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Merkel: Luftbrücke endet "in einigen Tagen"

25. August 2021

Rückwirkend billigt der Bundestag die Evakuierungsaktion der Bundeswehr aus Afghanistan. Die Kanzlerin gesteht ein: Deutschland und seine Verbündeten haben die Lage falsch eingeschätzt.

Afghanistan | Evakuierung Flughafen Kabul
Familien am Flughafen von Kabul - doch die Luftbrücke endet "in einigen Tagen"Bild: Sgt. Samuel Ruiz/U.S. Marine Corps/AP Photo/picture alliance

Merkel: Ende der Luftbrücke "in einigen Tagen"

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Um 12 Uhr 15 an diesem Mittwoch in Berlin geht Angela Merkel wohl zum letzten Mal ans Rednerpult des Deutschen Bundestages, um eine Regierungserklärung abzugeben. Sie muss dabei von einem Scheitern berichten. Vom Scheitern Deutschlands und der westlichen Staaten in Afghanistan. 2001 begann der internationale Einsatz dort, auch der der Bundeswehr. 15 lange Jahre war Merkel als Bundeskanzlerin dafür verantwortlich, sie kam 2005 ins Amt. Jetzt sind die radikal-islamistischen Taliban dort wieder an der Macht. Die Bundeswehr ist abgezogen, die Evakuierung von deutschen Staatsbürgern und Ortskräften, die Armee, Ministerien und Entwicklungsorganisationen so lange geholfen haben und jetzt um ihr Leben fürchten, lief viel zu spät an und gestaltet sich extrem schwierig. 

Noch läuft die Evakuierungsaktion der Bundeswehr aus Kabul. Aber wie lange noch? Bild: picture alliance/dpa/Bundeswehr

"Wir werden Zeugen furchtbarer Dramen!"

Angela Merkel möchte nichts beschönigen: "Wir werden Zeugen furchtbarer menschlicher Dramen, wenn zum Beispiel Eltern ihre Babys und Kleinkinder irgendwie über die Mauern des Flughafens in die rettenden Hände verbündeter Soldaten zu bringen versuchen." Deutschland und die verbündeten Staaten hätten die Lage falsch eingeschätzt, etwa nicht für möglich gehalten, wie schnell die afghanische Armee sich den Taliban ergeben würde. Aber den Vorwurf, vor allem die Ortskräfte im Stich zu lassen, lässt Merkel nicht auf sich sitzen: "Zwischen 2013 und August diesen Jahres sind im regulären Verfahren über 1000 Ortskräfte mit ihren Familienangehörigen eingereist, insgesamt über 4800 Menschen." Aktuell hätten zudem 2500 Ortskräfte mit ihren Familien Visa erhalten. Und was wäre passiert, so Merkel, wenn die Regierung die Ortskräfte gleich mit dem Abzug der Soldaten im Frühjahr nach Deutschland gebracht hätte? Die Kanzlerin sagt: "Manche hätten das sicher als vorausschauende Vorsicht gewürdigt, andere aber als eine Haltung abgelehnt, mit der die Menschen in Afghanistan im Stich gelassen und ihrem Schicksal überlassen werden." 

Demonstranten in Berlin fordern sichere Fluchtwege aus AfghanistanBild: Ben Kriemann/Geisler/picture alliance

Kaum Zwischenrufe wie sonst

Während Merkel spricht, könnte man im Bundestag eine Stecknadel fallen hören. Kaum Zwischenrufe der Opposition wie sonst, auch nicht von den Rechtspopulisten von der "Alternative für Deutschland " (AfD). Merkel berichtet ganz gegen ihre sonstige Angewohnheit auch von einer persönlichen Erfahrung, erzählt von einem ihrer früheren Personenschützer, der 2007 als Soldat der Bundeswehr in Afghanistan ums Leben kam. Immer noch halte sie Kontakt zu dessen Eltern, so Merkel, aber den Schmerz könne sie nicht ermessen. Und sie fügt hinzu: Die deutschen Soldaten hätten mit dafür gesorgt, dass von dem Land aus seit 2001 keine Terroranschläge in der Welt mehr verübt worden seien.

Merkel: Entwicklung in Afghanistan "furchtbar" und "bitter"

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Ganz vergebens war der Einsatz also nicht, lautet die Botschaft. Vor allem Mädchen und Frauen hätten Zugang zu Schulausbildung und persönlicher Entwicklung erhalten. Die Regierung sei bereit, mit den Taliban direkt zu sprechen, um möglichst viel von diesen Errungenschaften zu retten. Überzeugt klingt Merkel bei diesen Worten aber nicht. 

Bundestag billigt die Evakuierungsaktion im Nachhinein

Einsätze der Bundeswehr im Ausland sind in Deutschland Sache des Parlaments, deshalb erteilt der Bundestag in dieser Sondersitzung rückwirkend mit großer Mehrheit das Mandat für die Evakuierungsaktion, die am Montag vergangener Woche begann. Als eines der letzten westlichen Länder hatte Deutschland damit begonnen, nach langem Zögern, was über Parteigrenzen hinweg für viel Kritik gesorgt hat. Am Mittwoch macht die Meldung die Runde, noch an diesem Tag werde die Aktion beendet werden müssen, aus Sicherheitsgründen, weil die USA sich schon bald ganz aus dem Land zurückziehen und der Flughafen in Kabul ohne die Amerikaner nicht mehr sicher ist, auch nicht für Militärflugzeuge. Schon am Mittwoch keine Flüge mehr, um Menschen aus Afghanistan zu retten? Die Meldungen überschlagen sich. Die Regierung dementiert das schnell. Aber dass am Freitag Schluss ist mit den Rettungsaktionen vom Flughafen Kabul aus, wird nicht dementiert. Merkel sagt, die Aktion ende "in einigen Tagen".

Eine junge Frau in einem Café in Kabul: Merkel will solche Errungenschaften erhalten Bild: WAKIL KOHSAR/AFP/Getty Images

Der deutsche Diplomat und Afghanistan-Experte Markus Potzel twitterte dagegen, der Unterhändler der Taliban habe zugesagt, dass Afghanen auch nach dem US-Truppenabzug mit kommerziellen Flügen das Land verlassen dürften. Potzel führt im Golfemirat Katar Gespräche mit Taliban-Vertretern über die
Evakuierungsaktion. 

Gaulands Bemerkung sorgt für Zwischenrufe

Die Opposition lässt natürlich kein gutes Haar an der Afghanistan-Politik der Regierung. Zu wütenden Zwischenrufen aus vielen Richtungen kommt es, als der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland mit Blick auf die Förderung von jungen Frauen in den letzten zwei Jahrzehnten in Afghanistan in den Saal ruft: "Um Geschlechtergerechtigkeit in die muslimische Welt zu tragen, mussten deutsche Männer ihr Leben lassen."

Alexander Gauland: "Deutsche Männer starben für die Geschlechtergerechtigkeit"Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Aber in weiten Teilen bleibt die Debatte sachlich. FDP-Chef Christian Lindner moniert, im Mai bereits habe Frankreich mit der Evakuierung von Ortskräften begonnen, Deutschland nicht. Besonders in der Kritik wegen des späten Beginns der Evakuierung steht Außenminister Heiko Maas (SPD). Zuletzt hat er eingeräumt, nicht mehr alle Betroffenen aus Afghanistan herausholen zu können. Auf Rücktrittsforderungen geht er aber auch jetzt im Bundestag nicht ein.

Applaus für die Soldaten auf der Tribüne

Von allen Fraktionen werden die Bundeswehrsoldaten auf der Besuchertribüne des Bundestages, unter ihnen einige Afghanistan-Veteranen, mit langem Beifall bedacht. 59 deutsche Soldaten ließen in Afghanistan ihr Leben. Und viele der Veteranen sind sich nicht mehr sicher, ob die Mission diesen Preis wirklich wert war.   

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