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Neuer Konfliktstoff

Dennis Stute16. März 2007

Bei ihrem Besuch führt Angela Merkel ein neues Reizthema in die ohnehin schwierigen deutsch-polnischen Beziehungen ein: Polens Pläne für ein Raketenabwehrsystem.

Angela Merkel und Jaroslaw Kaczynski (Archivbild), Quelle: AP
Angela Merkel und Jaroslaw Kaczynski (Archivbild)Bild: AP
Ein Unterstützer der Raketenabwehr am Montag in PragBild: AP

Nach Freundschaft und Harmonie sollen die Bilder aussehen, die am Freitag (16.3.2007) bei Angela Merkels Polen-Besuch entstehen. Nach einem Gespräch mit Regierungschef Jaroslaw Kaczynski in Warschau und einer Rede an der Universität der Stadt beginnt der intime Teil der Reise: Mit Staatspräsident Lech Kaczynski fliegt die deutsche Kanzlerin zu dessen Sommerresidenz auf der Ostesee-Halbinsel Hela. Beide bringen ihre Ehepartner mit - eine Ehre, die Merkel und ihr Mann Joachim Sauer nur selten gewähren.

Doch ob die Stranddiplomatie die wegen Ostsee-Pipeline und Vertriebenen-Verband angespannten deutsch-polnischen Beziehungen verbessern kann, ist zweifelhaft - und das keineswegs nur wegen der jüngsten Pöbeleien beiderseits der Oder. Neben dem EU-Verfassungsprozess will Merkel nämlich über ein weiteres konfliktträchtiges Thema reden: den von Polens Regierung gewünschten Raketenschild. Die USA wollen innerhalb der nächsten fünf Jahre zehn Abwehrraketen in Polen und ein Radarsystem in Tschechien stationieren. Großbritannien und Dänemark verhandeln mit den USA über eine Beteiligung, und auch die Ukraine soll nach dem Willen Washingtons einbezogen werden.

Misstrauen in die NATO

Demonstration am Mittwoch in Kiew gegen eine Beteiligung an der RaktenabwehrBild: AP

Maria Wagrowska vom Zentrum für Internationale Beziehungen in Warschau erklärt die polnischen Pläne mit einem Misstrauen in die Verteidigungsbereitschaft der NATO. "Polen will neben der Mitgliedschaft in der NATO eine zusätzliche Garantie, dass es im Falle einer Bedrohung mit amerikanischem Engagement rechnen kann", sagt sie. Wenn - so die in Polen weit verbreitete Meinung - eine wichtige amerikanische Verteidigungskomponente auf polnischem Boden stationiert sei, müssten sich die USA auch für die Sicherheit Polens einsetzen.

Zwar betonen die beteiligten Staaten, dass sich das System keineswegs gegen das russische Arsenal, sondern gegen den Iran richte. Doch in Moskau sorgen die Pläne für erhebliche Irritationen. "Wir hatten den Russen versichert, dass wir die NATO nicht erweitern würden - und jetzt stehen wir direkt vor ihrer Tür", sagt Robert Gard, pensionierter Generalleutnant der US-Armee und Experte für Raketenabwehr am Washingtoner Zentrum für Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. "Die Russen fühlen sich belagert."

Schönwetter-System

Eine Abfangrakete startet von dem Kriegsschiff Lake ErieBild: AP

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass noch überhaupt nicht klar ist, ob die Abwehr funktioniert. "Bislang haben wir nur eines bewiesen: Bei Tageslicht und gutem Wetter können wir eine Rakete abfangen - wenn wir wissen, wo und wann sie startet und sofern sie dem Radar ihre Position signalisiert", so Gard. "Aber auch dann sind wir nur in der Hälfte der Fälle erfolgreich." Die politischen Kosten seien jedoch hoch. Längst habe ein Wettrüsten eingesetzt, sagt der Ex-General und verweist darauf, dass Russland mit der Topol-M eine neue Interkontinentalrakete entwickelt hat, die Abwehrsysteme durch ihre große Manövrierfähigkeit überwinden kann.

In der deutschen Regierungskoalition gibt es ebenso wie in den drei Oppositionsparteien erhebliche Vorbehalte gegen die Pläne. "Das beruht darauf, dass es die iranischen Waffensysteme, die angeblich abgewehrt werden sollen, gar nicht gibt - und die Wahrscheinlichkeit, dass es sie geben wird, sehr gering ist", sagt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Angelica Schwall-Düren. Deutschland, das derzeit den G8-Vorsitz und die EU-Ratspräsidentschaft innehat, müsse ein großes Interesse daran haben, dass die Kooperation mit Russland nicht erschwert werde.

"Spaltung Europas"

Doch auch in anderen EU-Ländern sorgt es für Verärgerung, dass Polen und Tschechien die Sicherheitsarchitektur Europas ohne Absprache verändern. So warnte Frankreichs Präsident Jacques Chirac vor einer "Spaltung Europas", und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nannte die Pläne "unverständlich". "Es ist sehr wichtig, dass sich die Europäer insgesamt der Frage annehmen, damit dies in Polen nicht als der Versuch Deutschlands wahrgenommen wird, sich in polnische Angelegenheiten einzumischen", glaubt die SPD-Politikerin Schwall-Düren. Zudem müsse die Bundesregierung die Forderung auch an die USA richten.

Generalleutnant Henry Obering, Direktor der amerikanischen "Missile Defense Agency"Bild: AP

Angela Merkel will nun deutlich machen, dass bilaterale Vereinbarungen für derartig weitreichende Rüstungsvorhaben nicht genügen. "Wir, und das werde ich in Polen sagen, präferieren eine Lösung innerhalb der NATO und auch ein offenes Gespräch mit Russland darüber", hatte die Kanzlerin am Dienstag erklärt. "Ich finde, wir sollten dabei bleiben, es als eine NATO-Aufgabe insgesamt zu sehen, und dafür werde ich werben." Die USA dürften jedoch kaum gewillt sein, sich innerhalb der NATO von Skeptikern in das Projekt hineinreden zu lassen. Der für das Programm zuständige US-Generalleutnant Henry Obering, der am Donnerstag in Berlin für die Raketenabwehr warb, sagte zwar weitere Gespräche mit den Bündnispartnern zu. Zugleich machte er jedoch deutlich, dass die USA die Federführung nicht aus der Hand geben werden.

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