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Politik

Merkel scheitert und gewinnt doch

Fabian von der Mark
23. November 2017

Sie verantwortet ein schlechtes Wahlergebnis, ihre Gespräche für eine neue Regierungskoalition sind gescheitert. Trotzdem bleibt die Bundeskanzlerin unangefochten. Und sie hat ganz neue Möglichkeiten.

Deutschland Angela Merkel auf dem Weg in den Bundestag
Bild: picture alliance/dpa/b. von Jutrczenka

Angela Merkel kommt in einem knallroten Jackett in den Bundestag. Fast auf den Tag genau vor zwölf Jahren wurde sie hier die erste deutsche Bundeskanzlerin. Damals trug sie schwarz. Wenn alles ganz schnell gegangen wäre, hätte sie jetzt zum vierten Mal gewählt werden können. Aber nachdem ihre Gespräche über eine Koalition gescheitert sind, fehlt Merkel dazu eine Mehrheit im Parlament.

Es klingt nach Krise, als schwinde Merkels Macht. Wenn sie aber Hände schüttelnd durch den Bundestag geht, sieht es anders aus. Sie winkt den Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, zu sich. Die beiden setzen sich ganz hinten in eine leere Reihe, reden vertraut. Ziemiak und seine Leute haben die Kanzlerin in der Vergangenheit oft kritisiert. Jetzt ist sie für ihn die Richtige: "Deutschland braucht Stabilität, und wenn jemand für diese Stabilität steht, dann ist es Angela Merkel."

Eingefangener Kritiker aus eigenen Reihen: Paul Ziemiak, Bundesvorsitzender der Jungen UnionBild: Junge Union Deutschland/L. Chaperon

Kurz nach der Bundestagswahl am 24. September klang das noch ganz anders. Ein Glaubwürdigkeitsproblem hatte die Junge Union ausgemacht, und ein "Weiter so" dürfe es nicht geben. Merkels Konservative hatten da gerade ein miserables Wahlergebnis geholt. Zusammen mit der bayerischen Schwesterpartei CSU kamen sie auf 33 Prozent - schlechter war die Union davor nur 1949. Die Bundeskanzlerin kann aber keine grundlegenden Fehler bei sich erkennen.

Im "Merkel Lexikon" nehmen Niederlagen nur eine Seite ein

"Merkel analysiert es anders", sagt Andreas Rinke. Das Ergebnis der Bundestagswahl sei aus Sicht der Kanzlerin "schlecht, aber nicht katastrophal" gewesen, sagt der Kanzler-Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters. Rinke begleitet die Kanzlerin seit Jahren, hat ein Buch über sie geschrieben. "Das Merkel Lexikon - Die Kanzlerin von A-Z". Auch das Stichwort "Niederlagen" findet sich darin. Es ist aber nur eine Seite lang und endet mit dem Satz: "In Merkels Denken haben Niederlagen aber nie die Bedeutung eines endgültigen Scheiterns." 

Andreas Rinke, politischer Korrespondent bei Reuters, Autor "Das Merkel Lexikon" sagt: "Merkel hat die Erfahrung gemacht, dass Niederlagen sich noch in Gewinne oder kleine Siege verwandeln können."Bild: DW/F. von der Mark

So auch der Abbruch der Gespräche über eine neue Regierungskoalition: Mehr als vier Wochen lang schmiedet die Kanzlerin an einem Bündnis mit den Grünen und der liberalen FDP. Sie scheitert. Die FDP lässt die Gespräche platzen, macht auch Merkel Vorwürfe. Die eigenen Leute aber danken ihr, loben und stützen sie. Das sei für Merkel "natürlich eine Niederlage" gewesen, sagt Rinke. Nach dem Wahldebakel die zweite, aber die Union steht geschlossen hinter der Kanzlerin. Politik hat manchmal paradoxe Effekte", sagt Andreas Rinke.

"Jamaika" war etwas ganz Neues - für Merkel und für Deutschland

Auch deshalb will Rinke sein Merkel-Lexikon "unbedingt" um die Stichworte "Sondierungsgespräche" und "Jamaika" ergänzen. Zum ersten Mal hat Merkel derart unterschiedliche Parteien zusammengebracht, um zu "sondieren", ob man eine Regierungskoalition aus Parteien mit den Farben der jamaikanischen Flagge - gelb (FDP), grün (Bündnis90/Grüne) und schwarz (CDU/CSU) - bilden könnte. Die Ausgangslage war vor allem wegen eines Themas schwierig, das untrennbar mit ihrem Namen verbunden ist: der Flüchtlingspolitik.

Hat der Kanzlerin einen Strich durch Jamaika gemacht: FDP-Vorsitzender Christian Lindner (stehend)Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Seit Angela Merkel im Herbst 2015 die deutsche Grenze für Flüchtlinge geöffnet hat, ist die Gesellschaft gespalten. Während gerade grüne Wähler die Kanzlerin für ihre Entscheidung lobten, gab es viel Kritik aus den eigenen Reihen. Auch im Wahlkampf spielte das Thema eine große Rolle. Die bayerische CSU stellte sich gegen Merkel, forderte eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Grünen wollten auch Familienangehörige von Flüchtlingen ins Land lassen. In den Jamaika-Gesprächen musste Merkel beide Lager zusammenbringen. Es gelang ihr - doch ohne den abschließenden Erfolg.

Als Sonntagnacht die FDP die Gespräche für gescheitert erklärte, war es der Chef der bayerischen CSU, der sie am freundlichsten lobte: "Danke, Angela Merkel", sprach Horst Seehofer in die Mikrofone. Für Paul Ziemiak ist der entscheidende Punkt die Einigkeit im Lager von CDU und CSU die gemeinsame Linie bei der Flüchtlingspolitik: "Das hatten wir nicht immer, und das trägt dazu bei, dass die Union geschlossen ist", sagt Ziemiak.

Aus Hirngespinsten wurden für Merkel neue Optionen

Merkel kann aber noch aus einem weiteren Grund die Jamaika-Niederlage als Gewinn sehen, glaubt Lexikon-Autor Rinke. Denn auch die Grünen waren sich bei der Flüchtlingspolitik am Ende mit ihr einig und wären ein Bündnis mit der Union eingegangen. In seinem Merkel-Lexikon wird die Kanzlerin im Kapitel "Schwarz-grün" noch mit den Worten "Hirngespinst" und "Illusionen" zitiert. Jetzt freut sie sich über "neu entstandene Flexibilität im Parteienspektrum", glaubt Rinke.

Deutliche Annäherung: Angela Merkel und Grünen-Bundesvorsitzende Claudia RothBild: picture-alliance/dpa/S. Stein

Noch nie gab es auf Bundesebene eine Koalition von CDU/CSU und Grünen. Nachdem Merkel schon mit dem Atomausstieg und ihrer Zustimmung zur "Ehe für Alle" Hindernisse aus dem Weg geräumt hatte, wurden bei den Sondierungsgesprächen auch auf anderen Feldern Kompromisslinien klar. Schwarz-grün ist nicht mehr unrealistisch. "Die Union hat jetzt alle Optionen, und wir sind geschlossen", sagt JU-Chef Ziemiak.

Was Angela Merkel daraus macht,ist trotzdem noch nicht klar: eine Minderheitsregierung mit den Grünen, mit der liberalen FDP, doch noch eine große Koalition mit den Sozialdemokraten oder Neuwahlen? Klar ist wohl nur, dass sie Kanzlerin bleibt. In Interviews diese Woche hat sie gesagt, dass sie für die nächsten vier Jahr bereitsteht - auch im Fall einer erneuten Wahl. Und noch etwas hat Merkel zur aktuell schwierigen Lage gesagt: "Ich fürchte gar nichts, ehrlich gesagt." Warum auch.

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