Merkel und Putin vereinbaren engere Zusammenarbeit
16. Januar 2006Unerwartet lange dauerte das erste offizielle treffen zwischen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem russische Präsident Wladimir Putin: Erst eine Stunde später als geplant traten die beiden Staatschefs am Montag (16.1.2006) nach der zunächst auf drei Stunden angesetzten Unterredung vor die Presse. "Wir haben einen sehr offenen Dialog gepflegt", sagte Merkel nach dem Gespräch im Kreml. Auch nach dem Regierungswechsel in Berlin wollten beide Seiten die Kontinuität der Beziehungen gewährleisten, betonte Putin. "Wir wollen die Zusammenarbeit in Außenpolitik, Wirtschaft und humanitären Fragen ausbauen", sagte er. Merkel hatte zuvor erklärt: "Ich glaube, dass die Grundlagen dafür gelegt sind, dass wir unsere Partnerschaft weiterentwickeln und verbreitern können."
Zurückhaltend freundlich
Die Kanzlerin und der Kreml-Chef, ein enger Freund von Merkels Vorgänger Gerhard Schröder (SPD), begrüßten einander zurückhaltend freundlich. Auch beim gemeinsamen Auftritt vor der Presse wirkten sie eher reserviert. Beide betonten die Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland. Im Warenaustausch gebe es "atemberaubende Zuwächse", sagte Merkel. Nach russischen Angaben stieg das Handelsvolumen 2005 um 30 Prozent auf die Rekordsumme von 26,66 Milliarden Euro. Putin sagte, beide Länder arbeiteten auf unterschiedlichen Gebieten, einschließlich der Außenpolitik, "zur Koordinierung unserer Positionen" gut zusammen.
Im Streit um das iranische Atomprogramm würden sich Deutschland und Russland eng abstimmen, sagte Merkel. Putin betonte, die Position der EU-Troika, der USA und Russlands seien "sehr nahe" beieinander. Putin warnte vor allen Schritten, "die unabsehbare Folgen mit sich bringen". Das iranische Außenministerium habe den russischen Vorschlag, die umstrittene Urananreicherung in Russland durchzuführen, nicht endgültig abgelehnt, sagte er.
Diskussion über Tschetschenien und Meinungsfreiheit
Anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder, der öffentliche Kritik an Putin vermieden hatte, sprach Merkel in Moskau auch über eine Reihe von Streitpunkten. So sprach sie den Konflikt in Tschetschenien an, bei dessen Erwähnung der Kremlchef oft dünnhäutig reagiert. "Wir haben auch das Thema Tschetschenien besprochen, wo wir nicht unbedingt einer Meinung sind", sagte sie. Sie wolle sich dafür einsetzen, dass die Europäische Union einen Beitrag leiste, um die Entwicklung der Krisenregion im Nordkaukasus zu fördern. Putin lobte trotzdem die "offene Atmosphäre in allen Fragen". Mehrere deutsche Politiker hatten Merkel vor ihrer Abreise aufgefordert, in Moskau auch Menschenrechtsfragen anzusprechen.
Bei einem weiteren Streitpunkt forderte Merkel Russland auf, die Arbeitsbedingungen für Menschenrechtsorganisationen und zivile Gruppen nicht einzuschränken. Das neue Gesetz zur schärferen Kontrolle müsse so angewendet werden, dass die Arbeit dieser Gruppen nicht behindert werde, sagte sie. Putin verteidigte das Gesetz. Es beeinträchtige die Tätigkeit ausländischer Organisationen nicht.
Treffen mit verschiedenen Gruppen
Merkel wollte nach dem Treffen im Kreml auch mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kultur sprechen. Die Menschenrechtsorganisation Memorial lobte die Kanzlerin für ihre Gesprächsbereitschaft, die sie von Schröder unterscheide. "Der Stand der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten sollte in den bilateralen Beziehungen eine wichtige Rolle spielen", sagte der Memorial-Vorsitzende Arseni Roginski der dpa.
Einhellig verteidigten Putin und Merkel den Bau der Ostseepipeline für direkte Gaslieferungen von Russland nach Deutschland. Die Leitung richte sich gegen niemanden, sagte Merkel. Putin erläuterte die Lösung im Gasstreit mit der Ukraine. Der russische Fehler habe darin bestanden, den westlichen Partnern den Kern des Problems nicht genau erläutert zu haben, sagte er. Die ursprünglich für Mitte März angesetzten deutsch-russischen Regierungskonsultationen in der sibirischen Stadt Tomsk kündigte Putin für April an. (stu)