrtausends: "Damals galt Deutschland als der kranke Mann Europas", sagte die Christdemokratin. Fast fünf Millionen Arbeitslose wies die Statistik damals aus, heute sind es zwei Millionen weniger. "Deutschland geht es so gut wie lange nicht", freute sich Merkel.

Die Wirtschaft wachse, die Menschen blickten so optimistisch in die Zukunft, wie seit dem Fall der Berliner Mauer nicht mehr. Deutschland sei der "Wachstumsmotor" und "Stabilitätsanker" in Europa, sagte die im Dezember zum dritten Mal vom Parlament gewählte Bundeskanzlerin. Deutschland trage dazu bei, dass die Staatsschuldenkrise überwunden werden könne.

80 Prozent des Parlaments bestimmt derzeit die Große Koalition von Kanzlerin MerkelBild: picture-alliance/dpa

"Angemessene Regulierung der Finanzmärkte"

Merkel warnte zugleich davor, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben. "Mit der globalen und digitalen Dynamik unserer Zeit müssen wir Schritt halten." Deutschland müsse an der Spitze stehen wollen, um Chancen zu nutzen. Das gelte für Forscher, die Bildung, Unternehmer, die Energieversorgung. Kompass sei dabei die soziale Marktwirtschaft. Ihre Prinzipien seien zeitlos gültig, weil sie den Menschen in den Mittelpunkt stelle. Quellen dieser Politik seien Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Stärke und Gerechtigkeit.

Als Ziele benannte Merkel solide Finanzen, Investitionen, Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Fähigkeit, "Verantwortung in Europa und der Welt zu übernehmen". Deutschland werde es aber nur gut gehen, wenn es Europa gut gehe. Die Wirtschafts- und Währungsunion müsse vertieft werden, sagte Merkel. Der europäische Binnenmarkt, die Außenhandelsbeziehungen sowie die Energie- und Klimapolitik seien aufeinander abzustimmen. Jedes Land müsse in finanzieller Hinsicht seine Hausaufgaben machen. Deutschland werde 2015 keine neuen Schulden aufnehmen, kündigte Merkel an.

Merkel macht Sozialabbau 'Made in Germany': Gregor GysiBild: Getty Images

Gregor Gysi übernahm für die Linkspartei die Rolle als Oppositionsführer im Deutschen Bundestag. Der Fraktionsvorsitzende der Linken hielt der Kanzlerin das von Deutschland erzwungene "Spardiktat" für die Eurokrisenländer Südeuropas vor. Das sei der Beweis, dass es sich bei der Ausführung der Kanzlerin nur um Lippenbekenntnisse handle. „Die Regierung Merkel treibt den Sozialabbau in Europa weiter voran“, urteilte Gysi. Für echte, langfristige Lösungen, zu denen auch die Umverteilung der Vermögen innerhalb der Eurozone gehörte, hätte diese Regierung nicht den notwendigen Mut.

Energiewende soll "Exportschlager" werden

Merkel ging in ihrer Rede auch auf die Korrekturen bei der Energiewende ein. Diese verteidigte sie nachdrücklich. Eine Kürzung der Subventionen für erneuerbare Energien sei jetzt unumgänglich. Trotzdem: Es gebe kein Land in der Welt, dass eine so "radikale Veränderung" seiner Energieversorgung anpacke. Wenn die Energiewende gelinge, werde sie zu einem weiteren "deutschen Exportschlager". Für Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter ein Versuch, eine Vollbremsung beim deutschen Klima- und Energiepolitik als einen Erfolg zu deklarieren. „Sie stellen nicht das Klima, sondern die Kohle unter Schutz“, sagte Hofreiter an die Adresse Merkels. Er kritisierte besonders die Subventionskürzungen bei der kostengünstigsten Ökostromform, der Windenergie. Gregor Gysi von der Linkspartei fügte hinzu, dass die geplante Reform zudem ihr Ziel verfehle. Sie werde nicht zu niedrigeren Strompreisen führen. Dazu bräuchte es andere Maßnahmen, wie beispielsweise eine staatliche Strompreisaufsicht. „Der Börsenpreis am Strommarkt ist extrem niedrig, aber es wird nicht weitergereicht.“ Nur der Staat könne das ändern.

Merkel betonte, dass die Große Koalition dem Fachkräftemangel in Deutschland mit gezielter Zuwanderung begegnen will. Dabei dürfe es nicht zu einer "faktischen Einwanderung in die Sozialsysteme" kommen, betonte Merkel. Anton Hofreiter von der Grünenfraktion warnte die Regierung vor „ekelhaftem Populismus“ auf Kosten der Freizügigkeit in Europa. „Die offenen Grenzen innerhalb Europas sind eine riesige Errungenschaft“, betonte der Fraktionsvorsitzende der oppositionellen Grünen. Besonders die vom Regierungspartner CSU angestoßene Debatte, ob die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit von Rumänen und Bulgaren zu mehr Missbrauch führt, verurteilte er. „Die Populisten von der CSU vergiften die Debatte und machen Vorurteile hoffähig."

Energiewende in Gefahr: Anton HofreiterBild: picture-alliance/dpa

Das Internet als "Verheißung"

Ausführlich befasste sich Merkel in ihrer einstündigen Regierungserklärung mit der Ausspähung des Internets durch den US-Geheimdienst NSA, der auch ihr Handy abgehört haben soll. Trotzdem solle das Internet eine "Verheißung" bleiben, wünscht sich die ausspionierte Bundeskanzlerin. "Wir wollen es vor Zerstörung von innen durch kriminelle Machenschaften und intransparente Kontrolle von außen schützen." Im Laufe des Jahres solle eine "digitale Agenda" erstellt werden. Auf europäischer Ebene soll der deutsche Datenschutz-Standard nicht "unverhältnismäßig" geschwächt werden, hofft Merkel. Die Arbeit der Nachrichtendienste sei für den Schutz des Landes und seiner Bevölkerung aber nötig, fügte sie hinzu. Und die internationale Zusammenarbeit sei unverzichtbar.

Merkels Fazit zu der NSA-Affäre lautet, dass es um die Frage der Verhältnismäßigkeit gehe. Unmissverständlich kritisierte sie das Abhören befreundeter Staaten und internationaler Organisationen: "Nein, das kann nicht richtig sein." Zwischen Verbündeten müsse es Vertrauen geben. Sonst gebe es am Ende "nicht mehr, sondern weniger Sicherheit", befürchtet die deutsche Regierungschefin. Doch trotz aller Kritik an den USA bleibe die deutsch-amerikanische Partnerschaft von "überragender Bedeutung", betonte Merkel. Gregor Gysi von der Linkspartei hält die Reaktion der Kanzlerin für unverhältnismäßig dürftig. Es gebe ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Deutschland, betonte er. Und die Bundeskanzlerin habe dieses Recht zu schützen, nicht nur für sich selbst, sondern für alle Bürger. Sein Vorschlag für ein weiteres Vorgehen der Bundesregierung:„Warum weisen sie nicht Leute, die Spionage betreiben aus den Botschaften aus unserem Land aus, warum werden keine Ermittlungsverfahren von der Bundesanwaltschaft eingeleitet, obwohl Straftaten begangen wurden?“