Merkel hofft, Trittin hadert
3. November 2017In ihrer ersten öffentlichen Stellungnahme zu den Verhandlungen mit CSU, FDP und Grünen sagte die CDU-Chefin in Berlin, sie gehe zwar von weiterhin schwierigen Beratungen in den kommenden Tagen aus. "Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen."
"Die CDU ist dazu bereit"
Jeder Partner solle dabei seine Identität zur Geltung bringen können, damit daraus etwas Gutes für das Land entstehe. "Die CDU ist jedenfalls dazu bereit." In diesem Geist gehe sie in die nächste Etappe der Gespräche. Ihr Leitmotiv dafür sei, "dass wir heute dafür die Voraussetzungen schaffen, dass wir auch in zehn Jahren noch gut in Deutschland leben können", sagte Merkel. Dazu gehörten Beschäftigung, "gute Arbeit", soziale Sicherheit, innere Sicherheit, Integration und die Erfüllung internationaler Verantwortung, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Fluchtursachen. Für die CDU seien die Themen Familie und Bildung besonders wichtig.
Merkel äußerte sich vor einem Treffen mit den Verhandlungsführern zum weiteren Fortgang der Sondierungsgespräche. Nach ihrem Treffen mit CSU-Chef Horst Seehofer, FDP-Chef Christian Lindner und dem Grünen-Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt ist in der Berliner Parlamentarischen Gesellschaft eine mehrstündige Sitzung der großen Sondierungsteams vorgesehen, um eine Zwischenbilanz zu ziehen.
"Schon ein sportives Programm"
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin warf CDU, CSU und FDP vor, bei den Jamaika-Gesprächen seiner Partei zu wenig entgegenzukommen. In der ARD zog er eine düstere Bilanz der bisherigen Gespräche. "Wir haben zehn Tage zusammengesessen, zwölf Themen. Das Ergebnis sind acht Papiere mit langen Listen von Dissensen", sagte Trittin. "Und in vier Bereichen hat man es nicht einmal geschafft, sich darauf zu verständigen, worüber man sich nicht einig ist." Diese Meinungsunterschiede in den nächsten zwei Wochen abzuarbeiten, sei ein "schon sportives Programm". Er frage sich, ob Merkel klar sei, dass sie auf die Grünen in zentralen Punkten zugehen müsse, um eine neue Regierungskoalition zu erreichen.
Eines der umstrittensten Themen ist der für die Grünen besonders wichtige Klimaschutz. "Klimaziele sind einzuhalten", sagte Trittin. Das sagten auch CDU, CSU und FDP schon lange. Deutschland müsse hier mehr machen, weil das Land mehr Schadstoffe emittiere. "Wir haben die größten CO2-Quellen Europas, teilweise der Welt, bei uns stehen. Das sind Kohlekraftwerke, und die müssen halt reduziert werden", betonte der Ex-Bundesumweltminister. Niemand dürfe glauben, "dass man mit Grünen koalieren kann und dabei nicht das einhält, was man selber zehn Jahre versprochen hat".
"Bei Klima, Migration und Verkehr deutlich höhere Hürden"
Auch der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour hält ein Scheitern der Sondierungsgespräche für möglich. "Ich kann mir das durchaus vorstellen", sagte er im Deutschlandfunk. Allerdings habe er das Gefühl, dass in den vergangenen Tagen Fortschritte gelungen seien. Die größten Unterschiede zwischen den Gesprächspartnern sieht Nouripour nicht in der Außen- und Sicherheitspolitik. "Da gibt es im Klimabereich, im Migrationsbereich, im Verkehrsbereich deutlich höhere Hürden zu überspringen."
In der Rüstungspolitik lehnt der Grünen-Politiker es ab, deutsche Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien so weiterlaufen zu lassen wie bisher. Dagegen sprächen die Menschenrechtslage in dem Land, dessen Politik in der Region und auch dessen Unterstützung für fundamentalistische Kräfte. Nouripour forderte zugleich eine Einhaltung der Regierungsrichtlinie, dass in Staaten mit negativer Menschenrechtsbilanz und in Konfliktregionen keine deutschen Waffen geliefert werden sollen. Zudem sieht er manche Auslandsmissionen der Bundeswehr kritisch.
"Können dieses Volk nicht so lange wählen lassen, bis es uns gefällt"
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) warnte vor einem Scheitern der Gespräche über die Bildung einer Jamaika-Koalition. Die Alternative seien Neuwahlen, sagte Kretschmann im Südwestrundfunk. "Ob das die bessere Alternative ist, das möchte ich mal bezweifeln. Schließlich können wir ja nicht dieses Volk so lange wählen lassen, bis es uns gefällt." Ein Scheitern wäre auch eine "Katastrophe" für Europa, "das eh sehr instabil ist".
"Wir haben erste Ansätze gefunden für Gemeinsamkeiten"
FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sieht die Chancen für eine Regierungsbildung nach wie vor bei 50 zu 50. "Wir haben erste Ansätze gefunden für Gemeinsamkeiten, aber wir werden ab nächster Woche bei den Konfliktherden in die Details gehen, um auszuloten, ob es auch möglich ist, die Brücke auch fertig zu bauen", sagte sie dem Bayerischen Rundfunk. Beim Streitpunkt Familiennachzug für Flüchtlinge müsse dazu die Faktenlage geklärt werden. "Die Grünen gehen von einem Familiennachzug von 60.000 Personen aus, die Zahlen der Bundesregierung gehen eher in Richtung 600.000 und dazwischen ist natürlich ein Riesen-Unterschied", sagte Beer.
sti/pg (afp, dpa, rtr)