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Politik

Merkel nimmt Ergebnis "zur Kenntnis"

17. April 2017

In Berlin hatte man auf ein "Nein" beim Verfassungsreferendum in der Türkei gehofft. Die Bundesregierung reagiert diplomatisch zurückhaltend, andere Politiker werden deutlicher. Sabine Kinkartz berichtet aus Berlin.

Bundeskanzleramt Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Am Ostermontag liegt Feiertagsruhe über dem Berliner Regierungsviertel. Auf die Volksabstimmung über eine Änderung der türkischen Verfassung wird trotzdem reagiert, wenn auch in den meisten Fällen nur schriftlich. Am Vormittag veröffentlicht das Bundespresseamt eine gemeinsame Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel, der auch Außenminister ist. "Die Bundesregierung nimmt das vorläufige Abstimmungsergebnis zur Kenntnis", heißt es nüchtern und knapp.

Man respektiere das Recht der türkischen Bürgerinnen und Bürger, über ihre eigene Verfassungsordnung zu entscheiden. Was auf den ersten Blick diplomatisch zurückhaltend klingt, ist zwischen den Zeilen Ausdruck politischer Enttäuschung. Doch Politik ist kein Wunschkonzert, sondern der Umgang mit den Gegebenheiten. "Wir sind gut beraten, jetzt einen kühlen Kopf zu bewahren und besonnen vorzugehen", hatte Außenminister Gabriel bereits am Sonntagabend erklärt.

Dazu gehört aber auch, vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Bereitschaft einzufordern, auf seine Gegner zuzugehen. "Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten ist", heißt es in der Erklärung von Merkel und Gabriel. "Das bedeutet große Verantwortung für die türkische Staatsführung und für Präsident Erdogan persönlich." Man erwarte, dass die türkische Regierung nach dem harten Referendumswahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes suche.

Andere werden deutlicher

Thomas Oppermann, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, wird deutlicher. "Das ist ein schlechtes Ergebnis sowohl für Europa als auch die Türkei", sagt er zum Ausgang des Referendums. "Erdogan hat sich vom europäischen Konsens verabschiedet." Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit hätten für den türkischen Präsidenten schon vor der Abstimmung keine Rolle mehr gespielt. "Das Ergebnis des Referendums verleiht ihm noch mehr autokratische Macht, Gewaltenteilung ist nun in der Türkei praktisch aufgehoben."

Den Kopf in den Sand stecken will der SPD-Politiker aber nicht. Erdogan stehe nicht für die ganze Türkei. "Es gilt jetzt, die demokratischen Kräfte in der Türkei zu stärken, Europa muss ihnen helfen, unter Erdogan und gegen Erdogan zu bestehen", so Oppermann. Dieser Meinung sind auch der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir und die grüne Vizepräsidentin des Bundestags, Claudia Roth. "Mehr denn je müssen Deutschland und Europa gegenüber Ankara klare Kante für Demokratie und Menschenrechte zeigen", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Politiker.

Die Grünen Claudia Roth und Cem ÖzdemirBild: picture-alliance/dpa

Grüne fordern Abzug der Bundeswehr

Die deutsch-türkischen Verhältnisse müssten "neu vermessen" werden. Es gelte, sich aus bestehenden Abhängigkeiten zu lösen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Özdemir und Roth fordern, alle deutschen Rüstungsexporte in die Türkei umgehend zu stoppen. Der Abzug der Bundeswehr aus Incirlik sei ohnehin schon lange überfällig. "Solange die türkische Regierung keine glaubwürdige Kehrtwende zurück zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vollzieht, muss gelten: keine Aufnahme der Gespräche um eine Ausweitung der türkisch-europäischen Zollunion; keine deutschen Finanzhilfen zur Abfederung der Wirtschaftskrise; und europäische Heranführungshilfen ausschließlich an zivilgesellschaftliche, pro-demokratische Organisationen."

Kritisch äußert sich auch der frühere Verteidigungsminister Franz-Josef Jung zum Referendum in der Türkei. Die Bedingungen für die Volksabstimmung seien " nicht frei und nicht fair" gewesen, so der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Der aktuelle Ausnahmezustand stellt keinen gebührenden demokratischen Rahmen für ein Referendum über eine so entscheidende Reform dar, mit der das gesamte Staatsgefüge verändert wird." Hinzu komme, dass das Versammlungsrecht eingeschränkt, die Justiz blockiert und kritische Medien ausgeschaltet gewesen seien. "Befürworter und Gegner der Verfassungsänderung wurden nicht gleich behandelt, im Gegenteil: Die "Nein"-Kampagne wurde erheblich behindert."

Bundesregierung dankt der OSZE

So sieht es auch die Bundesregierung. Die OSZE, aber auch die Venedig-Kommission des Europarats hätten schon im Vorfeldgravierende Bedenken sowohl hinsichtlich des Verfahrens als auch der Inhalte der Verfassungsreform geäußert, so Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel. "Als Mitglied des Europarats, der OSZE und als EU-Beitrittskandidat, der den Kriterien der EU von Kopenhagen zu Demokratie und Grundrechtsschutz verpflichtet ist, muss die türkische Regierung diesen Bedenken Rechnung tragen." Darüber müssten schnellstmöglich politische Gespräche mit der Türkei stattfinden, sowohl auf bilateraler Ebene als auch zwischen den europäischen Institutionen und der Türkei.

Merkel und Gabriel dankten den OSZE-Wahlbeobachtern ausdrücklich für ihre Arbeit vor und während der Volksabstimmung. Besondere Bedeutung misst die Bundesregierung auch der abschließenden Bewertung durch die OSZE bei. Die erfolgte am Montagnachmittag und war eindeutig. Das Referendum in der Türkei entspreche nicht internationalen Standards

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