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Politik

Merkel - Handelnde oder Getriebene?

Richard A. Fuchs
25. September 2017

CDU-Chefin Angela Merkel hat eine satte Wahlniederlage eingefahren. Abgestraft für ihre Flüchtlingspolitik, sagen Demoskopen. Das befeuert Kritik von innen und außen und jede Menge Forderungen. Und was macht Merkel?

Deutschland Bundestagswahl Merkel PK
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

"Mannomann, wie lange ich in meinem Leben schon auf die Merkel gewartet habe!" Ungeduldig tritt ein Fernsehreporter in der Parteizentrale der CDU auf der Stelle. Dann, zwei Minuten früher als geplant, tritt die sehnlichst Erwartete ans Rednerpult. Sie hat die Bundestagswahl gewonnen - und sie hat sie doch verloren. Die CDU ist wieder stärkste politische Kraft, allerdings mit herben Verlusten. Und auch der sensationelle Aufstieg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) wird der CDU angelastet. Am Tag nach der Wahl präsentiert Merkel Erklärungsversuche. Sie wirkt gefasst, beinahe regungslos ihre Mimik.

Nüchtern - im Gegensatz zur CSU

Eine "nüchterne Analyse" habe es gegeben, über Wähler-Abwanderungen, über den Erfolg der AfD. "Wir haben jetzt zwölf Jahre Regierungsverantwortung als Union, das ist ein gewaltiger Zeitabschnitt, und da ist es nicht in Stein gemeißelt, dass man nach zwölf Jahren wieder einen Regierungsauftrag bekommt", erklärt die CDU-Vorsitzende das Wahldebakel. Ein bisschen mehr Demut vor dem Wähler empfiehlt sie.

Die politische Welt in Deutschland steht KopfBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

"Trifft Sie ganz persönlich eine Schuld?", fragt ein Journalist aus dem Ausland. Das Wahlergebnis "ist eine Polarisierung und das ist auch mit mir als Person verbunden, ganz offensichtlich", gesteht Merkel. Trotzdem halte sie die Grundentscheidungen in der Flüchtlingspolitik, die Demoskopen als Hauptgrund für die vielen Protestwähler ansehen, nach wie vor für richtig. Auch nach der Wahl. Sie hält eine Sekunde inne, geht dann auf die "Anfechtungen" im Wahlkampf ein. Dann blickt sie nach vorne. "Jetzt haben wir einen klaren Regierungsauftrag."

Ihr Programm laute, Wähler der Rechtspopulisten zurückzugewinnen - und zwar durch gute Politik. Selbst wenn die Regierungsbildung schwierig werde. "Jedes Spekulieren auf irgendeine Neuwahl ist die Missachtung des Wählervotums, davon bin ich zutiefst überzeugt", schickt sie hinterher.

Wenige Minuten vor Merkels Auftritt kam die Eilmeldung, der CSU-Parteivorsitzende Horst Seehofer stelle die Fraktionsgemeinschaft von CSU und CDU in Frage. Kurze Zeit später das Dementi. Merkel lässt diesen Aufreger unter den Tisch fallen. "Es ist wichtig, dass Deutschland jetzt eine stabile, eine gute Regierung bekommt", betont sie noch einmal. Doch derlei Sätze sind derzeit einfacher gesagt als getan. Eine mögliche Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen löst derzeit Magenkrämpfe bei allen Beteiligten aus.

Wie viel Mitte braucht die CDU? Der Richtungsstreit der Partei ist wieder aufgebrochenBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Und noch ein weiteres Problem wird deutlich, als Merkel am Rednerpult vor der Leinwand steht. Über ihr prangt der Wahlslogan "Die Mitte". Bis zur Wahlnacht war das die Linie, mit der die CDU als Volkspartei in der Wählergunst vorne bleiben wollte: ein bisschen sozialdemokratisch, ein bisschen konservativ, ausgleichend nach rechts wie links. So sieht Merkel ihre CDU. Doch nach der Wahlschlappe melden sich diejenigen, die aus der CDU wieder eine rechts-konservative Partei machen wollen.

Rechter Flügel versus Pragmatiker

Diesem Flügel hat Merkel viel zugemutet. Die Einführung des Mindestlohns, die Euro-Rettungspakete für das hochverschuldete Griechenland und die Öffnung der Grenzen für Geflüchtete: Für Klaus-Peter Willsch ist das Maß voll. Im Deutschlandfunk sagte der CDU-Abgeordnete und langjährige Merkel-Kritiker, die Rekordverluste für die CDU seien die Quittung für ihre Flüchtlingspolitik. Was für ihn bedeutet: "Wir müssen den rechten Flügel mit abdecken."

Blumen für die Wahlgewinnerin - oder doch die Verliererin? Die Frage ist für Angela Merkel nicht leicht zu beantwortenBild: Getty Images/M. Hitij

Muss Merkel ihre Partei also wieder nach rechts führen, um so der AfD Paroli zu bieten? Merkel druckst etwas herum. "Ich würde das gerne mit anderen Worten sagen - dass wir da, wo Probleme auftauchen, diese Probleme lösen." International wird sie genau für diese pragmatische Art gelobt, mancherorts gar verehrt. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gratulierte ihr via Twitter: "Ihre langjährige Erfahrung ist für die Gestaltung unseres Kontinents von unschätzbarem Wert." Aus Paris ähnlich positive Worte über die Macherin Merkel.

Ganz anders die Schwesterpartei: CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannte das, was jetzt zwischen CDU und CSU fällig sei, eine "Orientierungsdebatte". Weniger verklausuliert, dafür umso fordernder, formulierte es der Landeschef der Jungen Union in Bayern, Hans Reichhart. In Koalitionsverhandlungen wolle die CSU eine Obergrenze für Flüchtlinge durchsetzen, andernfalls gehe sie in die Opposition. "Ohne eine Obergrenze, die auch Obergrenze heißt, brauchen wir nicht aus Berlin zurückkehren." Merkels Positionierung der Union in der politischen Mitte sei endgültig gescheitert. Das ist nicht nur parteiinterner Zwist, sondern ein für die Union lebensbedrohlicher Richtungsstreit auf offener Bühne.

Der AfD in die Hände gespielt

Die große Bühne sucht auch die AfD, die Merkel des "Rechtsbruchs" überführen will. Am Montagmorgen kündigte AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel an, ihre Partei wolle dafür einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragen. Als Rechtsbrüche bezeichnet sie die Euro-Rettungspolitik und Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik. Die AfD alleine wird zwar keinen Untersuchungsausschuss gegen Merkel durchsetzen können - ihr Vorhaben zeigt aber, wie angreifbar die international gefeierte Kanzlerin im Inland geworden ist.

Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

Und das selbst in ihrem eigenen Wahlkreis. Dort verteidigte sie zwar ihr Direktmandat für den Bundestag mit 44 Prozent der Stimmen. Allerdings rauschte auch bei ihr das Ergebnis um satte zwölf Prozent nach unten. Der AfD-Kandidat dieses Wahlkreises erreichte aus dem Stand 19 Prozent. "Angela Merkel hat die Wahl an die AfD verloren." Zu diesem Fazit kommt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie in einem Zeitungsinterview. Er wirft Merkel vor, dass es ihr nach der Grenzöffnung für Flüchtlinge nicht gelungen sei, die Solidarität der EU-Staaten zu erzwingen. Das sei Wasser auf die Mühlen der Kritiker von Merkels berühmtem Satz "Wir schaffen das" gewesen. Statt die Jungen und die Benachteiligten bei der Wahl anzusprechen, habe die Kanzlerin "eine Geschichte von der Besitzstandswahrung der älteren und mittleren Generation erzählt". Leggewies Fazit: "Diese Klientel hat sie der AfD förmlich zugetrieben."

Merkel wirkt an diesem Tag von all dem kaum beeindruckt. Sie blickt nach vorn: Bereits an diesem Dienstag will sie ihren Parteikollegen und engen Vertrauten Volker Kauder als Fraktionsvorsitzenden vorschlagen. Es wird die erste Sitzung der neuen CDU-Bundestagsfraktion sein. Die alte und neue Kanzlerin gibt sich nachdenklich, aber nicht kleinlaut. Kurz bevor sie das Rednerpult verlässt, hält sie lapidar fest: "Ich habe gesagt, ich stehe für vier Jahre zur Verfügung."

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