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Politik

Abschied vom anstrengenden Partner

10. September 2021

Angela Merkel ließ sich Zeit mit ihrem Abschiedsbesuch in Warschau. Kein Wunder: Während der Handelsaustausch zwischen Polen und Deutschland auf Hochtouren läuft, entfernen sich die beiden Länder politisch immer mehr.

BG Merkel in der Presse | Magazin Wprost
Anspielung auf ein Hitler-Foto: Angela Merkel auf dem Cover des polnischen Magazins Wprost im Januar 2016Bild: Maciej Chmiel/dpa/picture alliance

Nachdem Angela Merkel im Herbst 2005 ins Kanzleramt eingezogen war, gehörte Warschau neben Paris und Brüssel zu den Hauptstädten, die sie als frischgebackene Regierungschefin zuallererst besuchte. Polen war ein Jahr zuvor der EU beigetreten. Deutschland schaute voller Hoffnung auf den neuen Partner am rechten Ufer der Oder.

Sechzehn Jahre später, bei Merkels Abschied aus dem Amt, ist alles anders. Bis zuletzt war nicht sicher, ob sie es vor der Bundestagswahl überhaupt noch in die polnische Hauptstadt schafft. Und Präsident Andrzej Duda findet an diesem Samstag (11.09.2021) keine Zeit für den Gast aus Deutschland. Polens Staatsoberhaupt wird laut Präsidialkanzlei an einer Gedenkveranstaltung in Oberschlesien teilnehmen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige polnische Premier Jaroslaw Kaczynski am 30.10.2006Bild: Getty Images/S. Gallup

Warschau einen Korb zu geben, nachdem Merkel Zeit für Besuche in Washington, Moskau und Kiew gefunden hat und kommende Woche nach Belgrad, Tirana und Paris reist, wäre ein offener Affront gegenüber Polen gewesen. Die Umstände des Besuches spiegeln allerdings das komplizierte Verhältnis Deutschlands zu seinem größten östlichen Nachbarland wider.

Wirtschaftliche Erfolge und politische Flaute

Seit der Regierungsübernahme durch die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen im Herbst 2015 sind die deutsch-polnischen Beziehungen von Spannungen und Missverständnissen geprägt. Von der Krise blieb nur die Wirtschaft verschont. Während der gegenseitige Warenaustausch immer neue Rekorde bricht und Polen zu einem der wichtigsten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen ist, herrscht in der Politik zwischen Berlin und Warschau Flaute.

Die Parolen von der Interessen- und Schicksalsgemeinschaft sind längst vergessen, die deutsch-polnische Agenda wird von der Vergangenheit statt von Zukunftsthemen dominiert. Vertreter der Regierung fordern für Kriegsschäden wieder offen Reparationszahlungen aus Deutschland, auch wenn die polnische Regierung, anders als Griechenland, bisher kein offizielles derartiges Ersuchen gestellt hat. Die letzten gemeinsamen Regierungskonsultationen fanden vor drei Jahren in Warschau statt. Seitdem wartet die polnische Seite auf eine Einladung nach Berlin - vergeblich.

Große Erwartungen und verpasste Chancen

Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bezeichnet die Zeit nach 2005 in den deutsch-polnischen Beziehungen als "eine Periode der großen Erwartungen und verpassten Chancen". Während sich die Wirtschaft und auch die Gesellschaften immer stärker annähern würden, werde die Politik zur "ausgetrockneten Landschaft", sagt der Osteuropa-Experte der DW. "Die gegenseitige Enttäuschung ist groß."

Angela Merkel und Polens Premier Mateusz Morawiecki gedenken am 1.09.2019 dem Beginn des Zweiten WeltkriegsBild: picture-alliance/AP Photo/P. D. Josek

Die liberale Migrationspolitik Deutschlands und der Streit um die Erdgaspipeline Nord Stream 2, die Polen vehement ablehnt, haben die Beziehungen zusätzlich getrübt. Dass es nicht noch schlechter wird, ist für Lang ein Verdienst Merkels, die an einer Eskalation des Streits nicht interessiert gewesen sei. "Auf deutscher Seite gibt es Ernüchterung, Ermüdung, ja, sogar Frustration, aber auch einen pragmatischen Ansatz sowie die Überzeugung, dass man Polen trotz wiederholter Kollisionen nicht ignorieren kann", erläutert der SWP-Wissenschaftler.

Merkels Verdienst, Merkels Fehler

"Merkel hat versucht, alle in der EU an Bord zu halten. Sie bemühte sich um eine permanente Anbindung Polens, trotz des Gegenwindes. Sie ließ sich nicht provozieren, wohl wissend, dass Polen für die gesamte Architektur der EU von zentraler Bedeutung ist", so Lang.

Was der SWP-Experte für einen Verdienst Merkels hält, ist aus der Sicht von Piotr Buras vom European Council on Foreign Relations (ECFR) ihr Fehler. "Aus Scheu vor einem Konflikt mit Polen und Ungarn hat Merkel zu wenig getan, um die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit in beiden Ländern anzuprangern. Ihre Zurückhaltung hat nichts gebracht und nur zur Eskalation geführt", sagt der Politologe der DW.

Mateusz Morawiecki und Angela Merkel am 1.10.2020 in BrüsselBild: Olivier HOSLET/AFP

Buras verweist auf die antideutsche Stimmung, die sowohl PiS-Politiker als auch die von der Regierung kontrollierten Medien schüren. Oppositionspolitiker werden auf Titelseiten rechter Zeitschriften mit Pickelhaube gezeigt, die Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung wird als Landesverrat gebrandmarkt, das Vorgehen der EU-Kommission gegen Rechtsbrüche in Polen als deutsche Verschwörung dargestellt und mit der deutschen Besatzung im Krieg verglichen. "Antideutsche Rhetorik ist ein Bestandteil der Identität der PiS und ihrer Wählerschaft", sagt Buras und verweist auf die jüngsten Umfragen, die in Polen auf eine wachsende Skepsis gegenüber den Deutschen hindeuten.

"Weder exzellent, noch dramatisch schlecht"

Der PiS-Abgeordnete Bartlomiej Wroblewski widerspricht der pessimistischen Einschätzung der Experten. "Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland sind weder exzellent, noch dramatisch schlecht. Sie sind einfach gut", sagt der nationalkonservative Politiker, der im Sejm die polnisch-deutsche Parlamentariergruppe leitet, der DW.

Deutsch-polnisches Wirtschaftstreffen in Berlin am 2.12.2015Bild: DW/R. Romaniec

"Die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen schaffen eine solide Grundlage, der Jugendaustausch entwickelt sich, die Kommunen arbeiten intensiv zusammen. Es stimmt allerdings, dass wir uns in wesentlichen Fragen der Energiesicherheit oder der Geschichte unterscheiden", sagt Wroblewski. Er gibt aber zu: "Das politische Klima behindert leider eine notwendige engere Kooperation in anderen Bereichen wie der Rüstungsindustrie."

Trump statt Merkel

Trotz fundamentaler Meinungsdifferenzen war die pragmatische Angela Merkel immer wieder bereit, Chancen für einen Deal mit den polnischen Nationalkonservativen auszuloten. Nachdem Großbritannien, der wichtigste politische Partner Polens in Europa, aus der EU ausgetreten war, traf sich die Kanzlerin 2016 unter Ausschluss der Medien mit dem PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. Die Öffentlichkeit erfuhr von dem Gespräch in der Regierungsresidenz Meseberg bei Berlin erst Monate später. Doch Polens Regierung setzte auf Donald Trump, um sich auf Kosten Deutschlands als wichtiger Bündnispartner der USA in Europa zu etablieren. Mit Trumps Niederlage bei der US-Präsidentschaftswahl 2020 scheiterte dieses Vorhaben kläglich.

Um für die Abstimmung im Europaparlament über die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Stimmen der PiS-Abgeordneten zu sichern, schickte Merkel 2019 Paul Ziemiak in geheimer Mission nach Warschau. Der aus Polen stammende CDU-Generalsekretär konnte Kaczynski überreden, Ursula von der Leyen zu unterstützen. Über mögliche Zugeständnisse Berlins wollte danach keiner der Beteiligten Auskunft geben.

Gibt es trotz der Krise eine Chance für eine pragmatische Zusammenarbeit? Die Experten Lang und Buras verweisen auf Klimapolitik und Energie als lebenswichtige Bereiche, die eine Generationenaufgabe seien und gemeinsam von Polen und Deutschland angegangen werden sollten. "Dazu ist allerdings politischer Wille nötig", sagt Piotr Buras, "und der fehlt derzeit."

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.