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Politik

Merkel setzt in der Krise auf EU-Solidarität

18. Juni 2020

In ihrer Regierungserklärung zur bald beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft bezieht Bundeskanzlerin Angela Merkel klar Position: Keine Chance für Antidemokraten, Umsetzung europäischer Hilfsfonds, Europa stärken.

Deutschland | Bundeskanzlerin Angela Merkel hält eine Rede vor dem Bundestag in Berlin
Bild: Reuters/A. Hilse

Bundeskanzlerin Angela Mekel hat sehr deutlich Stellung bezogen gegen Populisten: "Wir dürfen nicht naiv sein: Die antidemokratischen Kräfte, die radikalen, autoritären Bewegungen warten ja nur auf ökonomische Krisen, um sie dann politisch zu missbrauchen", sagte Merkel im Bundestag.

Die Bundesregierung als EU-Ratsvorsitz ab 1. Juli werde "entschlossen der Gefahr entgegenarbeiten, dass sich dauerhaft ein tiefer Spalt durch Europa zieht". Denn ein wirtschaftliches Auseinanderdriften der EU-Länder schwäche den EU-Binnenmarkt, der in Europa wirtschaftlichen Wohlstand garantiere.

Bollwerk gegen Lügen und Desinformation

Sie wolle sich dafür einsetzen, dass Europa mehr globale Verantwortung übernehme, um sich dem Vormarsch "menschenverachtender, antidemokratischer" Bewegungen weltweit entgegenstellen zu können. Diese Kräfte wollten das beenden, "was wir jederzeit existenziell brauchen: Die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge, von Information und Desinformation, von Wissen und Nichtwissen", sagte Merkel. In dieser Situation brauche die Welt Europas "starke Stimme für Demokratie und Freiheit".

Die Corona-Pandemie habe offen gelegt, wie fragil das europäische Projekt noch sei, sagte die Kanzlerin, die auch Versäumnisse im europäischen Krisenmanagement zu Beginn der Pandemie einräumte: "Die ersten Reflexe - auch unsere eigenen - waren eher national und nicht durchgehend europäisch." Dies sei "unvernünftig" gewesen, sagte Merkel. "Die Pandemie zeigt uns: Europa ist verwundbar." Kein Land könne diese Krise isoliert und alleine überstehen. Als Motto der deutschen Ratspräsidentschaft gab sie aus: "Gemeinsam Europa wieder stark machen".

Merkel setzt sich für den Wiederaufbaufonds gegen die Folgen der Coronakrise einBild: Imago Images/C. Ohde

Die Partner in der EU forderte Merkel auf, eine Einigung über den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Wiederaufbaufonds noch vor Beginn der Sommerpause zu ermöglichen. Dann könnten die Gelder rechtzeitig zum Beginn des kommenden Jahres zur Verfügung stehen. "Dieser Fonds ist ein dringendes Gebot der Stunde", so die Kanzlerin. Zwar sei die Ausgangslage "alles andere als einfach". Sie hoffe jedoch darauf, "dass alle Mitgliedstaaten jetzt im Geiste des Kompromisses handeln" und sich die EU "möglichst schnell" einige.

Knackpunkt EU-Hilfsfonds

In einer Video-Konferenz am Freitag befassen sich erstmals die EU-Staats- und Regierungschefs mit dem Vorschlag der EU-Kommission, der ein Volumen in Höhe von 750 Milliarden Euro für den Hilfsfonds vorsieht. Dabei gehe es zunächst nur um einen "ersten Austausch", sagte Merkel.

Deutschland und Frankreich hatten zuerst einen Hilfsfonds in Höhe von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen. Kritiker in der EU wie Österreich und Dänemark lehnen einen solchen Fonds ab, weil das Geld in Form von nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen vergeben werden soll. Die EU-Kommission präsentierte anschließend einen Wiederaufbauplan im Wert von 750 Milliarden Euro. Dieser soll auf Kredit finanziert und bis 2058 abbezahlt werden.

Dazu gab es Kritik, die Bundesaußenminister Heiko Maas im DW-Interview konterte: "Ich glaube, dass Europa ein großer Gewinn für Deutschland ist. Als große Exportnation profitiert Deutschland davon, dass es Europa gut geht. Deshalb wollen wir dafür sorgen, dass die Länder, die ganz besonders hart von der Corona-Pandemie getroffen wurden, wie etwa Italien und Spanien, schneller aus der Krise kommen."

"Europa ist ein großer Gewinn für Deutschland" - Außenminister Heiko MaasBild: Reuters/F. Bensch

Gipfel im Juli

Entscheidungen könnten erst bei einem "physischen Zusammenkommen" des Rates fallen. Geplant ist ein solcher Gipfel für den 9. und 10. Juli. Volumen, Art der Hilfen und Finanzierung sind unter den europäischen Regierungen allerdings noch hoch umstritten. Die Mitgliedstaaten müssen dem Vorhaben einstimmig zustimmen. Neben der Bewältigung der Corona-Krise sollen laut Merkel auch der Klimaschutz und die Digitalisierung Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft sein.

Forderungen aus dem Bundestag

Der SPD-Europapolitiker Martin Schulz verlangte den Umbau der EU "zu einer echten Solidarunion", in der jedes Mitglied den Beitrag leiste, zu dem es fähig sei. Deutschland müsse in seiner Ratspräsidentschaft den Zusammenhalt und Schwung nutzen, der durch die Corona-Krise unter den EU-Ländern entstanden sei. Selten hätten die Menschen in Europa so sehr im selben Boot gesessen wie in der Pandemie. "Das Beste, was Europa der Welt zu bieten hat, ist Einigkeit, die stark macht."

Die Grünen forderten die Kanzlerin auf, den Klimaschutz in den Vordergrund zu stellen. "Machen Sie diese Ratspräsidentschaft zur Klima-Präsidentschaft", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Konkret solle die Bundesregierung sich für ein Klimaschutzziel 2030 von 65 Prozent weniger Treibhausgasen in der EU im Vergleich zu 1990 einsetzen sowie für jährliche Emissionsbudgets.

FDP-Chef Christian Lindner mahnte ebenfalls konkrete Strukturreformen beim Wiederaufbau in Europa an. "Das Geld darf nicht eingesetzt werden, um Strukturdefizite erneut mit Geld zuzuschütten", sagte er.

Die Linke forderte Merkel auf, in den kommenden sechs Monaten für mehr Gerechtigkeit und Solidarität in Europa zu sorgen. Die Krise treffe die Ärmsten am härtesten, sagte Fraktionschefin Amira Mohamed Ali.

Die AfD kritisierte die zusätzlichen Milliarden-Belastungen Deutschlands, das selbst hart von der Krise getroffen sei.

cgn/fab (afp, dpa)